Bruckner VAuferstanden aus Ruinen |
In seinem 1909 erschienenen Büchlein 'Die Symphonie nach Beethoven' schrieb
der große Dirigent Felix Weingartner: "Bruckners Symphonien
gleichen den Ruinen eines wundervollen Tempels, die von unkundiger
Hand restauriert sind. Wir sehen mächtige Säulen, herrliche
Kapitäle und gewaltige Gebälke, doch eins paßt nicht
immer zum anderen, und die Lücken sind oft durch gewöhnliches
Mauerwerk ausgefüllt. Das Auge muß sich daher mit der
Betrachtung schöner Einzelheiten begnügen und auf einen
Gesamteindruck verzichten, ebenso wie das Ohr bei Bruckners Musik."
Und an anderer Stelle: "Ich gestehe, daß mich in der
neuen symphonischen Musik kaum etwas mit so merkwürdigem Zauber
umspinnen kann, wie ein Thema oder eine kurze Partie aus Bruckners
Werken. Doch dieser Zauber verringert sich mehr oder minder im Verlauf
des Werkes und schwindet mitunter gänzlich. Mein künstlerisches
Empfinden hat mich bisher stets untrüglich darauf hingewiesen
und wird es wohl auch ferner tun, daß das schön und groß
Empfundene dauernd nur dann fesseln kann, wenn es in vollkommener
Form geboten wird." Hans Pfitzner und viele andere sahen es
ähnlich. Heute muten solche Einlassungen dem seriösen
Betrachter grotesk an. Sergiu Celibidache hat sich ein Leben lang
wie nur wenige Musiker auf den Formzusammenhang konzentriert. Ob
er ein Werk öfter aufs Programm setzte oder nicht, hing entscheidend
vom "Gelingen der symphonischen Dimension", also von der
bezwingenden Gesamtwirkung (wenigstens der einzelnen Sätze)
ab, wobei er solides Epigonentum nicht als solches Gelingen akzeptieren
mochte. Denn wahres Gelingen ist nur aus relativ unabhängigem
Schaffen heraus möglich. Wie er nun Mahlers Zerrissenheit,
seine Idee, die Symphonie müsse "die ganze Welt enthalten",
schroff ablehnte, so fand er in Bruckner ein Ideal von Geschlossenheit,
das weit herausragte: "Als Ganzes wirklich gelungen sind seine
Vierte, Fünfte und vor allem die Achte Symphonie. Auch die
drei Sätze der Neunten sind wunderbar aufeinander bezogen,
doch leider fehlt der letzte Satz. In der Sechsten und Siebenten
Symphonie gibt es Probleme im Finale. Bruckner hat es am weitesten
gebracht als Symphoniker. Keiner hat es wie er vermocht, auch bei
maximaler Gegensätzlichkeit der Gedanken immer die Identität
von Anfang und Ende zu erleben." Alle weiteren Aufführungen fanden nach Bruckners
Tod statt, doch sollten sechs Jahrzehnte nach Entstehen der Fünften
vergehen, bis sie erstmals in der Originalgestalt aufgeführt
wurde. Von da an konnte eigentlich erst die Geschichte ihrer angemessenen
Rezeption beginnen. Was Bruckner von Schalk und Löwe, auf deren
Einsatz er in hohem Maße angewiesen war, hielt, ist bekannt:
"Hören Sie mir auf mit diesen zwei Kerlen! Wenn die meine
Symphonien spielen, kenn ich sie ja nimmer." Wenn trotzdem
unlängst Leon Botstein seine Neueinspielung der Schalk-Edition
von 1894 als Alternative anpries, hat dies heutzutage Ulkcharakter. Christoph Schlüren (Booklettext für Deutsche Grammophon CD) |