Schönheit hinter DornenEin Eliasson-Festival in Stockholm |
Von wo aus man auch auf Stockholms zentral gelegenes Konserthus zugeht, es
ist unübersehbar - überall blickt einem auf großen
Plakaten der Mann mit der Zigarette entgegen: Anders Eliasson, Schwedens
bedeutendster lebender Komponist, ist Mittelpunkt des zehnten 'Tonsättarfestival'
in der traditionsreichen Heimstätte der Königlichen Philharmonie.
Neun Konzerte an acht Tagen widmete man Eliassons Schaffen, neben
je einer Symphonie von Haydn und Mozart erklangen 37 Werke von ihm.
Das Ausführungsniveau war fast ausnahmslos außergewöhnlich
hoch. Neben zwei Programmen des Philharmonischen Orchesters bestritten
das Stockholmer Kammerorchester, das KammerensembleN und - zu Gast
aus Finnland - das Ostbottnische Kammerorchester weitere Orchesterkonzerte.
In den vier Konzerten mit Kammermusik und Liedern fand sich auch
die Uraufführung eines Trios für Violine, Horn und Klavier,
eines Werks, das in seinem gebändigten Emotionsreichtum wohl
das erfüllen dürfte, was einst Busoni als "neue Klassizität"
gefordert hat. Eliasson hat sich eine unbestreitbar persönliche
Position errungen, die geprägt ist von Durchdringung der Sprachen
vergangener Epochen, Beherrschung der aktuellen Stilmittel und unablässigem
Willen zum Ausdruck von wesentlich Eigenem. So ist seine Aussage
auch nie eine synthetische, rekurriert vielmehr hermetisch auf weitgehend
selbstgeschaffenen, -gefundenen Kriterien. Ruhelosigkeit, die Kettenreaktion
des initiierenden Dualismus vom ersten klingenden Moment an kennzeichnet
die meisten seiner Werke, nicht hingegen beschauliche Exposition.
Ein Bläserquintett von 1978 heißt 'La Fièvre',
ein anderes Quintett aus dem gleichen Jahr 'Malaria' (Mal-Aria...)
- Dauerattacke, bezwingende Wechsel von bedrängendem Feuer
und umarmender Vereisung sind symptomatisch. Auf der emotionalen
Skala hat Eliasson einen Vorgänger: seinen Landsmann Allan
Pettersson, der nach dem Festival in Nordrhein-Westfalen in Deutschland
nicht weniger bekannt sein dürfte als in Schweden. Doch was
den Sinn für Form, für Funktionsfähigkeit aller Details,
für frei-tonale Raumbeherrschung betrifft, liegen Welten zwischen
Eliassons unbestechlich der motivischen Substanz entsprechend gemeißelten
Skulpturen und Petterssons verzweiflungsdurchfluteten Klangtunnels.
Eliasson läßt dem nicht restlos konzentriert einsteigenden
Zuhörer keinen Moment Zeit zu verzögertem Einschwingen
- hat man die erste Zelle nicht erwischt, so ist der Zug abgefahren,
und der lädt dann auch nirgendwo mehr zum Zusteigen ein. Diese
Tonwelt kümmert sich keinen Augenblick ums Gefallen, wenngleich
sie gelegentlich Stadien unerhörter Schönheit durchläuft
- aber nie verweilt sie. Das Festival gibt Gelegenheit, der psychischen
Trasse eines Nicht-anders-Könnenden zu folgen - man beginnt
zu glauben, daß Eliasson nur überleben kann, weil er
Musik schreibt. Für viele ist das erschreckend, für andere
einfach unerträglich, weil die äußersten Kontaktpunkte
omnipräsent sind, die Talsohle und die Euphorie. Balance wird
nicht in der Aufhebung, sondern in der Gleichzeitigkeit der Extreme
erreicht, die aber zum Schluß doch eine Aufhebung des terrorisierten
Anfangszustandes bedeutet. In jedem Werk transzendiert Eliasson
das Unbewältigbare dieser Welt aufs Neue, um, wenn es denn
glückt, am Ende Befreiung zu finden. Die Themen sind Obsessionen,
die im wechselnden Lauf des Flusses modal wirbelnder Harmonien und
raumgreifend vibrierender Rhythmen treiben, bis sie schließlich
im stillen Wasser einkehren - manchmal ganz plötzlich, ein
anderes Mal großzügig, mit Hof. Und mehr und mehr ist
zu verstehen: der Ausgang des Geschehens harrt in der Natur der
Themen. Bei aller emotionalen Drangsal und Vehemenz hat Eliassons
Musik in der architektonischen Dimension eine unwiderlegbar überpersönliche
Kraft. Seinem Werk eignet nicht nur die Qualität und Vielschichtigkeit,
ein einwöchiges Festival durchzutragen - man stößt
immer tiefer, aber nicht auf Grund, und viele Zuhörer der durchweg
bestens besuchten Veranstaltungen, die eigentlich nur aus Neugierde
einmal reinschauen wollten, waren dann allabendlich zu sehen und
wurden heimisch in diesen hermetischen Klangsphären. Mit einem herausragenden Konzert wurde
das Festival eröffnet: Der 1965 geborene Sakari Oramo, designierter
Rattle-Nachfolger in Birmingham, erwies sich aufs Neue als die überragende
Begabung der jüngeren finnischen Dirigentenszene. Er leitete
die Stockholmer Philharmoniker in der auch nach Ansicht des Komponisten
bisher besten Aufführung von dessen erster Symphonie, jenes
hochkomplexen Werks, das 1992 mit dem prestigeträchtigen Musikpreis
des Nordischen Rats ausgezeichnet worden war und seither in einer
sehr mittelmäßigen Aufnahme auf CD vorliegt. Christoph Schlüren |