Juha Kangas und das Ostbottnische Kammerorchester aus Kokkola |
Edvard Grieg, Suite "Aus Holbergs Zeit": Das Praeludium aus der Holberg-Suite von Edvard Grieg mit dem
Ostbottnischen Kammerorchester aus Kokkola unter Leitung von Juha
Kangas. Spätestens seitdem dieses zwanzigköpfige Ensemble
1993 den begehrten Musikpreis des Nordischen Rates, die höchste
musikalische Auszeichnung der fünf Nordischen Länder Norwegen,
Schweden, Finnland, Island und Dänemark, empfangen hat, wird
Kokkola auch außerhalb der finnischen Heimat gerne als "musikalische
Insel der Seligen" bezeichnet. 500 Kilometer nordwestlich von
Helsinki am bottnischen Meerbusen gelegen, ist Kokkola mit ca. 35.000
Einwohnern nach hießigen Maßstäben eine recht gesichtslose
Kleinstadt, die aufgrund des hohen schwedisch sprechenden Bevölkerungsanteils
traditionell zweisprachig lebt. Der Name des Orchesters bezieht
sich auf die Region Mittel-Ostbottnien, auf Finnisch heißt
es: Keski-Pohjanmaan Kamariorkesteri, international etwas schlichter
Ostrobothnian Chamber Orchestra. Dieses Orchester ist sozusagen
mitten im Nichts aus nichts entstanden. Aber doch nicht ganz. 50
Kilometer von Kokkola entfernt liegt Kaustinen, das Zentrum der
finnischen Spielmannsmusik, das nunmehr seit mehreren Jahrzehnten
Sitz des weltberühmten Kaustinen Folk Music Festivals ist.
Dort wurde Juha Kangas, Gründer und Leiter des Ostbottnischen
Kammerorchesters, im November 1945 geboren. Mit 13 Jahren erst äußerte
Organistensohn Juha den Wunsch, Geige zu spielen, um fortan keinen
Tag mehr zu verbringen, ohne sich dem Instrument zu widmen. Er erhielt
Unterricht im nahen Kokkola bei dem Komponisten Erik Fordell. Vor
allem aber liebte Juha die traditionelle Spielmannsmusik, und mit
seinen Brüdern Olli und Timo trat er schon früh auf. Später
studierte Juha an der Sibelius-Akademie in Helsinki unter anderem
bei den renommierten Komponisten Rautavaara, Heininen und Sallinen.
Doch sein entscheidender Lehrer wurde der legendäre Geigenprofessor
Onni Suhonen, ein Karelier, der in den Zwanziger Jahren in Budapest
bei Jenö Hubay und Leo Weiner studiert hatte. Nicht nur dessen
Geigenunterricht, sondern vor allem die Streichquartettklasse gab
Kangas die entscheidende musikalische Prägung fürs Leben.
Daher also jene Bündelung von frei ausschwingender Melodik
und diszipliniertem Formsinn, von modulierender Elastizität
und tänzerisch federndem Rhythmus - dieses geschliffene und
hellwache Urmusikantentum. Suhonens Quartettklasse war eine verkappte
Dirigentenschule. Als Okko Kamu 1969 den ersten Karajan-Wettbewerb
gewann und man ihn fragte, wo er Dirigieren studiert habe, kam die
Antwort prompt: "In der Kammermusikklasse von Onni Suhonen".
Die Kankaan Pelimannit, reisende Volksmusikanten, die heute als
eine der besten finnischen Gruppen der jüngeren Zeit gelten
und ganz Europa abfuhren, waren Kangas' Nebentätigkeit nach
der Rückkehr in die ostbottnische Heimat. Primär gründete
er 1972 aus Schülern des Konservatoriums, die alle zwischen
zehn und vierzehn Jahre alt waren, das Ostbottnische Kammerorchester.
Jari Valo, den Sie nachher im Eliasson-Violinkonzert hören,
war mit seinen elf Jahren bereits Konzertmeister. Schnell eroberte
dieses Ensemble ein Niveau, das weit über dem Standard vergleichbarer
Musikschulorchester lag, und schon nach zwei, drei Jahren kamen
sensationelle Erfolge bei den nationalen Musikfestivals wie in Kuhmo
oder Helsinki. Mittlerweile war der Komponistenfreund Kangas' aus
der Zeit in Helsinki, Pehr Henrik Nordgren, von ausgedehnten Japan-Aufenthalten
zurückgekehrt. Auf der Suche nach einer seinen Schaffensbedürfnissen
entgegenkommenden Umgebung übersiedelte er nach Kaustinen.
Seither ist die Zusammenarbeit mit Juha Kangas zu einer äußerst
fruchtbaren musikalischen Ehe geworden, wie sie sich ein Komponist
besser nicht wünschen kann. Neider aus Helsinki stempeln Nordgren
heute gerne als den "Hofkomponisten von Juha Kangas" ab.
Doch in Wirklichkeit ist dieser Mann wohl die größte
tonschöpferische Begabung, die Finnland seit Sibelius aufzuweisen
hat. Die Uraufführung seines Hornkonzerts im Februar 1996 ist
die fünfzehnte Nordgren-Uraufführung, in der Juha Kangas
das Ostbottnische Kammerorchester leitet. Hören Sie den zweiten
und dritten Satz, Allegretto und Adagio, aus Nordgrens drittem Cellokonzert
von 1992. Steven Isserlis ist der Solist der Uraufführung am
12. September 1992 zum zwanzigjährigen Orchesterjubiläum
in der Snellman Hall in Kokkola. |
Sie hörten den langsamen Satz aus Anders Eliassons Violinkonzert
mit Jari Valo und dem Ostbottnischen Kammerorchester unter Juha
Kangas. Während das Kammerorchester auf seinen internationalen
Tourneen, die unter anderem nach Japan und Deutschland führten,
natürlich vor allem die heimische nordische Musik vorstellen
möchte, insbesondere Werke von Nordgren, Eliasson und Nørgård,
ist zuhause die Bandbreite des Repertoires international breit gestreut.
Wenn man das Folgende hört, so muß man sich doch wenigstens
fragen, ob es so etwas wie Spezialistentum in der Musik überhaupt
als positive Erscheinung geben kann - die letzten zwei Sätze
aus Gustav Holsts "St. Paul's Suite": Intermezzo und das
Allegro-Finale "The Dargason" in einem Konzertmitschnitt
vom 18. November 1993 aus Kajaani. Pehr Henrik Nordgren, "Spielmanns-Portraits" op. 26 (1976):
4. Satz "Des Spielmanns Lieblingsweise"; Sendemanuskript für BR 4 (Redaktion: Wilfried Hiller); Christoph Schlüren, im September 1995 |