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Franz Berwald

Kammermusik mit Bläsern – Originalstil zwischen Schubert und Berlioz

Berwalds Symphonien und späte Kammermusik tragen äußerst persönliche stilistische Züge höchster Originalität. Der Mangel an Erfolg zu Lebzeiten mag auch mit der äußerst heiklen und virtuosen Führung der Streicherpartien zusammenhängen - nur exzeptionelle Musikanten können dem Natürlichkeit, ungezwungenen Fluß verleihen. Schon der frühe Berwald zeigt unverwechselbares Profil. Ein besonderes Signum seiner formalen Konzeption ist die Hereinnahme des Scherzos in den Adagio-Rahmen: in der 'Sinfonie sérieuse' angedeutet, in der 'Sinfonie singulière' voll ausgeführt - doch schon viel früher, im 'Grand Septuor', hat Berwald diesen Plan exemplarisch durchgeführt. In den schnellen Sätzen besticht er durch rhythmische Extravaganz und harmonische Kühnheit, filigranen Kontrapunkt und kleingliedrig sequenzierende, oft überraschend geführte Melodik. Echte Größe beweist er in der erfüllten Schlichtheit und heiteren Ruhe seiner Adagio-Sätze, die trotz ihrer Ferne zu jeglicher Überladung extrem breite Tempi vertragen, ja geradezu fordern, um ihren idyllischen Charakter entfalten zu können. Bei aller Wildheit und Emphase seines Naturells war Franz Berwalds Formbeherrschung außergewöhnlich. Man könnte Berwalds Position zwischen Schubert und Berlioz lokalisieren, wäre nicht sein eigener Anteil so unüberhörbar. Manchmal nahm er bereits das vorweg, was später als "nordischer Ton" um die Welt geisterte, und einige Male - so im Adagio des Septetts - antizipierte er die Brahmssche Tonwelt. Franz Berwalds den Tagesmoden enthobener Ausdrucksbedarf mußte den Zeitgenossen wohl ein unlösbares Rätsel sein - für uns sind seine Werke von umso größerem Interesse.

Septett in B-Dur

Es ist nicht geklärt, ob Franz Berwalds Septett für Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabaß von 1828 identisch ist mit seinem 1818 aufgeführten Septett gleicher Besetzung. Da Berwald jedoch nirgendwo ein zweites Septett erwähnt, ist es nicht unwahrscheinlich, daß es sich um dasselbe Werk handelt. Die Besetzung entspricht den damals sehr beliebten Septetten von Beethoven, Conradin Kreutzer und Hummel. Dem ersten Satz, Allegro molto, geht eine knappe, stolze Adagio-Introduction voraus, die thematisch mit der Allegro-Eröffnung verbunden ist wie auch mit dem unprätentiösen Schluß des Satzes. Die Einflüsse Beethovens und Spohrs scheinen durch, sind aber bereits zu eigenständiger Aussage verschmolzen. Die motivische Verarbeitung ist konsequent, doch keineswegs schulmäßig, sondern stets wagemutig und voller überraschender Wendungen. Berwalds typischer Hang zum Sequenzieren ist hier noch nicht so ausgeprägt wie in vielen späteren Werken, das Melos wirkt gelöster. Die Sonatenform hat den

 

 

Zwang der Expositions-Wiederholung zugunsten unmittelbarer formaler Dynamik abgeschüttelt. Das friedvolle, auf Brahms vorausweisende Poco adagio gibt bald nach einer mysteriösen tremolo e pianissimo-Passage zur Mitte hin Raum für ein äußerst gegensätzliches 6/4-Prestissimo-Scherzo, das seinerseits noch einen kurzen 2/2-Fugato-Mittelabschnitt umrahmt. Zur Wiederaufnahme des Anfangstempos, nunmehr Adagio, steht das Finale, Allegro con spirito, in wirkungssicherem Kontrast. Vieles in der instrumentatorischen Bizarrerie ist hier typischster Berwald, wie wir ihn aus den später entstandenen Symphonien kennen, so die auftaktig akzentuierten Einwürfe im Horn bzw. Fagott, die schemenhaft dahintreibende Melodik, das rhythmische Secco, der lakonische Scherz. Das Septett stellt allerhöchste Ansprüche an Virtuosität, Klangsinn und Ensemblegeist aller beteiligten Musiker, vor allem in der Geigenpartie.

Quartett für Klavier und Bläser in Es-Dur

Das Quartett in Es-Dur für Klarinette, Fagott, Horn und Klavier schrieb Berwald 1819 nach dem (ersten?) Septett und den ersten zwei Streichquartetten. Beethoven, Spohr und Weber sind als Vorbilder offenkundig, ohne die Fantasie des 23jährigen zu behindern. Der sonatenförmige erste Satz, Allegro ma non troppo, dem eine kurze Adagio-Einleitung vorausgeht, gipfelt in einer dramatischen Durchführung. Schon die ersten Takte des Allegro sind in der engmaschig filigranen Imitationsweise von unverkennbarer Eigenart. Die Klavierkaskade, die zur Reprise zurückführt, ist von auffallend Beethovenschem Impetuoso, wie auch das Fugato im Schlußsatz. Der zweite Satz, ein liedartiges, klar gegliedertes kleines Adagio, hat einleitende Funktion zum finalen Allegro. Viel Beethoven-naher Humor funkelt aus den oft kapriziösen Simplizismen und feinsinnigen Banalitäten. Er will begriffen sein.

Christoph Schlüren

(aus: Einführungstext für Naxos CD)