Symphonische SynthesenFranck: Symphonie / Hindemith: Mathis-Sinfonie |
Der naive geistliche Musikant Franck
neigt in seiner 1886-88 komponierten Symphonie in einem Maß
weltlicher Sinnenfreude zu, daß dieses Stück zum Klassiker
in den Konzertsälen wurde, während der raffinierte weltliche
Musikant Hindemith in 'Mathis der Maler' und der Sinfonie daraus
sich von der provokativen, oftmals lausbübischen Haltung seiner
revolutionär-neusachlichen Schaffensperiode abwendet und in
altmeisterlicher Reife und deutscher Tiefsinnigkeit sakrale Stilelemente
dem Musikdrama einverwebt. Die harmonische und kontrapunktische
Komplexität beider Werke ist hoch, die Form so kühn und
eigentümlich wie zusammenhangsbewußt gemeistert. Letzteres
ist es, was für Sergiu Celibidache zeitlebens von besonderer
Bedeutung war. Hector Berlioz, Franz Liszt und Gustav Mahler gehörten
wahrlich nicht zu seinem bevorzugten Repertoire, indem ihm die weitgehend
der Wirkung des Moments verschriebene Bezugslosigkeit und die daraus
resultierende formale Willkür keine künstlerische Erfüllung
verschaffte (während er trotzdem Einiges von Berlioz dirigierte,
darunter immer wieder die 'Symphonie fantastique' und den 'Carnaval
Romain', sind dem Verfasser nur je ein Werk von Liszt und Mahler
bekannt, die Celibidache geleitet hat: 'Les Préludes' und
die Kindertotenlieder). |
Viele neigen dazu, es als Schwäche und Rückschritt des anfangs so revolutionär agitierenden Paul Hindemith auszulegen, daß er sich dem Gang in die Atonalität – also in die harmonische Beziehungslosigkeit – verweigerte und auf einer bis an die Grenzen des Fassungsvermögens erweiterten – man könnte auch sagen: freien – Tonalität bestand, die er mit seiner unverkennbar eigenen Sprache erkundete. Für Celibidache war diese jeglicher Konzession an die Konjunktur abholde Haltung ein schlagender Beweis von Charakter und Musikalität – eine Haltung, von der Hindemith nie mehr abwich und die ihm schließlich zu Unrecht den Ruf eines geradezu konservativen, hemdsärmeligen Handwerkers eintrug, wo eigentlich nur der Begriff 'Personalstil' angebracht ist – ein Personalstil, den die Nationalsozialisten nicht weniger verachteten als die Serialisten nach dem Krieg, und es ist schon eine höhnische Kapriole der Geschichte, daß sich um so ein unpolitisches Kunstwerk wie die Oper 'Mathis der Maler' 1934 der "Fall Hindemith" und, als Konsequenz der völkischen Hatz, Ahndung von Zivilcourage, der "Fall Furtwängler" entspann. In der Sinfonie 'Mathis der Maler' ist Hindemith eine vollendete Synthese aus der Tradition gewachsener Handwerklichkeit und auf der Höhe der Zeit stehender, persönlicher Ausdrucksweise geglückt – wie eine späte Erfüllung von Busonis Forderung nach einer "Neuen Klassizität". Ob man bezüglich der Einschätzung von Hindemiths weiterem Werdegang Furtwängler zustimmt, ist eine andere Frage. Dieser schrieb 1952 an Hindemith nach der Uraufführung der Sinfonie 'Die Harmonie der Welt': "Das Werk selber hat dem Orchester und vor allem mir selber, je länger wir uns damit befaßten, desto mehr Freude gemacht. Mir scheint es das beste aller ihrer bisherigen Orchesterwerke zu sein…" Celibidache hat zeitlebens viel Hindemith dirigiert, und nicht nur Schlachtrösser wie die Mathis-Sinfonie oder die Sinfonischen Metamorphosen Carl Maria von Weberscher Themen (zu seinem Repertoire gehörten u. a. auch: 'Philharmonisches Konzert', 'Der Schwanendreher', Symphonie in Es, Klavierkonzert von 1945 und Cellokonzert von 1940, Lieder aus dem 'Marienleben' und einige der frühen 'Kammermusiken'), und es dürfte keinen Kollegen gegeben haben, der mit diesen Werken so intensiv vertraut war wie er. Wo sonst wäre die kontrapunktisch verschachtelte Faktur so lebendig und deutlich in ihrer Hierarchie und Linearität hörbar gemacht und eingebunden in einen suggestiv sich ergebenden, sinnfälligen Zusammenhang? Die durchweg sangliche, weitschauende, aufs Subtilste die harmonischen Spannungsverhältnisse berücksichtigende Phrasierung läßt die Musik mit einer auratischen Strahlkraft triumphieren, die alle vermeintliche Kunstgewerblichkeit souverän transzendiert. Nur eine solcherart angemessene Aufführung – mit einem Orchester, das in äußerster Vertrautheit, Klangkultur, Konzentration und Hingabe wie ein Organismus funktioniert, der mit dem Werk-Organismus 'übereinklingt' – läßt keinen Zweifel daran, daß Hindemith nicht nur ein Könner war (Kurt Weill zu Stuckenschmidt nach der Uraufführung von 'Neues vom Tage': "Verglichen mit ihm sind wir alle Dilettanten"), sondern ein Genie. Christoph Schlüren (Booklettext für Deutsche Grammophon CD) |