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Ein Regenbogen für Celibidache

Portrait-Film von Serge Celebidachi

 Sergiu Celibidache hieß ursprünglich Sergiu Celebidachi, so läßt es uns die bescheidene Grabplatte auf dem kleinen Friedhof in Neuville-sur-Essonne, eine Autostunde südlich Paris, wissen. Womit all jene, die seinen Namen in schöner Regelmäßigkeit falsch geschrieben und ausgesprochen hatten, im Nachhinein sich bestätigt fühlen dürfen. Nun hat sein Sohn Serge Celebidachi im Louvre seinen zweieinhalbstündigen Film "Le Jardin de Sergiu Celibidache" vorgestellt, der im Frühjahr auch in deutschen Kinos laufen soll. Ein langer Film, und all jenen, die Celibidache nicht mochten, sicher zu lang und nicht unbedingt dazu angetan, aus einem ehernen Saulus einen Paulus zu machen. Die Stärke dieser Hommage an die geistigen Gärten des Vaters liegt sicher in der Hingabe, der - bewußten! - Naivität, dem Willen zu einem womöglich alle wesentlichen Aspekte offerierenden Gesamtbild. Gerade aus dieser Nähe gewinnt Serge Celebidachi den Weg heraus aus dem Mythos, zeichnet das vielgesichtige Portrait vom vulkanischen Gärtner, dessen Lebens- und Musizierideal von "Entpersönlichung" gekennzeichnet war. Persönlichkeit im positiven Sinne, so hatte Celibidache erkannt, kümmert und sorgt sich nicht um sich selbst. Celibidache war ein hinreißender Schauspieler, weil er kaum schauspielerte, sondern sich stets völlig in den Dienst der Situation stellte. Seine Lebenseinstellung war von unverstellter Spontaneität geprägt, von entsprechend natürlicher Hemmungslosigkeit, und dies begreiflich zu machen gelingt dem Film in vortrefflicher Weise. Ob der dokumentarische Bogen, der zwischen philharmonischem Musizieren (Bartóks Konzert für Orchester, Bruckners Neunte, Mozarts Requiem, Haydn, Beethoven, alles unerhört plastisch, extremfreudig und unverfälscht aufgenommen mit einem Mikrophon und damit den kommerziellen Aufnahmen weit überlegen), phänomenologischer Schule und geruhsamen Episoden in den Gärten der Mühle von Neuville in unregelmäßiger Regularität changiert, mit eigenwilligen Übergängen und entschiedenen Schnitten operiert, ob dieser Bogen als formale Ganzheit tragfähig ist, wie vom Regisseur intendiert, darf bezweifelt werden. Doch läßt dies das dokumentarische Medium kaum zu, und - wenigstens was das Resultat betrifft - hierin steht der Sohn Gustav Mahlerschem "die ganze Welt enthalten" näher als der durch derlei Verlockungen nicht verführbare Vater.
Serge Celebidachi ist eine mitreißende Folge von Blicken auf die Innenwelt des ihm Nächststehenden geglückt, voll Verve und Enthusiasmus, aber ohne Beschönigung oder Vereinfachung und fern jeglicher Langatmigkeit. Er hat - im ursymbolischen Sinn - einen Regenbogen gebaut, der die Illusion des Unauslöschlichen wachhält.

Sergiu Celibidache ist tot, sein persönlicher Reichtum unwiderbringlich verloren, sein Vermächtnis ist nicht konservierbar, sondern eben nur lebbar als nicht an ihn gebundenes Vermächtnis. Serge Celebidachi hat trotzdem der Veröffentlichung von kommerziellen Tonaufnahmen der Dirigate seines Vaters prinzipiell seine Zustimmung erteilt. Wann, wo und wie eine Celibidache-Edition herauskommen wird, steht aber noch in den Sternen. Sie soll möglichst umfassend Celibidaches Gesamtrepertoire dokumentieren, das viel größer war, als die Kritiker der späten Jahre erahnen dürften. Sie baut keineswegs nur auf der abschließenden Münchner Phase auf, den Jahren der Erfüllung mit einem großen Bruckner-, Brahms-, Strauss-Orchester. Auch die Stuttgarter Epoche, wo er vor allem als unnachahmlicher Zauberer impressionistischer Partituren galt, und der lange Höhenflug des Schwedischen Rundfunk-Symphonieorchesters mit packenden Aufnahmen zeitgenössischer, nordischer und russischer Symphonik und Klassiker-Aufführungen von feinstofflicher Ekstase werden dazugehören, und viele weitere Stationen eines wechselwirbelnden Lebenslauf mit konsequentem künstlerischen Rückgrat. Zu den wertvollsten Dokumenten zählen die auch filmisch exzellenten Proben- und Konzertmitschnitte des Schwedischen Fernsehen im Stockholmer Konserthus. Die Celebidachi-Familie wird auf die Einnahmen aus der Vermarktung verzichten und diese in zwei Stiftungen - in einer für junge Musiker, vor allem auszubildende Dirigenten, die permanenter Orchesterarbeit unter Anleitung bedürfen, und einer für Hilfebedürftige in aller Welt - einsetzen. Celibidache wird als Symbol für die Nichtquantifizierbarkeit des Qualitativen, für den gelebten Widerstand gegen das Unlebendige unangetastet bleiben, aber die akustischen Schatten dessen, was er als Musiker war, sind künftig jedermann zugänglich.

Christoph Schlüren

(Rezension für Frankfurter Rundschau,
November 1996)