Fleisch auf den KnochenAltes und Neues von Henze |
Nach der allgemeinen Ernüchterung
über Hans-Jürgen von Boses Strandgut-Spektakel Schlachthof
5 in der Bayerischen Staatsoper durften sich die interessierten
Münchner an den folgenden Tagen umsomehr weiden an handwerklich
einwandfrei, ja grandios gearbeiteter zeitgenössischer Musik.
Ohne das erforderliche Können gerät eben noch so bunter
ideeller Schwall noch lange nicht zur beflügelten, beflügelnden
Komposition. Nun aber galt es, Henze zu feiern, der mit dieser in
ihren geistigen Grundfesten so konservativen Stadt fruchtbar genug
verbunden ist, um als vermeintlicher Held die Schilde seiner eigentlichen
Widersacher zu zieren. Da wimmeln die Bauchpinsel-Orden zuhauf auch
für die Gesinnungsrichter von einst, und vielleicht richtet
man ja demnächst am Königsplatz eine Ehrenkaserne für
Fidel Castro ein... Die Partitur hat nichts von ihren
mächtigen Wirkungen eingebüßt, hat wo hilfreich
Strawinskij, Hindemith, französischen Impressionismus und Britten
aufgesaugt und ist einige Male, Bach sei Dank, ungeheuer ergreifend
- so, wenn nach Pentheus' Ermordung Agaves "brighter, clearer"
durch das BACH-Motiv ausgedrückt wird und nach ihrer Klage
die Bassariden das Götterlob zu Klängen der Matthäus-Passion
anstimmen. Karl Amadeus Hartmanns Sprache war ungleich strenger,
herber. Drei Sätze aus seiner Klaviersonate 1945 orchestrierte
Henze (das Scherzo entfiel, das Finale kam in der eigentümlicheren
Erstfassung zum Zuge), und die kamen nun in einem Musica-Viva-Konzert
des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter Lorin Maazel
zur Uraufführung. Die Adaption ist Henze vortrefflich gelungen,
auch wenn hier eher knochige Gebilde meist mehr Fleisch erhielten
als Hartmann ihnen gegönnt hätte. Die Instrumentation
ist sehr originell, so in der Mischung von Saxophon mit Flöten
oder in den Heckelphon-Aulodien. Wie Henze aus der fast fragmentnahen
Faktur des Finales ein konzises symphonisches Charakterstück
geschaffen hat, das zeugt von höchster Kunst und gibt dieser
Bearbeitung eine Zukunft. Maazel hatte wie stets "alles im
Griff", blieb jedoch dem Trauermarsch Getragenheit und emotionelle
Substanz schuldig und dem Gebrodel der tiefen Register im Schlußsatz
die Trennschärfe. Nach der Pause leitete er die europäische
Erstaufführung seines Cellokonzerts mit dem famosen Solisten
Wen-Sinn Yang: Don Quixote auf amerikanisch, Strauss als psychologischer
und musikantischer Vater. Es fängt herrlich kapriziös
und subtil an, doch bald siegen Theatralik und effektives Kalkül.
Fantastisch organisierter, wild bewegter Lärm und windstille
Lichtlandschaften sind von imposanter Gegenständlichkeit, Nahtstellen
und Durststrecken sind kunstfertig überbrückt. Lediglich
die bildhafte Orchestration ist von zeitloser Qualität. |