Musik wie der spitzeste PfeilAnders Eliassons Oratorium Dante Anarca |
Stockholm. Jede neue Komposition des 1947 im mittelschwedischen Dalarna geborenen Anders Eliasson überrascht auch den mit seiner Musik vertrauten Hörer aufs Neue und fesselt ihn in jedem Moment, indem er ihn zugleich jene unergründlichen Tiefen ahnen läßt, die jedes weitere Hören zu einer Erweiterung und Bereicherung werden lassen. Nun wurde in Stockholm die Uraufführung seines bisherigen Magnum opus, des 85minütigen Oratoriums Dante Anarca auf ein Prosagedicht des in Schweden lebenden italienischen Autors Giacomo Oreglia, gegeben. In Dante Anarca feiert Oreglia den anarchischen Dante und seine Meister, überwiegend Anarchen, je nach Auslegung der oftmals kryptisch verschlungenen Zeilen vier oder sechs an der Zahl: Vergil, Gioacchino da Fiore, Francesco dAssisi, Siger von Brabant, aber auch die Jungfrau Maria und Dante selbst. Eliasson hat den Text in sieben Sätze unterteilt, die musikalisch für sich bestehen können und zusammen eine vollendete Einheit bilden. Der erste Satz, Da un dialogo e sei lanarca dellUniverso, beginnt mit einem Dialogfragment, wo der Geistliche der Aufforderung des Inquisitors, Dantes wahre Meister zu finden, entgegnet, daß die Exegese der Kurie "Staub und Asche ist und bleibt". Es folgen eine Invokation Dantes, ein Blick ins Fegefeuer unserer Zeit, eine apokalyptische Schau und des Anarchen Gebet. Der Kopfsatz ist am mächtigsten hinsichtlich des dichterischen Entwurf wie der musikalischen Dimension. Die in sich einheitlich gestalteten, gesungenen Abschnitte sind verbunden durch orchestrale Zwischenspiele, die den textlichen Inhalt vertiefen und verschärfen. Eliassons Anforderungen an die Sänger sind hoch, was weite Spannbögen, kultivierte Phrasierung und vielstimmigen Dialog betrifft. Doch die kantable Würde der Stimme ist unantastbar, das wild Gezackte, die Flammen des Inferno sind Angelegenheit des Orchesters. Das Heilige, Hymnische, Innige, Klagende kommt mit aller Unmittelbarkeit. Dabei geht Eliassons Vertonung nicht von der Textoberfläche, sondern von den Grundschwingungen der Inhalte aus, hat also nur selten explizit wortausdeutenden Charakter. Nicht zuletzt dank äußerster handwerklicher Fertigkeit vermag er überall die existentiellen Aspekte mit leuchtender Sinnlichkeit herauszumeiseln. Der zweite Satz konzentriert sich auf Dante und sein Eins-Sein mit seinen Meistern ("cinque in uno, uno in cinque") und errichtet mit der unablässigen Wiederholung des Appells "debellare superbos" einen gewaltigen Höhepunkt. Das ist musikalisch so grandios geformt, daß es keine Rolle mehr spielt, wenn Oreglia hier einer Fehldeutung Vergils aufsaß, welchem es eben nicht um den Sturz der hochmütig Herrschenden, sondern um die Unterwerfung der Aufständischen wider das Römische Reich zu tun war. Es folgt mit La candida rosa eine Anbetung der Jungfrau Maria (und Beatrices) mit Einarbeitungen von Salve Regina und Glaubensbekenntnis: lyrisches, fast romantisch inniges Tenorsolo im Wechsel mit dem Chor, der zweimal beim Salve Regina und, mit bohrender Dissonanz, Maria Theotokos in massive Aufbäumungen hineinführt. Der vierte Satz, Giovacchino (Moderato, lirico con semplicità), huldigt Joachim von Fiore, er habe "das Heilige entheiligt, um die Welt zu heilen", ruft ihn als "sole dell apocalisse" an und mündet in Anspielung auf seine Zeitalterlehre und Ankündigung des tausendjährigen Reichs ins "Veni creator spiritus". Dieser Satz ist am schlichtesten gehalten, meist zur Einstimmigkeit tendierend, gerahmt vom verhaltenen Altsolo, dazwischen das Solistenquartett. Leidenschaftlicher, realistischer ist der "ewig barfüßige" Francesco, dessen Eigenschaften Dante übertragen werden demjenigen, der die Tyrannen bekämpfen kann. Der Solosopran gibt chorischer Vehemenz Raum. Sublimste Italianità der mit Bambusrascheln grundierten Soloklarinette prägt das Satzende, zu dem der metallisch peitschende Beginn des finalen Abschnitts, der beiden ineinander verstrebten letzten Sätze, in scharfem Kontrast steht. La luce etterna di Sigieri beschwört jenen Siger von Brabant, der Schöpfungsgeschichte und individuelle Unsterblichkeit zu verwerfen wagte und im Auftrag der päpstlichen Kurie
ermordet worden sein soll. Musikalisch wird hier auch die Summe
des Vorangegangenen gezogen, alle Akteure Chor, Solisten
und Orchester treten wechselseitig in den Dienst des heiligen
Zorns. Der daraus hervorgehende siebente Satz, Durante del Virgilio,
verschmilzt Dante und Vergil und beschwört "Dante anarca
militante", den "liberatore" und "rivelatore",
als "Bannerträger eines neuen Zeitalters" (des Heiligen
Geists) und mit den finalen Beckenschlägen "das klopfende
Herz unserer Zukunft", denn dieser sei "der spitzeste
Pfeil gegen die finstersten Übel, gegen Heuchelei, Herrschaft
und Mammon". Christoph Schlüren (Rezension für Frankfurter Rundschau |