FELIX DRAESEKE4. Symphonie e-moll / G-Dur WoO 38 "Symphonia comica"Partitur: Edition Nordstern, Stuttgart 1996 |
Über lange Zeit von Musikgeschichtsschreibern als der bedeutendste unentdeckte
deutsche Komponist der ausgehenden Romantik gehandelt, ist Felix
Draeseke bis heute ein Unbekannter geblieben, der mit keinem Werk
Eingang ins gängige Repertoire fand, dessen Hauptwerke so gut
wie nie zu hören sind. Dabei waren es immerhin Musiker wie
Arthur Nikisch, Fritz Reiner oder Edwin Fischer, die sich auch nach
seinem Tod noch nachhaltig für sein Schaffen einsetzten. Keines
seiner symphonischen Werke ist bisher auf CD erschienen. Draeseke,
1835 in Coburg geboren, studierte in Leipzig und wurde ein feuriger
Vorreiter der Neudeutschen Fortschrittskreise um Liszt. Es folgte
eine Phase der Verinnerlichung und Selbstfindung im Lausanner Exil,
bevor er nach Dresden ging, wo er als Kontrapunktist hoch geachtet,
als Komponist jedoch stets umstritten war. Brahms sah in ihm einen
echten Konkurrenten, der junge Richard Strauss eiferte ihm hörbar
nach. Fast gänzlich ertaubt starb Draeseke 1913. Ungünstig
für ihn sollte sein, daß er sich in den letzten Jahren
mit seiner Streitschrift "Die Konfusion in der Musik"
in Widerspruch zur aktuellen Moderne gebracht hatte, und vor allem,
daß er wohl primär aufgrund seiner germanischen
Heldenopern später von den Nationalsozialisten entdeckt
und gefeiert wurde. |
Das komische, humoristische Element in dieser "Symphonia comica" äußert sich nicht in geschraubten Gags und herausposaunten Witzen. Vielmehr ist hier Humor formbildendes, den Tonbeziehungen innewohnendes Prinzip. Nur wer sich ganz in diese eigentümliche Welt hineinbegibt, wird die Launen des Komponisten erkennen. Anderen dürfte vieles eher bizarr und abrupt erscheinen. Denn auch wenn der zugrundegelegte harmonische Plan weit und schlüssig disponiert ist Draeseke ist ein extrem wendiger Harmoniker, der ständig der Erwartung entwischt. Auf sehr spezielle Weise hat sich hier der einstige Aufbruchsgeist der Neudeutschen mit einer bündelnden Klassizität vermählt. Die kleinen Artikulationen sind sehr kurzatmig, was bei ungenügend durchgestalteter Ausführung einen hektischen und künstlich erhitzten Eindruck macht. Draesekes Musik, und vor allem dieses so knapp und exakt ausgezirkelte Spätwerk, bedarf dringend erstrangiger Interpreten. Gerät sie in berufene Hände, so wird sie zur sensationellen Entdeckung. Die "Symphonia comica" ist absolute Musik und genügt sich als solche, auch wenn der langsame zweite Satz, der "Fliegenkrieg", ein skurriles Programm mitträgt, wo Fliegen (Geigen) den Großvater (Celli) stechen, worauf die Jugend sich mit der Fliegenklatsche auf die wilde Jagd begibt. Eine überlebende Fliege dient mit ihrem finalen Stich dem Reprisebedarf. Man kann alles auch mit Amüsement ohne diese schwirrenden Assoziationen genießen. Der langsame Satz ist der längste. In den schnellen Sätzen staunt man immer wieder, wie fern und nah zugleich ein Symphoniker dem für ihn unumgänglichen Beethoven stehen kann, der ja auch kein unzulänglicher Komiker war. Und hier scheint doch eine versteckte Motivation für die späte Heiterkeit greifbar bei einem Komponisten, der für seine Zeitgenossen eher Ernstes, schwer Errungenes symbolisierte ein Abschied, der uns gelassen selbstironisch in eine rätselvoll reiche Welt blicken läßt, die, Wagner überwindend, neben Brahms und Bruckner existierte. Christoph Schlüren (Rezension für 'Das Orchester') |