Barbirollis später
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Es ist eine der nicht seltenen Unbegreiflichkeiten, daß der späte Sibelius-Symphonienzyklus John Barbirollis mit seinem Hallé Orchestra erst jetzt erstmals auf CD erhältlich ist (sämtliche Stereo-Sibelius-Aufnahmen Barbirollis auf 5 CDs). Ist Barbirollis Gesamteinspielung dieser hierzulande so schändlich vernachlässigten Meisterwerke nach wie vor die beste geblieben. In Einzelfällen kann man Celibidache, Beecham, Stokowski oder Karajan den Vorzug geben. Doch wer sonst hätte so intensiv das Spezifische, den Charakter dieser so unterschiedlichen Werke erfaßt, sich so eingelebt in die Geheimnisse, das Unergründliche dieser Welten. Unter Barbirollis Stabführung kamen nicht nur Elgar und Mahler zu höchster Entfaltung. Dabei bewahrt Sibelius Musik nicht nur ihre Aura des Rätselhaften, sondern vermag den Hörer in einem fort zu verzaubern. Wer hätte die inwärtsdriftenden Energien der Vierten je so suggestiv Gestalt annehmen lassen, wer die fragil-innige Schönheit der Sechsten so zur Entfaltung gebracht? Auch die Dritte dürfte so überzeugend kaum woanders erklungen sein. Barbirollis Tempi der späten Jahre sind wesentlich breiter, was nicht stocken und schleppen bedeutet, sondern extremen Reichtum des Ausdrucks in traumwandlerischer Übereinstimmung mit den musikalischen Inhalten. Nicht nur das Tiefschürfende,
weltverloren Mystische liegt Barbirolli, sondern ebenso die frische,
ansteckende, dabei aber kultivierte Musikanterie, die z. B. seine
'Karelia-Suite' zu einem Glücksfall werden läßt.
Wer sich Sibelius ernsthaft nähern möchte, finden hier
den optimalen Zugang (überdies zu einem günstigen Preis).
Wer hingegen meint, er kenne schon alles von Sibelius, sei dringend
auf diese zeitlos prächtigen Tondokumente (ausgezeichnetes
Klangbild!) verwiesen, die ein Neuerleben und -durchdringen dieser
Symphonien, welchen ein zentraler Rang im 20. Jahrhundert zukommt,
ermöglichen. |