< RARE MUSIC STARTSEITE

Speedy Gonzalez-Virus
erhält Schallplattenpreis

Travestie oder Fliegenschiß? Zinmans Beethoven

{Attila Csampai schrieb im letzten Music Manual von Beethovens "heiligem" Gesetzestext, David Zinmans "Gags" im Ungang damit und des Erbsenzählers bzw. Autobesitzers (Kritikers) Weißglut beim Anblick von derlei Fliegenschiß. Wo mir der hochverehrte Herr Kollege also die feinsäuberlich aufgesammelten Erbsen zu Fliegenschiß umdeklarierte, begab ich mich schnurstracks zu Pierre Monteux (der Maestro ist inzwischen 124 Jahre alt und in bester Verfassung). Meine Frage, ob Zinman ein Fliegenschißproduzent sei, parierte er sachlich: "Wenn sich so was in den Partituren meines Schülers findet, rührt es von Fliegen her. Allerdings glaubt er, im Traum sei ihm Beethoven erschienen und habe ihm die Entstellungen diktiert, die er an seinen Symphonien vorzunehmen habe." Als Nächstes suchte ich Jonathan Del Mar auf, den Herausgeber des neuen, bei Bärenreiter verlegten Urtexts der Beethovenschen Symphonien. Der wunderte sich über die Arte Nova-Werbung "World Premiere Recording on Modern Instruments According to New Bärenreiter Edition", denn "die hat ja, wenn überhaupt jemand, schon Charles Mackerras in Liverpool für EMI gemacht; genaugenommen auch der nicht", denn selbst heute ist Del Mars bahnbrechende Urtextausgabe nicht abgeschlossen (die 7. Symphonie erscheint im Frühjahr 2000). Na gut, aber was denkt der Herausgeber über das Nonstop-Staccato-Attentat auf Beethoven (außer im gesungenen Wort im Finale der Neunten kommt in den ganzen Symphonien praktisch keine Tenuto-Note vor)? "Überhaupt nichts spricht dafür"… Und die vielen, geschmacklos den Partituren aufoktroyierten neuen Noten, die nicht von Beethoven sind, sondern von Zinman erfunden wurden? Zum Beispiel die Vergewaltigung des Larghetto der Zweiten Symphonie: Nehmen wir aus diesem Satz nur die Takte 12-15, 166, 170, 182-89 oder 266 – das ist "Müll im Namen des Herrn", auch wenn manche sensiblen Kollegen diese Spezialitäten (sofern sie sie registrierten) für den neuen Urtext hielten. Was also, verehrter Herausgeber, halten sie von diesem Humbug?

"Mein Lieber, vielen herzlichen Dank dafür, daß Sie endlich der Erste sind, den großen Zinman-Mythos zu zerquetschen! Endlos werde ich von Freunden und Bekannten angerufen, die mir…" Verdammt, schon wieder das Handy! Ausgerechnet jetzt, eine Mitteilung "im Auftrag von Maestro Monteux: Bei der BMG-Analyse des Dirigentenhirns wurde ein bislang in dieser Penetranz unbekannter Originalitätsvirus gefunden. Aufgrund unzweideutiger Eigenschaften heißt er Speedy Gonzalez. Der Erreger ist besonders geeignet zur Bekämpfung klassischer Symphonien und hat im Beethoven-Test grandiose Verwüstungen angerichtet." Mit einem Mal wird mir klar, warum dieser Edition – die neun Beethoven-Symphonien mit dem Züricher Tonhalle-Orchester unter Zinman, erschienen bei Arte Nova – das germanische Kronjuwel der versammelten Fachgilde namens "Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik 1999" verliehen wird: Sie ist nicht nur laut und schnell, sondern nachweislich falsch, ein Anti-Beethoven. Weil eigentlich überhaupt nichts mehr stimmt, muß die Begründung umso plausibler lauten: "…basiert auf dem Text der neuesten, die jüngsten musikalischen Erkenntnisse berücksichtigenden Notenedition Jonathan Del Mars, sie überträgt konsequent die Erfahrungen der historischen Aufführungspraxis auf ein modern besetztes Orchester…" usw. Also, lieber Jonathan Del Mar, was sagen Sie dazu? Ihr Verleger druckt ja diese Verlautbarung brav im neuesten "Takte"-Magazin nach. "Also, der Speedy Gonzalez-Virus? Darüber müßte ich mehr wissen. Aber im übrigen, Sie haben mich vorhin nicht ausreden lassen: Zinmans Aufnahmen sind ganz einfach eine Verfälschung meiner Urtext-Ausgabe. Schlimmer ist: Sie sind eine Travestie gegen Beethoven!" Verdammt nochmal, hat doch gerade tatsächlich eine Fliege auf mein Handy gesch…!

Christoph Schlüren

(Beitrag für Music Manual, 12/99)