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Anton Bruckner (1824-96) Symphonie Nr. 8
in c-moll 2. Fassung (1890)

Zum Zeichen des letzten Gerichtes

I Allegro moderato II Scherzo. Allegro moderato Trio. Langsam Scherzo da capo III Adagio. Feierlich langsam,
doch nicht schleppend IV Finale. Feierlich, nicht schnell

Mit der Durchsetzung der Originalfassungen seiner Symphonien seit den dreißiger Jahren, und, zuvor schon beginnend, dem Einsatz der großen Exegetiker wie Ernst Kurth und August Halm, wurde Anton Bruckner im vergangenen Jahrhundert zu jenem umfassenden Ansehen in der musikalischen Fachwelt verholfen, das ihm, bei allem späten Erfolg, aufgrund seiner schöpferischen Einzigartigkeit einerseits, seiner linkischen Veranlagung in gesellschaftlichen Belangen andrerseits, zu Lebzeiten nicht in verdientem Umfang beschieden war. Und doch ist Bruckner auch heute noch ein Komponist, an dem sich die Geister scheiden, und von der weitestgehenden Unumstrittenheit seines Rangs, wie dies beispielsweise bei Beethoven oder auch Brahms außer Diskussion steht, kann man auch in näherer Zukunft wohl nur träumen. Ob er nun in einem populären Klassikmagazin ganz primitiv und ohne hinreichende Begründung als "meistüberschätzter Komponist aller Zeiten" gefleddert wird oder von manchem Mahlerianer als impotenter Vorläufer jener Symphonik, die "die ganze Welt enthalten" soll, milde belächelt wird: Es ist bis heute keine Selbstverständlichkeit, daß man seine Musik einigermaßen versteht und entsprechend würdigt. Was die Kommentatoren immer wieder zu gründlich unsachlicher Herabsetzung Bruckners verführt, ist – außer seiner Einzigartigkeit – gewiß das einmalige Auseinanderklaffen von Biographie und Werk. Betrachtet man seinen Werdegang, der aus der tiefsten Provinz des Dörfchens Ansfelden über die benachbarten Wirkungsstätten St. Florian und Linz in den kulturtreibenden Hexenkessel Wien führte, so wird man nirgends eine plausible äußere Erklärung für die immense Entfaltung schöpferischer Größe finden. Die Umstände geben keine Auskunft. Das hauptsächliche Rätsel bleibt die späte Entwicklung und umso plötzlichere Reifung zu höchster Originalität. Die handwerkliche Meisterschaft auch früherer Werke wie beispielsweise schon des Requiems von 1849 ist offensichtlich, und auch hier sind die Zeichen persönlicher Handschrift – bei aller feierlichen Archaik – unübersehbar. Jedoch sind die Dimensionen seiner Symphonik hier noch nicht zu erahnen. Schwerlich könnte man sich einen anderen Komponisten vorstellen, der an der kontrapunktistischen Fron, wie sie Bruckner sodann von 1855 bis 1861 unter der gestrengen Anleitung Simon Sechters auf sich nahm, in solch fortgeschrittenem Alter nicht künstlerisch zerbrochen wäre. Es ist bekannt, daß das Zusammentreffen des mühsam errungenen Bewußtseins der überlegenen Meisterung der Satztechnik mit dem durch Otto Kitzler vermittelten, überwältigenden Wagner-Erlebnis (dieser brachte den Tannhäuser 1863 in Linz) – welches Bruckner wie eine hochkünstlerische Verwirklichung der bei Sechter erlernten ewigen Gesetze anmutete, wie eine Flut die neue Harmonik über ihn hereinbrechen ließ und ihm das romantische Orchester nahebrachte –, der entscheidende Sprengsatz für die in Ketten gelegte kompositorische Imagination war. Und doch mutet es den meisten angesichts der Brucknerschen Veranlagung zwischen tiefer Gläubigkeit, schutzsuchender Unterwürfigkeit, zähestem Ehrgeiz und gesellschaftlichem Außenseitertum wie ein Wunder an, welche Eigentümlichkeit sich nun in seiner Musik Bahn brach, welch weitgespannte, nie erkundete Formverläufe sie erschloß. In der Tat ist dies ein Wunder, welches ohne die dafür zuständige Person mit all ihren Widersprüchen undenkbar wäre, die im Schaffensprozeß eben das Persönliche transzendierte – dies zweifelsohne Signum menschlicher wie künstlerischer Größe. An der äußeren Kraftentfaltung, an den gigantischen Ausmaßen seiner großen Werke kann Bruckners anhaltender Erfolg nicht primär liegen, auch wenn er hierin gerne als direkter Vorgänger Gustav Mahlers gesehen wird. Dann müssten Werke wie die – durchaus hochoriginelle und gewaltige – 'Gothic Symphony' von Havergal Brian, Felix Draesekes zyklisch überformte 'Symphonia tragica' oder Josef Suks 'Asrael-Symphonie' in irgendwie vergleichbarer Weise die Konzertsäle erobert haben.

Was Bruckner als Symphoniker seine Umgebung überragen läßt, ist – neben der Eigenart und Höhe der Erfindung sowie der handwerklichen Souveränität (die nicht minder für die Balance und Wirkungssicherheit seiner von Wagners Mischklang emanzipierten, klar registrierten Orchestration gilt) – vor allem die unbedingte Konzentration auf den Gesamtzusammenhang, zunächst innerhalb jedes einzelnen Satzes, zunehmend aber auch eine Symphonie als notwendig in sich bezogene Gesamtgestalt begreifend. Hier waren es die Finali der Vierten und Fünften Symphonie, in welchen Bruckner die Energien der vorangehenden Sätze schlüssig zu bündeln und in eine Apotheose des Gesamtwerks überzuführen vermochte. Im Finale der Fünften überließ er dabei dem Kopf des Hauptthemas aus dem ersten Satz entscheidende motivische Funktion auf dem Weg zur Kulmination der kontrapunktisch verzahnten, widerstreitenden Kräfte. Doch den unübertroffenen Höhepunkt solch zyklischen Bauens markiert die Achte Symphonie, wo die Auferstehung des Hauptthemas aus dem Kopfsatz, dessen Destruktion dort den Hörers erschütterte und unerlöst zurückließ, kurz vor der Coda des Finales eine alles zusammenfassende und überhöhende, unverrückbar beschließende Wirkung erzwingt. Hier geschieht das zyklische Prinzip der Romantiker – die finalisierende Wiederkehr elementar satzkonstituierender Charaktere – tatsächlich aus innerer Notwendigkeit, als unausweichliche Erfüllung symphonischen Schicksals. Von Ernst Schwanzara als Herausgeber seiner höchst wertvollen und glaubwürdigen Mitschriften von Anton Bruckners 'Vorlesungen über Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien' (Wien 1950, S. 150) ist dessen scheinbar kryptische, in ihrer Schlichtheit aber signifikante Aussage überliefert: "Im vierten Satze meiner Achten Symphonie kommen die Posaunen zum Zeichen des letzten Gerichtes an das Ende." Wohl kein Komponist sonst vermochte die Form unter Aufbietung solch extremer Kontraste und vollkommener Auslotung ihres gegensätzlichen Potentials noch zu beherrschen, die Korrelation von Anfang und Ende bezwingend zu erleben. Und nirgendwo ist das mit solch symbolhafter Unwiderlegbarkeit gelungen wie in der zweiten Fassung der Achten Symphonie, wo die Frage, die am desolaten Ende des ersten Satzes offenblieb, erst mit der ultimativen Wiederkehr des "Todesthemas", des Anfangs- und Hauptthemas der ganzen Symphonie, ihre Antwort erfährt. Bruckners Achte bietet im Finale tatsächlich jene "instrumentale Lösung der Tragik", die, fast zeitgleich, Felix Draeseke 1886 in seiner 'Symphonia tragica' anstrebte. (Draeseke 1907 anläßlich einer Leipziger Aufführung unter Arthur Nikisch: "Es war mir immer aufgefallen…, daß die Tragik, die durch Beethoven in die Instrumentalmusik eingeführt worden, rein instrumental weder in der Eroica, noch in der c-moll-Symphonie ihre ganz befriedigende Lösung gefunden habe – etwas Gleiches kann man auch von der Zweiten von Schumann behaupten – und Beethoven deshalb in der Neunten nochmals nach einer Lösung ausschauen mußte, die diesmal nicht auf rein instrumentalem, vielmehr auf vokalem Gebiet erfolgen sollte. Bei der Tragica kam mir der Wunsch, zu versuchen, ob es auf instrumentalem Weg nicht doch möglich sei, und diesem Wunsch verdankt das Finale die Entstehung.")

Um das wahre Ausmaß von Bruckners Symphonik zu erleben, genügt es nicht, wie dies heute die Musikwissenschaft gerne tut, sich bezüglich des melodisch-harmonischen Geschehens primär auf die Ebene des Motivisch-Thematischen zu konzentrieren. Die Basis des dynamischen Prozesses, die den Spannungsverlauf determiniert, ist die zugrundeliegende harmonische Entwicklung. Sucht man die Analogie zum Theater, so entspräche das harmonische Fortschreiten (also die Ebene der Tonalität) der Handlung, die thematisch-motivische Beschaffenheit hingegen der Typik der Protagonisten. Das Zugrundeliegende ist die Handlung, die über die Handelnden ausgetragen und von diesen mitkonstituiert wird. Die sogenannte Zwölftonmusik übrigens gab als rein dem Motivisch-Thematischen verpflichtete Musik, so betrachtet, die Idee der Handlung von vornherein auf und übergab die alleinige Verantwortung für die Fortschreitung den Protagonisten (ihren Tonreihen): Sie gipfelte mithin im Paradoxon eines "handlungsfreien Aktionsraums". Bruckners weiträumiger, großdisponierter Umgang mit der Harmonik, sein bewußtes Operieren mit Erwartung, Enttäuschung und Erfüllung, ist – im Zusammenspiel mit der äußerst prägnanten und ergiebigen melodisch-rhythmischen Erfindung – Grundvoraussetzung für die immense Spannkraft der Form, die an die Grenzen des Faßlichen getrieben ist, ohne sie zu sprengen und damit vom erlebten Bezug der Teile untereinander und zum Ganzen ins Spekulative umschlagen zu lassen. Die integrative Funktion der Harmonik, mithin das eigentliche Ausmaß des zusammenhängenden Geschehens unmittelbar sinnfällig werden zu lassen, ist die hohe Grundforderung Bruckners an seine Interpreten.

Von Bruckners Achter Symphonie existieren zwei in entscheidenden Momenten stark voneinander abweichende Fassungen, unter welchen die zweite und endgültige (in den zwei sehr unterschiedlichen Gesamtausgabe-Partituren von Robert Haas und Leopold Nowak) die bis heute üblicherweise gespielte ist. Mit der Arbeit an der ersten Fassung begann Bruckner im Sommer 1884 und vollendete sie am 10. August 1887. Da Hermann Levi in München für die siebente Symphonie den überwältigendsten Erfolg erzielt hatte, bot ihm Bruckner nun die Achte zur Uraufführung an. Doch Levi, der sich zunächst hocherfreut gezeigt hatte, fand sich in dem neuen Werk nicht zurecht und bekannte umgehend in einem Brief vom 30. September an Josef Schalk unter anderem, er finde "die Instrumentation unmöglich und was mich besonders erschreckt hat, ist die große Ähnlichkeit mit der 7ten, das fast Schablonenmäßige der Form." Er riet Bruckner zu einer Umarbeitung. Dieser, in tiefste Depression gestürzt, machte sich im Oktober an die neue Fassung, und am 27. Februar 1888 schrieb er an Levi: "Freilich habe ich Ursache, mich zu schämen – wenigstens für dieses Mal – wegen der 8. Ich Esel!! Jetzt sieht sie schon anders aus." Doch es sollte lange dauern bis zur neuerlichen Fertigstellung. Unterbrochen durch die dritte Überarbeitung der Dritten und Revisionen an der Vierten Symphonie, wurde die Endfassung der Achten erst zwei Jahre später, am 10. März 1890, abgeschlossen. Levi allerdings dirigierte sie auch dann nicht und empfahl Felix Weingartner in Mannheim, dem Bruckner am 27. Januar 1891 folgendes kuriose "Programm" zu dem Werk zukommen ließ:

"Im 1. Satze ist der Tromp. und Cornisatz aus dem Rhythmus des Thema: die Todesverkündigung, die immer sporadisch stärker endlich sehr stark auftritt, am Schluß: die Ergebung. Scherzo: H[au]p[t]-th[ema].: deutscher Michel genannt; in der zweiten Abtheilung will der Kerl schlafen, u. träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um./Finale. Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; (komisch), wie bei Tannhäuser im 2. Akt der König kommt, so als der deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist Alles schon im Glanz. Im Finale ist auch der Todtenmarsch u. dann (Blech) Verklärung."

 

Auch Weingartner, der das Finale "etwas 'wüscht'" fand, übernahm nicht die Uraufführung, die schließlich doch noch im selben Jahr in Wien durch die Philharmoniker unter Hans Richter am 18. Dezember 1892 stattfand und sich zu einem Triumph für Bruckner gestaltete.

(Bis hierher gedruckt als Einführungstext für Salzburger Festspiele 2000)

1. Satz

Der Kopfsatz des in c-moll stehenden Werkes beginnt mit einem Orgelpunkt der Unterquinte F, gegen die sogleich das düster sich emporreckende, gezackte, von Pausen durchsetzte Hauptthema exponiert wird. Das expressiv fallende Geigenmelos des Nachsatzes will zur Grundtonart kadenzieren, doch stattdessen kehrt der F-Beginn wieder, nunmehr im Fortissimo. Die Suche und Unrast des gesamten erstthematischen Komplexes ist symptomatisch für den ganzen Satz, der in der ersten Fassung nach dem Ersterben der Schlußfloskel des Hauptthemas mit einer aus diesem Thema gebildeten, wuchtigen Fortissimo-Fläche schloß. Diesen Schluß strich Bruckner in der zweiten Fassung ersatzlos, und es ist dies die auffallendste und hörpsychologisch folgenreichste Änderung, die er überhaupt bei der Überarbeitung der Symphonie vornahm. Sie ist nicht aus der Anlage des ersten Satzes heraus motiviert, sondern fraglos aus der Gesamtanlage der Symphonie, um den Bezug zum Finale noch bezwingender zu gestalten. Denn nun ist es tatsächlich so, daß das Hauptthema, welches am Ende des ersten Satzes stirbt, zum Ende des letzten Satzes in vierfacher Vergrößerung wieder aufersteht. Die Exposition des ersten Satzes bringt zur schroffen Welt des Hauptthemas zwei Gegenwelten in Opposition: das gesangliche zweite Thema mit dem Brucknerschen "Lieblingsrhythmus" Duole gegen Triole, also zwei contra drei (welcher schon in der Entfaltung des ersten Themas, in der fallenden Sequenzmelodie, vorbereitet wird). Das dritte Thema ist vor allem motorisch schreitenden Charakters (hier wird das zweite Thema eingewoben). Wie den neu eintretenden Themen vorbereitende Phasen voraufgehen, so sind auch die großen Formabschnitte mit solchen Vorhöfen versehen. In der Durchführung ist es die Gegeneinanderführung der thematischen Essenzen, die die Auseinandersetzung bestimmt, die Entfaltung der Themenwelten ist der Exposition und der Reprise überlassen. Auf drei Stufen erscheint in der Durchführung das Hauptthema, kontrapunktiert vom zweiten Thema (f, as und c), und die dritte markiert den Höhepunkt, dessen Abebben eine mächtige Unisono-Welle artikuliert, die motivisch aus dem Hauptthema gewonnen ist. Hier, in der Durchführung, hat Bruckner in der zweiten Fassung dem modulatorischen Plan noch weiträumigere Stringenz verliehen als in der klanglich rauheren ersten Fassung. Die Reprise tritt durchführungsartig verschleiert, tonal zunächst nicht erkenntlich, ein – ihr Kennzeichen ist die Wiederkehr der thematischen Fortspinnung, doch die Erwartung der Beruhigung wird enttäuscht. Das dritte Thema mündet nunmehr in eine Steigerung, die den völlig überraschenden Ausbruch herbeiführt, wo vom Hauptthema nur noch der insistierende Rhythmus übrigbleibt. Hier verkehren sich die Verhältnisse in höchst dramatischer Weise: Der Themakopf ist völlig erstarrt auf c, die Harmonik agitativ dagegen gesetzt. Das gefrorene Motiv bleibt in Trompeten und Hörnern alleine übrig und kommt zum Stillstand. Das c der Pauke leitet zu einem schattenhaften Nachklingen, jetzt wieder des ausmelodisierten Themas, über, von welchem nun nur noch die Schlußfloskel übrigbleibt, die sich bis zur Ermattung fortspinnt, als sich totlaufende Fortwirkung des Ausbruchs-Schocks.

2. Satz

Das Scherzo steht in der Achten Symphonie erstmals vor dem Adagio, an zweiter Stelle, nach dem Vorbild von Beethovens Neunter. Es ist wie stets bei Bruckner eine A-B-A-Form, wo ein identisch zu wiederholendes, bewegtes Scherzo ein behaglicheres Trio umrahmt (lediglich in der Neunten ist – wie in Beethovens Neunter, wenn man die Tempoverhältnisse richtig wiedergibt – das Trio bewegter als das Scherzo). Das Scherzo steht in c-moll, das Trio im nahen As-Dur. In sich sind Scherzo und Trio auch jeweils A-B-A-Formen. Das obsessive Scherzo-Thema ist Bruckners kryptische Hommage an den Deutschen Michel. Das Trio wurde in der zweiten Fassung völlig neu, unter Hinzunahme der Harfen, komponiert. Statt mit 'Allegro moderato' ist es nun mit 'Langsam' bezeichnet. Die einzige Reminiszenz an das Thema, mit dem das Trio der ersten Fassung anhob, findet sich in der zweiten Fassung in dem entrückten Mittelteil unmittelbar vor der Reprise des jetzigen Triothemas, zuerst wie entrückt in der Oboe (dies der äußerst introvertierte Höhepunkt des Satzes), dann 'ausdrucksvoll breit' in den Bratschen, vom Vorhergehenden wie vom Folgenden durch Pausen getrennt und wie aus einer anderen Welt herüber grüßend.

3. Satz

Die Anlage des Adagios ist fünfteilig in der zweimaligen Alternanz zweier Themenwelten und der daraus resultierenden großen Steigerung mit ihren heftigen Nachbeben und der alle Spannung aufhebenden Coda. Diese fünfteilige Form geht, auch in der energetischen Morphologie, auf das Adagio aus Beethovens Neunter Symphonie zurück, an welches Bruckner noch erkennbarer im langsamen Satz seiner Siebenten anknüpfte, wo auch der Wechsel der sehr breiten mit einer etwas bewegteren Tempoebene auf das Vorbild verweist. Damit aber erschöpfen sich die Parallelen, und im Adagio der Achten fällt auch der Tempokontrast weg. 'Feierlich langsam; doch nicht schleppend', beginnt dieses am weitesten ausschwingende (in Des-Dur – der unterquintverwandten neapolitanischen Tonart zu c-moll – stehende) Adagio Bruckners mit einem rhythmisch schwer faßlichen, seltsam schwerelosen Streichergrund, über dem das Hauptthema in den ersten Geigen, zunächst die Quinte as umkreisend, eintritt. Dieser um einen Ton gewundene Themenkopf ist geradezu symbolisch für die motivische wie harmonische Beharrungskraft des ganzen Satzes, der immerzu spürbar zur Ausgangstonart Des-Dur zurückstrebt. Die Welt des zweiten Themas, welches nach der zweiten Vorstellung des ersten Themas erstmals in den Celli, beginnend mit der fallenden kleinen Sexte, eintritt, ist in ihrer modulatorischen Mobilität dem Hauptteil extrem entgegengesetzt und findet nur in dem berückenden Tubensatz zu relativer Ruhe. Die zweite Entfaltung der erstthematischen Welt ist streckenweise von abgründigster Verzweiflung durchdrungen (hierin vergleichbar allenfalls dem langsamen Satz der Fünften Symphonie), hat in der kontrapunktischen Verdichtung schon mehr durchführenden Charakter und führt zu einem ersten Höhepunkt. Wiederum tritt die zweitthematische Welt dazwischen, bevor mit der Sextolen-Figuration der Bratschen die eigentliche große Steigerung (erstthematisch gebunden) ansetzt. Der Höhepunkt, was die Innenspannung betrifft, wird mit dem harschen Fortissimo-Aufbäumen des Hauptthemas (Trompeten, Posaunen, Holzbläser) in unerbittlichem Duktus markiert, der später folgende Höhepunkt an äußerer Intensität (mit Becken und Triangel) ist eine Wendung dieser dunklen Energie ins Strahlende. Zwischen diesen zwei kruzialen Stationen hat Bruckner gegenüber der ersten Fassung erhebliche Kürzungen vorgenommen, die den Satz insgesamt schlüssiger erscheinen lassen. Auch die Verlegung des äußerlichen Höhepunkts von C-Dur nach Es-Dur (mit dem gigantischen Ces-Dur-Trugschlußklang) war im Gesamtzusammenhang ein glücklicher Entschluß, der später das C-Dur des Finalschlusses unverbrauchter erscheinen läßt. Die angesammelte, berstende Spannung löst sich mit unerschütterlicher Größe und Ruhe in der friedvollen Weitflächigkeit der Coda dieses visionären Adagios.

 

4. Satz

Wie der Kopfsatz beginnt auch das Finale (eigentlich eher ein weiterer langsamer Satz, doch nach dem Adagio von durchaus zügiger Wirkung) ohne den sicheren Boden der Grundtonart, diesmal gar mit dem Tritonus fis. Erst im Verlauf des stürmischen, scharf punktierten "Kosakenthemas" konstituiert sich c-moll. Das sehr innige zweite Thema ist deutlich langsamer zu nehmen. Hier ergibt sich einmal eine solche Nähe zum Adagio der Siebenten Symphonie, daß Bruckner auf ganz organische Weise mit einem Zitat "fremdgehen" kann (T. 93 ff.). Das dritte Thema ist deutlich motorisch-gravitätisch ausgeprägt, quasi unisono. Der Gegensatz zwischen den drei Themenwelten ist hier viel schärfer hervortretend als im ersten Satz. Die Exposition schließt mit einer gewaltigen Fortissimo-Affirmation der Kombination von erstem (Bläser) und drittem (Pauken und Streicher) Thema. Ständiger Wechsel der Charaktere, der Themen und ihrer Beleuchtung prägt die Durchführung, und doch wirkt der (wie im ersten Satz dreistufig erreichte) Höhepunkt angesichts des kontrastierenden Potentials enttäuschend. Auch der lange, mit mehreren Anläufen verbundene Rückweg zur Reprise bringt keine rechte Entspannung. Die Reprise des ersten Themas verdichtet zu zwei massiven Kulminationen, die erhebliche Unruhe stiften. Der knappen Rekapitulation des zweiten Themas folgt dann die viel breitere Wiederkehr des dritten Themas, welches nun den Steigerungsgrund für die finale Kulmination – den Höhepunkt nicht nur dieses Satzes, sondern der ganzen Symphonie – liefert: Das "Todesthema", das Hauptthema des Kopfsatzes, kehrt in Trompeten und Posaunen zurück, "zum Zeichen des letzten Gerichtes". Danach fällt der Satz in sich zusammen, die Widerstände sind gebrochen, die Coda hebt an, mit der urmelancholischen Melodie der Tenortuba, und moduliert in bezwingender Weise nach C-Dur, wo sich zum krönenden Schluß die vier Hauptthemen der vier Sätze in kontrapunktischer Verstrebung übereinandertürmen (wobei das Thema des Adagios auf dem Papier deutlicher aufscheint als im klingenden Raum). Das letzte Wort bei dieser symbolischen Vereinigung der Themen hat wiederum das Hauptthema des Kopfsatzes, dessen Schlußfloskel, im Gegensatz zum desolaten Ende des ersten Satzes, zuletzt das ganze Orchester sieghaft umspannt.

Christoph Schlüren