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Pehr Henrik Nordgren

Konzert für Altsaxophon und Streicher op. 92 (1995)

Pehr Henrik Nordgrens Solokonzerte sind zwar stets eine enorme technische Herausforderung für den Solisten, doch steht das Instrumentalvirtuose dabei niemals im Vordergrund. Vielmehr ist der Solist seelischer Mittelpunkt, Protagonist im Psychodrama musikalischer Form, einem Zeitreisenden gleich in der orchestralen Landschaft. Das Saxophonkonzert besteht, wie die meisten Werke Nordgrens aus jüngerer Zeit, aus einem Satz. Am 21. Juni 1995 vollendet, ist es John-Edward Kelly gewidmet, der es zusammen mit dem Ostbottnischen Kammerorchester unter Leitung von Juha Kangas am 14. Oktober 1995 bei der Biennale für zeitgenössische Musik in Tampere zur Uraufführung brachte. Die formale Psychologie des Saxophonkonzerts beruht auf einem Anfangszustand der Verzweiflung und dem damit einhergehenden Drang nach Erlösung aus diesem Zustand, wodurch sich eine organisch verbundene Zweiphasigkeit ergibt: unablässiger Kampf um Befreiung und, nach dem Moment maximaler Konfrontation, Durchbruch ins Lyrische, zu einem fließenderen Melos. Das Konzert ist, so Nordgren, "eine Art große Kadenz für Saxophon auf dem Streichergrund. Es ist ein sehr solistisches Werk. Da ich es für John-Edward Kelly schrieb und wußte, daß es bei ihm so gut wie keine technischen Grenzen gibt, fühlte ich mich völlig frei in der Gestaltung." Das Werk ist beharrlich um die Zentraltöne A und E und deren Nachbartöne (meist im Halbtonabstand, überwiegend B und Es) errichtet.

Es beginnt mit dem A des Solisten und endet mit einer Wendung von E zu F. Typisch für die Behandlung des Soloinstruments ist neben tückischen Läufen und Sprüngen, und gehaltenen Tönen in Extremlagen und -dynamik die Verwendung von Mikrotonalität, allerdings stets in erlebtem Bezug auf die Haupttöne. Die Streicher sind über weite Strecken in statischen oder figurativ verwobenen, im aufgeregten Mittelteil aleatorischen bzw. motivisch widerhakig aufbegehrenden Cluster-Harmonien gesetzt. Die verschiedenen Klang- resp. Zustandsfelder sind unterschwellig tonverwandtschaftlich gebunden bei wechselnder konkreter Ausformulierung. Die Wende des Geschehens in ruhigere Bahnen kündigt sich nach einem langen hohen H des Solisten an und wird, nachdem die Streicher sich zuerst auf dem Ton A sammelten und dann noch einmal ein stachliges Geflecht emporzogen, vom Solisten über den Ton E vollzogen. Endlich kann eine Melodie (E-A-G-A-E-Fis etc.) sich entfalten, es kommt zum innigen Dialog des Saxophons mit den Geigen. Die widerstrebenden, bedrohenden Tendenzen verdichten sich noch einmal in einem letzten Fortissimo der Streicher, dann übernimmt der Solist die Initiative und führt das schwebende Ende herbei.

Christoph Schlüren

[Einführungstext für Wien Modern, Konzerthaus Wien 1998]