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Eliasson denkt, der Kosmos lenkt

Anfang der 1. Symphonie, 1. Satz Adagio – VivoKönigliche Stockholmer Philharmonie, Sakari Oramo, Stockholm, Konserthus, 14.11.1996
Swedish Radio, Nr. FR 9938
(Track 1, ab 0:08–ca. 1:05;

Dauer: ca. 1:00;

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Anders Eliasson ist ein Komponist, der den Hörer "bei der Hand" nimmt. Jede seiner Kompositionen erzählt eine Geschichte, in der alle Geschehnisse sich gegenseitig bedingen, alle Ereignisse sich aufeinander beziehen. Diese Geschichten sind rein musikalischer Art. Nichts läßt sich darin mit außermusikalischen Mitteln nacherzählen oder erklären. Es sind nicht-gegenständliche Geschichten. Sie sind auf ähnliche Weise abstrakt, wie nicht-gegenständliche Malerei abstrakt ist. Und wie abstrakte Malerie den Betrachter unmittelbar emotional zu fesseln imstande ist, vermag dies auch das Drama der Töne, der klingenden Themen, Motive und Harmonien. Eliassons Musik verlangt von ihrem Hörer lediglich, daß er sich "bei der Hand" nehmen läßt, um ihn sogleich mitten hinein zu führen in eine Welt der inneren Widersprüche, Turbulenzen und Gefährdungen. Das erfordert bedingungslose Hingabe und Konzentration. Immer geht es in Eliassons Kompositionen um existentielle seelische Not und die Suche nach Befreiung. Diesen Weg mitzugehen, offeriert der Komponist seinem Hörer. Die tiefe Schönheit seiner Musik liegt stets hinter Dornen verborgen. Sie ist nicht einfach da. Sie muß errungen werden. Für den Hörer, der diesen hindernisreichen Weg mitgeht, kann Eliasson zum Gefährten im Unglück werden, in das er ihn nicht nur hinein, aus dem er ihn auch wieder herausführt. Für Eliasson selbst ist das Komponieren kein Willensakt. Auch er vertraut sich, nachdem er begonnen hat, einer Führung an. Eliasson hat von seinem "Musikengel" gesprochen, der ihn führt, dem er folgt. Wir begeben uns nun auf eine kurze Reise ins Zentrum der 1989 komponierten Dritten Symphonie für Altsaxophon und Orchester. Solist ist John-Edward Kelly.
Ausschnitt aus der 3. Symphonie: Schlußteil des 3. Satzes "Fremiti" und Anfang des 4. Satzes "Lugubre";
John-Edward Kelly (Altsaxophon), Orchester?, Dirigent?;
Privataufnahme des Komponisten;
(Track 2, 17:57 – ca. 21:05);
Dauer: ca. 3:10;
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Als Anders Eliasson seine Gastprofessur für Komposition an der Sibelius-Akademie in Helsinki antrat, stellte sich sein finnischer Kollege Paavo Heininen vor: "Guten Tag. Ich bin Modernist.", und erhielt zur Antwort: "Guten Tag. Ich bin nur 'gewöhnlicher Mensch'." Schon als Student in Stockholm in der Kompositionsklasse von Ingvar Lidholm sah Eliasson keine Chance, mit dem, was er dort lernte, seinen inneren Bedarf zu decken:
"Ich vermisste die wirkliche Tiefe in der Musik. Also fragte ich mich, ob ich denn völlig falsch orientiert sei, ob ich auch geographisch deplaziert sei. Aber ich erkannte, daß es nicht daran lag. Also war die nächste Frage: Was ist mein Referenzpunkt in der Musik? Vom frühesten Anfang an in meinem Leben? So betrieb ich versteckte Forschungen in meinem Innern, die ich nie aufgab, die immer in mir weiterarbeiteten – an dem, was ich mein 'musikalisches Alphabet' nenne. Es ist sehr einfach – so einfache Modi wie: d-f-h-c-h-f-d, eine Art lydischer Modus. Und: d-e-a-b-a, ein typischer dorischer Modus. Horizontal und vertikal. Diese Modi sind sehr nah zueinander verwandt: leicht, von einem ins andere zu wechseln! Wichtig ist: Für mich ist es weder lydisch noch dorisch, und in keinen anderen Verbindungen liegen so viele Möglichkeiten. Ich weiß keine anderen, die so viel Raum haben. So führt es direkt in die Unendlichkeit. Es ist sehr einfach, und ich versuche nach wie vor, herauszufinden, was es ist. Zugrunde liegt eine starke Limitierung. Begeben Sie sich jedoch hinein und versuchen, es auszuschöpfen, so ist es absolut unbegrenzt. Es ist ein Paradoxon. Das tonale System kann sich weit, extrem weit vom Fundament entfernen, aber es ist für mich auch dann immer auf das Fundament bezogen. Ich wüßte nicht, daß bis heute irgendjemand das in meinem Werk entdeckt hätte. So viele Leute haben bis heute gesprochen und Kritiken geschrieben über meine Stücke, aber keiner hat das Grundlegendste darin entdeckt. Andererseits macht das gar nichts aus. Auch ich könnte nicht darüber schreiben."
Eliasson sah also die Notwendigkeit eines Fundaments für sein Komponieren, aufgrund dessen Bezug und Orientierung möglich ist. Er schuf sich jedoch kein System, denn
"je einfacher die Basis ist, desto mehr, desto mannigfaltigere Entwicklung ist möglich. Es gibt heute so viele Systeme, aber je komplizierter diese sind, desto limitierender erscheinen sie mir."
Aus dem modalen Denken resultieren die für Eliasson typischen Farbwerte der harmonischen Abfolgen, deren gemeinsame Wurzel stets präsent ist. Spannung erwächst hauptsächlich aus dem Triebverhalten der involvierten Motive, aus dem den Themen innewohnenden harmonischen Potential. Die Harmonie gewinnt nie einseitig die Oberhand. Bleibt eine harmonische Konstellation länger bestehen oder kehrt sie wieder, so ist dies stets aus den schicksalhaften Verkettungen der formbildend wirksamen Themen motiviert. Wie einfach und begrenzt ein Ausgangsmaterial beschaffen sein kann, das die Grundlage eines vielgestaltigen musikalischen Prozesses bildet, dafür ist folgender Ausschnitt aus der 1984 komponierten 'Sinfonia da camera' ein schlagendes Beispiel. Das obsessive Spiel mit der kleinen Terz mündet in einen vielfarbigen Zauberreigen modulierender Echos.
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Ausschnitt aus: Sinfonia da camera (1984);
Orchester?, Dirigent?;
Swedish Radio, Nr. 2570-84/1200 (Track 3, 16:28–ca. 17:30);
Dauer: ca. 1:00
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Eliasson betont, daß er zwar ein Stück mit einem gewissen Impuls beginnt, dann jedoch versucht, keinen willentlichen Einfluß mehr auszuüben:
"Ich habe eine Vorstellung von der im Material liegenden Idee, von dem Ton - das ist alles: Was aber daraus erwachsen wird - in der organischen Entwicklung, die von der Musik selbst erzeugt wird, vom Thema, vom Motiv selbst - wer weiß? Natürlich ist das harmonische Material vom ersten Akkord aus bestimmt. Alles bezieht sich darauf. Doch nicht einmal da weiß ich, wo der Anfang ist und wo das Ende. So unauflöslich sind sie ineinander begründet. Nicht ich bin es, der zu einem Ende kommt. Es ist die Musik selbst. Sicher kann ich während eines Arbeitsprozesses manche Überlegungen durchführen, aber das ist von überhaupt keiner Bedeutung. Es ist mir unmöglich, das zu vermeiden, was sich ankündigt. Ich versuche nur, in das hinein oder hinter das zu kommen, was in der Musik selbst vor sich geht, und ich für mich erkenne es wieder mittels meines armseligen, kleinen Systems, das ich vor vielen Jahren entdeckt habe. Alles hängt davon ab, was die Musik, das Thema, das reine Material selbst verlangt. Nicht ich bin es. Ich versuche, meine Finger heraus zu halten! Aber ich habe keine Begrenzung zwischen mir und dem Thema. Nichts ist dazwischen. Deshalb ist es so schwierig - so unmöglich! -, zu erklären, was passiert. Wir sprechen da über die komplizierteste Situation für einen Komponisten im musikalischen Schaffen: die verschiedenen Energieformen abzuwägen, die Arten von Gewicht im musikalischen Material. Das ist es ja, worum es überhaupt geht."
Die formbildende Dynamik geht in einem Spiel unausgesetzter Geistesgegenwart aus der allerersten klingenden Situation hervor. Nimmt der Hörer nicht mit ebensolcher Wachheit am Geschehen teil, so teilt sich ihm das Wesentliche von Eliassons Musik nicht mit. Eliasson läßt keine Zeit zu unentschlossener Anteilnahme, die essentielle Konzentration schließt ein verzögertes Einsteigen kategorisch aus. Einzig im Anfangsgedanken manifestiert sich der subjektive Drang nach Ausdruck, der in der Folge dem überpersönlichen Spiel der rein musikalischen (Natur-)Kräfte ausgehändigt wird, dem der Komponist als fieberhaft Entwerfender und neutraler Beobachter zugleich folgt. Was für ein Drang freilich das ist: Durch Eliassons Anfänge klafft ein Riß, aus ihnen springt die Marter der terrorisierten Seele den Hörer an - die Anfänge sind Spiegelklang des aktuellen Zustands, von Verzweiflung, Begrenzung und Depression, und Tor zur Zeitlosigkeit musikalischen Erlebens zugleich. Diese Initiale, Schnittstelle von äußerer und innerer Welt, wird auf die Reise geschickt - Eliasson denkt, der Kosmos lenkt. Solches 'Denken' hat mit denkerischer Kausalität nichts zu tun, es ist ein Akt höchster Wachsamkeit und Gelassenheit, Aktivität und Passivität in einem: Man folgt einem autonomen Prozeß, der, einmal in Gang gesetzt, keine Wahl mehr läßt, der nur so und nicht anders ablaufen kann, indem die Verbindung zum Anfang und dem (potentiell vorhandenen) Ende nie abreißt.
1981 komponierte Anders Eliasson 'Desert Point' für Streichorchester. Der Anfangsakkord enthält die Essenz des in der Folge sich Entladenden und Zusammenbrauenden, der Katarakte, des Taumels bis an den Rand der Besinnungslosigkeit, der Fruchtbarkeit gefrierender Trillerfiguren; alle Gewalt und Zärtlichkeit ist in der Anfangssituation geladen, einem einfachen Gebilde, wo das d im Baß von seiner Quinte verstärkt ist, darüber die Quart archaisch widerstrebt, die None oben maximal zum Fundament opponiert. In dieser minimal aufwendigen Konstruktion sind weitere Schlüsselintervalle wie Tritonus und kleine Sexte beschlossen, sowie ergiebiges Umkehrungspotential, und diese Elemente und ihre Ableitungen sind Hauptträger des horizontalen wie des vertikalen Geschehens im Folgenden.
Das Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Juha Kangas spielte Anders Eliassons 'Desert Point' für Streichorchester. Was bedeutet der Titel, worauf bezieht er sich? Die Ausdehnung eines Punkts, eines Augenblicks im zeitlosen Raum musikalischen Zusammenhangs, eines Augenblicks einsamer Wirklichkeit? Oder den Anfangsklang, der immer wieder aufklingt und aus dem der ganze Satz substanziell schöpft?
Anders Eliasson wurde am 3. April 1947 in Borlänge im südlichen Teil der mittelschwedischen Provinz Dalarna geboren. Der Vater war einfacher Arbeiter in der Metallindustrie, die Mutter Friseuse und Laienschauspielerin.
"Ich wuchs in einer Umgebung auf, die keinerlei Vorlieben hatte, schon gar nicht für 'klassische Musik'. Lediglich populäre Tanzmusik und derartiges; keine Interessen für Literatur, Kunst usw. Nichts. Schon sehr früh war es unmöglich für mich, so zu leben. Warum? Ich weiß nicht. Es war so. Also mußte ich entfliehen in eine musikalische Welt. Die ersten musikalischen Erfahrungen, die ich machte, kamen von mir selbst: Es war mein eigenes Singen. Es waren wohl gewöhnliche Melodien, die man im Radio hören konnte. Es war meine einzige Möglichkeit, zu überleben. Ich formierte meine Spielzeugsoldaten zu einem Orchester, setzte mich vor ihnen hin und sang, imitierte den Klang der Instrumente. Ich kann es heute noch. Ich lebte sehr stark in dieser selbstgeschaffenen Welt, in dieser Art, mich auszudrücken. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ein Orchester klingen könnte. Ich hatte noch nie eines gehört. Aber ich hatte manche Instrumente gehört, z. B. Geige, Posaunen, Hörner, Trompete... Irgendwo muß ich natürlich den Klang der einzelnen Instrumente aufgeschnappt haben. Im Radio. Ich kann mich nicht daran erinnern. Für mich waren das die Soldaten."

 

Als Neunjähriger bekam Anders eine Trompete.
"Es war mein Geburtstag. Ich habe noch den metallischen Geruch der Trompete in der Nase: Fantastisch! Am Nachmittag des folgenden Tages wurde ich zu einem Nachbarn geschickt, einem Hornisten, der die Kinder an der Musikschule unterrichtete. Zweieinhalb Tage später mußte ich meiner Mutter vorspielen. Am Morgen hatte ich so ein paar einfache Melodien gelernt, und sie sagte: 'Okay, es ist in Ordnung, wir können die Trompete ausleihen'."
Bald gründete Anders mit Kameraden seine eigene Band, ein kleines Jazzorchester aus 2 Klarinetten, Posaune, Schlagzeug, Gitarre und Trompete:
"Ich war sehr jung, zehn Jahre alt, und war der Kapellmeister! In dieser Region Schwedens gab es viele gute Jazzmusiker, und in den Arbeitervierteln waren traditionell viele Blaskapellen. Einige ältere Jazzmusiker waren sehr interessiert und nahmen sich meiner an. Ich war der Bandleader, und sie kontrollierten mich, schauten darauf, daß ich gute Proben abhielt. Sie schrieben auch Arrangements für uns. Als ich elf Jahre alt war, ging ich zu einem von ihnen, der ein unglaublicher Kontrabaßist war, und er nahm sein Akkordeon und fragte mich: 'Welcher Akkord ist das?' Und ich mußte antworten: 'Cis-moll. D-Dur-Septakkord.' Er hat mich überhaupt nicht als ein Kind behandelt. Aber ich liebte das, denn es war sehr einfach für mich, die Akkorde zu erkennen. Dann fing ich auch an, Arrangements zu schreiben. Fürchterlich schlecht. Und mein Lehrer auf der Schule bat mich: 'Anders, würdest du bitte ein Lied für die Klasse schreiben?' 'Ja!' Ich war zehn Jahre alt: 'Ich kann meine eigenen Kompositionen schreiben!' Und Arrangements: 'Stille Nacht' für zwei Klarinetten usw. So begann es."
Als Vierzehnjähriger fand Anders einen fähigen Mentor: den Organisten Uno Sandén, der ihn in Harmonielehre und Kontrapunkt unterrichtete.
"Aber da war nicht soviel Glück in meinem Leben in jenen Tagen. Ich litt unglaublich. Ich wurde wirklich krank, als ich sechzehn, siebzehn war. Ich mußte ins Krankenhaus: Psychose."
Es muß die Hölle gewesen sein für den jungen Eliasson, die er nur dank unbeirrbar bewußter Wahrnehmung durchstand. Zwei Jahre danach ging er nach Stockholm, wo er bei Waldemar Söderholm Privatschüler in Kontrapunkt wurde. Er kam völlig naiv an.
"Es war einfach die Fortsetzung dessen, was ich mit meinen Soldaten gesungen hatte. Nun fing ich also richtig an. Bei meinem wunderbaren Lehrer Söderholm war ich nur auf Kontrapunkt konzentriert. Ich habe fünf Jahre mit ihm studiert. Vor allem Bach. Das ist die höchste Energie, mit der Sie in Berührung kommen können. Ich war so glücklich, auf die richtige, wahre Art studieren zu können. Natürlich komponierte ich auch, aber das war nichts. Es hatte sich bei mir in der Jazzmusik zu 'Musical Theatre', 'Kinetic Music' und derlei entwickelt. Doch wenn ich das mit der klassischen Musik verglich, erschien mir diese soviel besser. Und mehr und mehr wurde ich vertraut mit der Ästhetik der Klassiker und Modernisten. Als ich später bei Ingvar Lidholm in der Kompositionsklasse anfing, war ich schockiert, weil ich plötzlich jede Verbindung zur Musik in mir selbst verlor, als ich mit den 'echten' Komponisten in Berührung kam, mit Leuten wie Karkoschka und Haubenstock-Ramati.
Ich hatte mich sehr früh entschieden, Komponist zu werden; lange, bevor ich ans Konservatorium kam. Es war das Einzige, was für mich in Frage kam. Nirgendwo sonst war mein Platz. Als ich ungefähr zwölf war, bekam ich ein Grammophon, und da ich dafür Schallplatten benötigte, schloß ich mich einem Club an. Die führten auch ein klassisches Repertoire. Das erste richtige Musikstück, das ich so hörte, war Haydns 104. Symphonie. Ich hatte keinen Wunsch, zu komponieren. Ich weiß nicht, von wo es herkommt. Ich glaube, es ist sehr einfach: Es war die einzige Möglichkeit, zu überleben. Und das ist es immer noch. Es ging immer weiter. Aber niemand konnte diese Dinge verstehen. Nein, nein - es ist aus einem anderen Universum."

Das Kompositionsstudium bei Ingvar Lidholm legte die unüberbrückbare Kluft zwischen Eliassons mentaler Unschuld und den modernistischen Idealen jener Zeit offen.
"Ich wußte nicht viel über 'moderne Musik', wie ich sie nannte. Ich mußte lernen, hören, zu verstehen suchen, und ich verlor meine wirkliche Verbindung zur Musik. Aber ich konnte dieser Erziehung nicht aus dem Wege gehen. Ich war sehr an der elektro-akustischen Musik interessiert. Aber zur gleichen Zeit wußte ich, daß es das nicht sein kann, wie es da vorgemacht wurde. So begab ich mich auf die Suche nach meinem 'musikalischen Alphabet'."
Anfang der siebziger Jahre hatte sich Eliasson eine gewisse Sicherheit erworben, um sich auf seiner selbstgefundenen Grundlage, mit Hilfe seines 'musikalischen Alphabets', zu bewegen und zu orientieren. Soviel Sicherheit, wie eine paradoxe Welt sie zuläßt. Seither folgt er seinem Weg durch alle Hindernisse hindurch, ohne stehenzubleiben auf der Suche nach der wahren schöpferischen Unschuld. Welche Bedeutung haben für ihn dann Stilfragen, ästhetische Erwägungen?
"Keine. Wie könnte ich mich damit beschäftigen? Solchen Ideen nachzuhängen hieße, daß Sie jemanden anderen fragen müssen, was Sie tun sollen. Natürlich habe ich das sehr oft erlebt: Wenn ich versuchte, meinen Willen der Musik aufzuoktroyieren, war es das wahre Desaster.
Eine vergleichende Zuordnung von Eliassons Komponieren, das aus extremster Gegensätzlichkeit und Einheitlichkeit zugleich lebt, muß letztlich scheitern. Sicher waren zeitweise Einflüsse von Béla Bartók, György Ligeti, Witold Lutoslawski oder Karl Birger Blomdahl von Bedeutung. Doch weit mehr hat Eliassons Sprache dem Studium der Musik der Renaissance, des frühen Barock, Johann Sebastian Bachs zu verdanken: nicht stilistisch, sondern energetisch, in der konsequenten Befolgung der dem Material innewohnenden Gesetzmäßigkeiten.
(Im Folgenden Zuspielung einiger Ausschnitte aus 'Ostácoli' von CD:
Ostrobothnian Chamber Orchestra, Juha Kangas;
Caprice CD 21381, Track 5)
'Ostácoli', die 'Hindernisse' für Streichorchester, komponierte Anders Eliasson 1987. Alles in Ostácoli ist aus dem markanten Anfangsthema gewonnen, das sich geradezu ins Bewußtsein hämmert - aus seinen Vorschlägen, chromatischen Fortschreitungen, kleinen Terz- und Sextintervallen, dem Umfang einer kleinen None, der widersprechenden Rhythmik, die hier in faßlicher Form konzentriert sind.
[Zuspielung: Anfang – ca. 0:10]
Die scharfen Akzente setzen sich fort, gleichzeitig auftretende Kontraste wie Legato und Staccato, Laut und Leise, Schnell und Langsam sind Quellen steigender Spannung, zwei akzentuierte Haltetöne werden Signal kommender Veränderung. Im brillanten rhythmischen Wechselspiel zwischen behender Figuration und immer vernehmlicherem Tenuto setzt sich die Tenuto-Thematik durch.
[Zuspielung: 1:32 – ca. 1:40]
Das breite Tenuto gerät unter Druck agitierenden Kontrapunkts aus der Tiefe, hervorschwellende Terztriller drängen. Più mosso geht daraus ein tänzerisch-imitatorisch bewegter Abschnitt hervor.
[Zuspielung: 3:00 – ca. 3:10]
Dessen eleganter Charakter wird immer brutaler und – im Gegeneinander markierter Akkorde – blockiert sich in trillernder Reibung. Das sehr gegensätzliche Lento e lugubre umhüllt die Anfangsthematik mit transparentem Schleier aus Trillern und Gegenbewegungen.
[Zuspielung: ca. 5:00 – ca. 5:10]
Mächtiger als vorher schwingt sich die Tenuto-Thematik empor. Das innige Innocente des ersten Geigers erahnt bereits den Schlußgesang und signalisiert Verzweiflung; Glissando-Viren vergiften den Satz und die Beunruhigung wächst beändstigend, tritt hinüber in die Verharrung des 'deserto', durchstochen von Glissando-Attacken.
[Zuspielung: ca. 8:50 – ca. 9:07]
Das hier einsetzende Vivace drängt aggressiv kämpferisch, mit auftauchenden und ertrinkenden Gegenelementen zur martialischen Hauptmotivik, in mehreren Anläufen, in der Konfrontation von hohen und tiefen Stimmen, in unerbittlicher Triolik und über die hauptthematischen Konturen hinweg zur maximalen Obsession, in den Käfig des Unabwendbaren, um die äußerste Anspannung bei verlangsamender Bewegung zu erfahren. Die Lösung, Lento con tristezza, ist von den Stimmen der Unschuld durchwoben, deren ersehntes Aufblühen sogleich innehält. Im einzig richtigen Moment kehrt das Anfangsthema zurück und bündelt die Energien. Die Glissando-Viren dringen wieder ein, nunmehr Botschafter des Endes, 'deserto': Im Zentrum der Turbulenz ist Ruhe. Die Wüste lebt im Auge des Sturms. Zum Schluß erklingt 'Ostácoli' von Anders Eliasson, gespielt vom Ostrobothnian Chamber Orchestra unter Leitung von Juha Kangas.
'Ostácoli' per archi (1987);
Ostrobothnian Chamber Orchestra, Juha Kangas;
Caprice CD 21381; Dauer: 14'02" (Track 5).

Sendemanuskript für BR 2 (Redaktion: Helmut Rohm);
Sprecher der Zitate: Gerd Udo Feller;
Produktion: 18.11.’98; Erstsendung: 23.11.’98, "Forum Musik"

Christoph Schlüren, 11/98