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Arnold Bax (1883-1953) "Druide der Symphonik"

Musikgeschichte wird, vor allem in unserem Jahrhundert der rastlosen Umwälzungen, meist in Trends, Strömungen und Kategorien geschrieben, die stets mit wenigen überragenden Persönlichkeiten in Zusammenhang gebracht werden. Dabei wird gerne übersehen, daß auch viele jener Komponisten, die üblicherweise nicht zu den "ganz Großen" gezählt werden, Persönlichkeiten sind, deren Werdegang und Werk in keine Schublade paßt, sondern eine eigene Kategorie begründet. Englands überragender Meister orchestraler Phantastik und überbordender symphonischer Phantasie war

(Anspieltip: Dritte Sinfonie unter John Barbirolli, CD bei Dutton)

"Ich bin ein eherner, unverbesserlicher Romantiker, konnte und werde nie etwas anderes sein. Damit will ich sagen, daß meine Musik Ausdruck emotionaler Zustände ist. Ich habe kein Interesse – wie auch immer – an Klang um seiner selbst willen oder in 'Ismen' und Parteien…"

Geboren am 8. November 1883, wuchs Arnold Bax in wohlhabenden, kulturell anspruchsvollen Verhältnissen in einem Londoner Vorort auf. Früh entpuppte er sich als eminenter Komponist (er studierte bei dem Lisztianer Frederick Corder) und Pianist, der die komplexesten Orchesterpartituren mühelos vom Blatt spielte. 1902 lernte er die Dichtung William Butler Yeats’ kennen und wurde dadurch zeitlebens zum Wahliren. Noch in späten Jahren bekannte er, Yeats’ Werk bedeute ihm mehr als die ganze Musikgeschichte. Er führte eine künstlerische Zweitexistenz als gaelischer Dichter Dermot O’Byrne. Bald schon wurde das Orchester zum eigentlichen Instrument seiner schöpferischen Phantasie. Doch schrieb er bis zum Ende der zwanziger Jahre viel Klavier- und Kammermusik von großer lyrischer und dramatischer Qualität. Das erste Orchesterwerk, mit dem Bax groß herauskam, war die naturhafte Tondichtung In the Faery Hills, die Sir Henry Wood 1910 bei den Proms uraufführte. Unter den 22 Tondichtungen, die Bax bis 1943 schrieb, ragen die zwischen 1916 und 1917 vollendeten The Garden of Fand, Tintagel und November Woods sowie (aus den frühen dreißiger Jahren) The Tale the Pine Trees Knew und Northern Ballad No. 2 heraus.

Während des Ersten Weltkriegs wandelte sich seine schwärmerische Jugendlichkeit, die sich vielleicht am hinreißendsten in dem Ravel-verwandten sinfonischen Tableau Spring Fire aussprach, in untergründige Verzweiflung um. Seine Ehe, aus der zwei Kinder hervorgingen, scheiterte, und er verliebte sich in die 17jährige Pianistin Harriet Cohen, die ihm und seinem Werk die Treue hielt. Die blutige Niederschlagung des Osteraufstands in Dublin 1916 blieb die zentrale Katastrophe in seinem turbulenten Seelenleben. 1922 trat er mit seiner vehement düsteren Ersten Sinfonie (ursprünglich einer gewaltigen Klaviersonate) hervor, der bis 1938 sechs weitere Sinfonien, allesamt dreisätzig, folgen sollten.

Neben der phantastischen Welt seiner Tondichtungen bilden die Sinfonien die wuchtigen, von Phantasie überbordenden Eckpfeiler seines im Kreuzfeuer zwischen Traumvision und herber Realität wuchernden Schaffens. Den Überreichtum seiner musikalischen Vorstellungskraft hat man oft, auch aufgrund des omnimobilen Metamorphoseprinzips, als Formlosigkeit mißverstanden. Bax war ein Komponist von höchster Originalität, der Einflüsse englischer, deutscher und russischer Herkunft mit denjenigen des französischen Impressionismus, zumal Debussys, und zunehmend von Sibelius zu einem süchtigmachenden Druidentrank mischte, der immer unverkennbar nach Bax klingt. In einem Klima zunehmender Technokratie, Versachlichung und emotionaler Skepsis erschien seine Musik, die Vaughan Williams höherrangig als fast jede andere dünkte, seinen Zeitgenossen allerdings zunehmend altmodisch. Die Vorurteile halten bis heute an. Dabei: Wer hätte je idiomatischer, reicher für das Orchester geschrieben als Bax? Wer war wie er in der Lage, die scheinbar improvisatorische Unbegrenztheit mit solch instinktiver Bewußtheit zum Ganzen zu bündeln? Bax war gewiß: "Kein Stern wurde je geboren aus dem Ringen des Intellekts… Die Stunde oder der Moment der Inspiration setzt die völlige Ruhestellung jener knarrenden Maschine – des 'Gehirns' – voraus – einen Bewußtseinszustand, der demjenigen religiöser Ekstase entsprechen mag. Der wahrhaft inspirierte Künstler besitzt nicht eine Gabe, sondern ist von dieser besessen wie von einem Dämon."

 

Im Alter trauerte er, seit 1941 Master of the King’s Musick, der verlorenen Jugend nach und ertränkte seinen Kummer in Alkohol. Sir Arnold Bax starb kurz vor dem gefürchteten 70. Geburtstag in Irland, am 3. Oktober 1953 in Cork. Noch immer kennen ihn die wenigsten. Warum?

Christoph Schlüren

Literatur:

Lewis Foreman: Bax. A Composer and his Times; Ashgate; ISBN 0-85967-643-9

Arnold Bax: "Farewell, my Youth" and other writings, ed. by L. Foreman; Ashgate; ISBN 0-85967-793-1

Diskographie:

Tintagel; LSO, J. Barbirolli; EMI 565110-2.

Violasonate; W. Primrose, H. Cohen; Biddulph LAB 148.

Sinfonien Nr. 1-7; London Philh., Ulster Orchestra, B. Thomson; Chandos 8906-10.

November Woods, Garden of Fand etc.; Ulster Orchestra, B. Thomson; Chandos 8307.

In the Faery Hills The Tale the Pine Trees Knew etc.; Ulster Orchestra, B. Thomson; Chandos 8367.

Nympholept, Tintagel etc.; London Philh., B. Thomson; Chandos 9168.

Spring Fire, Northern Ballad No. 2 etc.; Royal Philh., V. Handley; Chandos 8464.

Enchanted Summer etc.; Brighton Festival Chorus, Royal Philh., V. Handley: Chandos 8625.

Nonett, Oboenquintett, Harfenquintett, Elegiac Trio, Klarinettensonate; Nash Ensemble; Hyperion 66807.

Sinfonietta, Overture, Elegy and Rondo; Marco Polo 8.223102.

Symphonic Variations etc.; M. Fingerhut (Klavier), London Philh., B. Thomson; Chandos 8516.

Winter Legends etc.; M. Fingerhut (Klavier), London Philh., B. Thomson; Chandos 8484.

Cellokonzert etc.; R. Wallfisch (Cello), London Philh., B. Thomson; Chandos 8494.

Violinkonzert etc.; L. Mordkovitch (Violine), London Philh., B. Thomson; Chandos 9003.

Streichquartett Nr. 1, Klavierquartett etc.; Chandos 8391.

Streichquartett Nr. 2, Klavierquintett; Chandos 8795.

Oktett, Streichquintett etc.; Chandos 9602.

Werke für Klavierduo; J. Brown, S. Tanyel; Chandos 8603;

Klaviersonate in Es (Urfassung der 1. Sinfonie) etc.; J. McCabe; Continuum 1045.

21 Lieder Continuum 1046.

Violinsonaten Nr. 1 und 2; Chandos 8845.

Musik für Viola und Klavier; Olympia 454.

Sämtl. Werke für Cello und Klavier; ASV 896.

Klaviermusik in 4 Folgen; E. Parkin; Chandos 8496, 8497, 8732, 9561.

Ballettmusiken; London Philh., B. Thomson; Chandos 8863.

The Bard of Dimbovitza, Concertante für Klavier (linke Hand); J. Rigby (Mezzosopran), M. Fingerhut (Klavier), BBC Philh., V. Handley; Chandos 9715.

('Kleiner Lauschangriff' für Klassik Heute, 1999)