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Pehr Henrik Nordgren

Transe-Choral op. 67 (1985)

Wohl kein Komponist vergleichbaren Ranges kann auf ein so umfangreiches, vielgestaltiges Œuvre für Streichorchester verweisen wie Pehr Henrik Nordgren, dank der intensiven Zusammenarbeit mit Juha Kangas und dessen 1972 gegründetem Ostbottnischen Kammerorchester. Auch das 1985 großteils in Paris niedergeschriebene "Transe-Choral" op. 67 für 15 Streicher entstand, wie eine Vielzahl von Werken davor und danach, für diese Musiker. Die Komposition besteht aus zwei Abschnitten, auf die sich der Titel bezieht: Transe bedeutet hier so viel wie Alpträume, worauf nach einer langen Generalpause attacca der Choral folgt. Der Transe-Abschnitt ist geprägt von dem einleitenden dissonanten Klang gis-c-d-fis und den dazugehörigen oberen Leittönen, indem dieser Grundklang in den wechselnden Stadien den ganzen Satz über in den zweiten Geigen präsent ist: unentrinnbar, eine dunkle Obsession. Im Verlauf müssen die zweiten Geiger sogar zu einem tiefer und im Tritonus-Abstand gestimmten Instrument greifen, um eine noch dunklere, unwirklichere Welt heraufzubeschwören. Diesem Grundklang widerspricht zuerst die Solobratsche, spielt in ornamental sich aufbäumender Fortspinnung Töne, die nicht im Grundklang enthalten sind. Danach tritt mit eindringlicher Motivik das gesamte restliche Ensemble unisono gegen die zweiten Geigen an. Der Grundklang übersteht alle Attacken und geht (in der tieferen Stimmung) in aleatorisches Gewebe über, das die polyphone Verzweigung der übrigen Instrumente grundiert und in langsamer Bewegung allein übrigbleibt. Mit der völligen Auflösung der Bewegung zerfällt auch der dissonante Grundklang, und der Transe-Abschnitt schließt in reinem Des-Dur.

Die Inspiration zum zweiten Abschnitt, dem "Choral", kam Nordgren einige Jahre früher, "nach einem Zerwürfnis mit einem Theaterregisseur, für dessen King Lear-Produktion ich Musik geschrieben hatte. Nach einem Streit hatte ich die Tür hinter mir

 

zugeschmissen und saß nun im Zug von Helsinki zurück nach Kokkola. Ich war schrecklich deprimiert. Da begann etwas in meinem Kopf zu klingen: wie ein Choral – ohne Ende, die ganze Fahrt über. Später, als ich den 'Choral' schrieb, wollte ich das wieder zurückrufen. Die Melodik hat nichts zu tun mit einem Choral im herkömmlichen Sinn."

Ist in der "Trance" der Ausgangszustand chromatisch, so ist er im "Choral" monodisch, anhebend mit einer Unisono-Melodie, die durch minutiös ausnotierte und stimmweise differenzierte Glissandi eine besondere Färbung erfährt. Die Melodie spinnt sich, teils solistisch, weitschauend fort, um schließlich "von einem heftigen Cluster unterbrochen zu werden. Arvo Pärt mochte das Stück sehr, aber an dieser Stelle fragte er mich: 'Warum haben Sie das gemacht?' Dieser Moment war das Hauptproblem während der Komposition. Für die Fortsetzung der Linie bedurfte es aber stützender Pfeiler. Auch im Clusterklang ist übrigens der Choral, nur eben vertikal." Ab dieser Initialstörung verschärft sich zunehmend der Kampf zwischen der melodischen Kraft (unisono) und den massiven Clusters, welche immer mehr in kontrapunktische Bewegung geraten. Schließlich tritt parallelbewegte "Clustermelodik" der Unisono-Melodie entgegen, und am Ende mündet "con tenerezza" die so gewonnene Cluster-Melodie, verbunden durch die Sologeige, in das Fis-Dur der Celli und Bässe. Pianississimo, in reinem Fis-Dur, endet der "Choral".

Christoph Schlüren

[Einführungstext für Wien Modern, Konzerthaus Wien 1998]