Magische LeuchtkraftDas Ostbottnische Kammerorchester bei Wien modern |
Der wenig spektakuläre Höhepunkt des diesjährigen Wien modern-Festivals
im Wiener Konzerthaus, welches dem Motto "An den Rändern
Europas" folgt, dürften die zwei Auftritte des Ostbottnischen
Kammerorchesters aus dem finnischen Kokkola gewesen sein. Das 19köpfige
Streicherensemble wurde 1972 von seinem Leiter Juha Kangas gegründet
und in 26 Jahren kontinuierlicher Arbeit fernab der traditionellen
Zentren geformt. Ergebnis sind eine Klangkultur und Ausdrucksintensität,
die ihresgleichen nicht kennen. Auf die Wiener wirkten die Finnen
aus der 500 Kilometer von Helsinki entfernten Kleinstadt am Bottnischen
Meerbusen eher wie eine musikalische Großfamilie. Im Konzerthaus
präsentierten sie Kompositionen der Schweden Anders Eliasson,
Allan Pettersson und Karin Rehnqvist, des Finnen Pehr Henrik Nordgren,
des Dänen Per Nørgård und des Letten Peteris Vasks.
Diese Werke sind für die Musiker Kernrepertoire wie für
andere die Serenaden von Tschaikowskij oder Dvorák. Vor allem
das erste Konzert mit Eliassons Desert Point, Petterssons Concerto
Nr. 2 für Streicher und Nordgrens Transe-Choral fesselte die
Zuhörer mit existentieller Wucht und sublimierter Klanglichkeit.
Überhaupt: Wie die Dynamik hier
wirklich stets ihre Verwurzelung in der Stille hat und so die wilden
Ausbrüche erst in ihrem tatsächlichen Ausmaß erfahrbar
werden, wird auch das Vibrato von seinem Ausgangszustand, dem Non
vibrato, her begriffen. Der 1947 geborene Anders Eliasson, heute
Schwedens bedeutendster Komponist, schreibt so originell und formbewußt
zugleich, daß Stilfragen hinfällig werden. Seine Musik
ist von zeitloser Qualität. Nie hat man den Eindruck eines
Formschemas, aber immer untrüglicher Folgerichtigkeit. In seinen
Ostácoli beispielsweise kommuniziert er mit rein strukturellen
Argumenten in einer Weise, daß man schon bis zu Bach oder
Händel zurückgehen muß, um in der Streicherliteratur
Ähnliches zu finden. Das aber geschieht in einer unverwechselbar
persönlichen Sprache unserer Zeit. Dagegen gleichen Pehr Henrik
Nordgrens Formen eher hochexpressiven Improvisationen, die das Publikum
mit ihrer Beschwörung dunkler Innenwelt in Bann ziehen. Transe-Choral,
ein mit fahlen Unisoni, raffinierten Glissandi und wild melodisierten
Clusters durchzogenes Hauptwerk Nordgrens, erfuhr eine Darstellung
von unübertrefflicher Magie. Und Solist John-Edward Kelly führte
seine Mitstreiter mit unwiderstehlicher Leuchtkraft durch die schrillen
Katarakte des Altsaxophonkonzerts zur finalen Aufhellung
packender und souveräner gehts nicht. Dazu paßte
die Musica dolorosa von Peteris Vasks, ein Stück emotionsgetränkter
Bekenntnismusik, das avancierte Klangmittel wie wuchernde Aleatorik
in einen für jedermann faßbaren psychologischen Kontext
einbindet Moderne für Einsteiger, die manche als sentimentalen
Anachronismus ablehnen. Ganz anders Per Nørgårds Lutoslawski-Hommage
Out of this World, ein unwirklich flirrendes Refugium klanglicher
Fantastereien, in dem man keineswegs vorhandene Bläserstimmen
zu hören meinte. Der Erfolg des Unbekannten im Zentrum der
einstigen Moderne war überwältigend, und man kann nur
hoffen, das Ostbottnische Kammerorchester mit seiner Auswahl zeitgenössischen
Musikschaffens bald auch hierzulande bei einschlägigen Festivals
zu hören. |