Um Gustav Kuhn, den "Erl-König
der Jahrtausendwende" und Inntal-Rebellen, spinnen sich nicht
nur Legenden, sondern vor allem handfeste Tatsachen. Der "Ring
des Nibelungen" geht in der Tiroler Provinz in die zweite Runde
allerdings nicht mit der "Walküre", sondern
mit "Siegfried" und einem Drachen übrigens, der verdammte
Ähnlichkeit mit den "Friedensbombern" unserer Tage
haben soll
Außer Wagners "Siegfried" in hochkarätiger
Besetzung (17. und 24.7.) bringen die Tiroler Festspiele Erl (in
der noblen Akustik des Erler Passionsspielhauses) an weiteren Hauptwerken
des romantischen Repertoires: Anton Bruckners Achte Symphonie (10.7.),
das Deutsche Requiem von Johannes Brahms (11.7.), das Requiem von
Giuseppe Verdi (18.7.), Richard Strauss "Also sprach
Zarathustra" (25.7., zusammen mit Johann Strauß d. J.)
und Rimskij-Korssakows "Scheherazade" (31.7.). Außerdem
bieten die Festspiele einen hohen Anteil neuer Werke, so
sicherlich am auffälligsten eine "Missa intergalactica"
(morgens am 11.7., zeitlich zwischen Bruckner und Brahms), die sich
aus den zwei umliegenden Galaxien, der Achten Bruckner und dem Brahms-Requiem,
bedient, welche "wir kontrapunktisch verknüpfen und darüber
die Einfachheit des Dorfklanges legen". Gustav Kuhn und Pepe
dOnghia besorgten für diese Messe, die im üblichen
Meßbetrieb gegeben wird, Kyrie, Credo und Agnus Dei. Die drei
übrigen Sätze steuern Andreas Schett und Markus Kraler
bei. Auf jeden Fall eine volksnahe Angelegenheit. Nicht so der Auftritt
des Organisten Wolfgang Mitterer (vor Bruckner), dessen Musik "wirklich
so klingt, wie wenn ein Schnellzug entgleist so was
von schräg!"
Zur Eröffnung am 10.7. um null Uhr auf dem Kalvarienberg steht
Franz Hackl im Mittelpunkt, "einer der wenigen Europäer,
die in New York als Jazzer Karriere gemacht haben". Schön,
aber wer, bitteschön, ist Brigitte Tannich? "Das ist ein
Gehversuch, quasi ihr Opus 1 mit bewußt einfachem, schlichtem
Material. Denn wir wollen die Öffnung auch fürs absolut
Unetablierte." Dazu gibts Herbert Grassl "einer
der verdienstvollen Altrevolutionäre aus Südtirol, das
Stück ist für kleine Trommel" und Marco Tutino
mit "einem typischen 80er-Stück in neuer Einfachheit"
(14.7., Pfarrkirche Ebbs). Am selben Ort wird am 28.7. das Streichquartett
"Dichotomie" von Johannes Maria Staud uraufgeführt,
das wegen der hohen technischen Anforderungen vom letzten Jahr auf
heuer verschoben wurde: "Sehr komplizierte 'Lesemusik', der
100prozentige Gegenpol zu unserer freibeuterisch-intergalaktischen
Missa". Und am 31.7. werden die "Sommerbilder. Impressionen
für Orchester, Chor und Solisten" von Hans-Jürgen
Doetsch, dem Leiter des Inntal-Chores, aus der Taufe gehoben
"eine ganz volksnahe, aus seinem Chorklang entwickelte Musik.
Er hat seinen Chor 20 Jahre lang aufgebaut und ist mein 'Standbein
über dem Inn', im bayerischen Oberaudorf. Der Doetsch ist ein
Lokalmatador und echter Freund des Festivals. Und er kann hier machen,
was er will, und es kommen mindestens 3000 Leute. Sein Stück
geht so 35 Minuten. Er liebt gewaltige Themenstellungen: Im kommenden
Jahr kommt von ihm das Alte Testament!"
Große Pläne hat man in Erl für das Jahr 2000, so
neben der 5. Symphonie von Bruckner (mit finaler Orgel in der "Schalk-Kuhn-Fassung"!),
Beethoven-Symphonien und dem Mozart-Requiem die Sinfonie opus 21
von Anton Webern mit einem Monat (!) Proben. Das ist konsequent.
Und dann soll, denn "auch da wollen wir höchstes Niveau,
internationale Statur", mit dem Schweden Anders Eliasson einer
der führenden Komponisten unserer Zeit als Composer-in-residence
zugegen sein. Wahrscheinlich wird sein großes, 1998 vollendetes
anarchisches Oratorium "Dante Anarca" zur Aufführung
kommen Revolutionäre unter sich: "Wir haben die
Idee, das kompositorische Element praxisbezogen einzusetzen. Da
brauchen wir auch einen Komponisten mit echt vitaler Qualität
als 'Kontra-Galaxis' einen, der uns versteht, und den wir
verstehen können."
Christoph Schlüren
(Vorschau 1999) |