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Anders Eliasson

1. Symphonie / Konzert für Fagott und Streicher

Ostácoli Knut Sönstevold (Fagott)Ostbottnisches Kammerorchester, Ltg. Juha Kangas,
Symphonieorchester des Sowjetischen Kulturministeriums, Ltg. Gennadij Roschdestwenskij

 

Wie vor ihm dasjenige von Allan Pettersson, ist das Schaffen von Anders Eliasson (geb. 1947) untypisch für die schwedische Szene, stilistisch keiner vorhandenen Strömung zuzuordnen. Für seine 1986 komponierte, dreisätzige erste Symphonie wurde Eliasson 1992 mit dem Nordic Council Music Prize ausgezeichnet, der wichtigsten Auszeichnung der nordischen Länder. Zweifellos erfüllt dieses Werk in vollendeter Weise die von der spezifischen Sprache unabhängigen Kriterien für symphonische Faktur wie motivische Prägnanz, kontinuierlichen Spannungsverlauf, organischen Bezug vom Anfang bis zum Ende aufgrund harmonischer Korrelation. Doch die Technik, mit der dies geschieht, kennt kein Vorbild. Mit äußerster Mobilität werden unterschiedliche Modi in Dauerkollision miteinander gebracht. Von vornherein herrscht eine Dualität, die einerseits zu zerspringen droht, andererseits den Fortgang in eine hochgespannte Balance zwingt. Die Orchestration bezeugt höchste Meisterschaft in der stets auf den Punkt gebrachten Klangfantasie. Nichts ist ungefähr geraten. Umso ungefährer wurde das horrend schwere Werk unter Roschdestwenskij eingespielt. Zum Glück wird die Symphonie flankiert von phänomenal dargebotenen Stücken. Das 1982 entstandene, verwegene Fagottkonzert, in der präzisen Ausformung und Durchhörbarkeit auch der verwickeltesten Passagen vielleicht der Gipfel der Schwierigkeit für das Instrument, spielt Knut Sönstevold mit einer besessenen Verve und exaltierten Exaktheit, die dem minutiös ausgestalteten Abenteuercharakter auf angemessen atemberaubende Art entspricht. Die ungestüme Energieentfaltung und zugleich geradezu immaterialisierende Verfeinerung der Strukturen, die das Ostbottnische Kammerorchester unter Juha Kangas dabei leistet, setzen eine kaum erreichbare Meßlatte. Wie oft bei Eliasson, ist die Musik vom ersten Anfang an kaum erträglichem Druck ausgesetzt: jagend, treibend, kein Minimum an Verweilen zulassend. Wenn dann auch noch eine "Impetuoso"-Forderung hinzutritt, haben die Musiker eigentlich keine Reserven mehr – getreu dem Prinzip: "So viel wie möglich, und noch mehr!" Umso erschütternder wirkt die introvertierte Gegenwelt. Aus dem klaffenden Gegensatz der verschiedenen Ausdruckswelten entspringt die Form. Die umschließt Paradoxien, wie in den "Ostácoli" für Streicher (1987), wo Obsessives und Spielerisches, Kontrolliertes und Spontanes sich unablässig durchdringen und einen mitreißenden, mitzuleidenden dynamischen Prozeß in Gang setzen, der den Hörer, hat er sich erst einmal der Musik überlassen, nicht mehr ausläßt.
 

Konzert für Horn und Streicher / Desert Point / Konzert für Violine und Streicher
Sören Hermansson (Horn), Jari Valo (Violine), Ostbottnisches Kammerorchester, Ltg. Juha Kangas
Caprice CAP 21422
Das in der finnischen Kleinstadt ansässige, heute als das führende nordische Streicherensemble angesehene Ostbottnische Kammerorchester und sein Gründer und Leiter Juha Kangas setzen sich lange schon für Anders Eliassons Musik ein wie sonst nur noch der Saxophonist John-Edward Kelly. Die Intensität und fanatische Sorgfalt, mit der diese Musiker die tückischen Sperrigkeiten der Partitur in suggestiven Ausdruck verwandeln, wirkt identifikatorisch und authentisch. Amokläufen gleichen die Ecksätze des Hornkonzerts "Farfalle e ferro" (1992), dazwischen liegt eine Lento-Insel verletzter Schönheit – von Sören Hermansson mit wunderbar geschmeidigem, in den scharfen Attacken jedoch zu gestopftem Ton vorgetragen. Das 1993 geschriebene Violinkonzert ist nicht weniger fesselnd, doch treten die aggressiven Elemente schon aufgrund des verwendeten Soloinstruments zurückgehaltener zutage. Nichts in diesen widerhakig vorandrängenden Klanggeflechten ist statisch. Alles ist konzentriert, wesentlich, mit überbordendem Leben erfüllt, es gibt keinen müden Moment. Dieser existentielle Zug bestimmt auch das Streicherstück "Desert Point" von 1981, das in seiner strukturellen Dichte den wachen, reaktionsgeübten Hörer restlos fordert und reich beschenkt.
 
Canto del Vagabondo / Canti in lontananza / La fièvre / Disegno per quartetto d’archi
Schwedischer Rundfunkchor, Eric Ericson Kammerchor, 3 Knabensoprane, Symphonieorchester des Schwedischen Rundfunks, Ltg. Herbert Blomstedt, Stig Westerberg, Stockholm Wind Quintet, Crafoord Streichquartett
Caprice CAP 21402
In seinen Werken der siebziger Jahre wandte Eliasson ausgiebig neuere klangliche Spezialeffekte wie Mehrklänge der Holzbläser an, jedoch nie um des Effekts willen, sondern als musikalische Ausdrucks- und Entwicklungsdimensionen, als der Formdynamik sich überlassendes Klangplasma. Die 1977 komponierten "Canti in lontananza" sind von einer unerhörten Raffinesse der Übergänge, die die untergründig fortschreitende Intervallik nie aus dem Auge verliert. Die ungewöhnlichen Kombinationen neuer Klänge im Bläserquintett "La fièvre" (1978) sind konkret formbildend eingesetzt. Der halbstündige "Canto del Vagabondo" für großes Orchester (mit Vocalisegesang im verklärten Mittelteil) von 1979, inspiriert durch Carl vonLinnés Schilderung der Besteigung des Berges zu Medelpad in Lappland, agiert mit massivsten Auftürmungen im ersten Teil, "Conflitto", aus deren Kulmination der Sirenengesang des "Mezzogiorno" hervorgeht. Der Schlußteil, "Infinito", transzendiert diese Gegensätze. Die 1980er Live-Aufführung unter Herbert Blomstedt ist extrem kraftvoll und exakt.
Christoph Schlüren

(Rezensionen für Neue Zeitschrift für Musik)

Caprice CAP 21381