Rihm und lichter SchattenUraufführungen von Rihm, Fritsch und Aho |
München. Seit Udo Zimmermanns Amtsantritt vor zwei Jahren als künstlerischer
Leiter ist die traditionsreiche musica viva-Reihe des Bayerischen
Rundfunks populär wie lange nicht mehr, und vor allem die Konzerte
des Symphonieorchesters "wie üblich" ausverkauft!
sind von nachhaltigem Erfolg begleitet. Vielleicht hängt
es auch mit einer mittlerweile bewährten Mischung von großen
Jahrhundertnamen Klassikern der Moderne sozusagen
und Uraufführungen zusammen. Diesmal, unter der energischen
Leitung Sylvain Cambrelings, bildeten Charles Ives jugendfrisch
betagte Three Places in New England den Abschluß. Die Außensätze
vertragen deutlich mehr pianissimo, alle drei Stücke verlangen
eine deutlichere Herausarbeitung der widerstreitend verschränkten
Strukturen, der zentrale Marsch sollte nicht zu früh in Radau
umschlagen. Doch im Rhythmischen erreichte Cambreling weitgehend
Untadeliges. Die nach wie vor kühn und aktuell anmutende Musik
erntete Begeisterung. Und doch: gehört sie nicht vor allem
in die gewöhnlichen Abonnementkonzerte, anstatt die musica
viva aufzupeppen? Davor gab es zwei Uraufführungen: zu Beginn
ein nahezu 40-minütiges Konzertstück für zwei Schlagzeuger
und großes Orchester mit quadrophonischer Klangregie des Komponisten
Johannes Fritsch an den Reglern, von den Solisten Jean-Pierre Drouet
und Isao Nakamura bravourös gestaltet und mit dem Orchester
intensiv einstudiert. Fritsch will alles und nichts, letzteres vielleicht
auch, weil alles sowieso nicht zu bekommen ist. Also sabotieren
hohles Pathos und infantile Witzeleien einander ohne Unterlaß.
Zitate aus den Schatzkästlein berühmter Melodien und Kadenzen
gären aufdringlich, pseudo-liturgische Einstimmigkeit wird
ausgewalzt, die second hand-erfinderische Beliebigkeit steckt luxuriös
ausgestattete Freiräume ab, das Ganze ein Refugium zur kindergärtnerischen
Betreuung durch den Kapellmeister. Der gigantische Aufwand für
so wenig Substanz mag als Folge günstigen Auftragsschicksals
durchgehen, er senkt die Aussichten auf Wiederaufführung zusätzlich.
Erinnerung. Die kompositorische Linie
duldet kein Ausspannen des Solisten, dessen Part schon rein physisch
als Tortur gelten dürfte, wäre da nicht die reichliche,
Phase auf Phase völlig unvorhersehbare Belohnung: Rihms jüngste
Musik ist in den verborgenen, für gewöhnlich dem Verkümmern
preisgegebenen Winkeln der Seele zuhause, wo immerzu plötzlich
Selbstverlust droht. Zerbrechliche, splitterbereite Schönheit,
schleimfreie Zärtlichkeit, schlackengeplagtes Irrlichtern auskomponierter
Verunsicherung drängende Fragen und eigenwillige Echos:
Die Form ist Tagebuch eines verschlungenen, in seiner Gesamtheit
womöglich nicht faßlichen Suchens, welches immer wieder
auf Unerschlossenes stößt, Kammern verwegener Funde zeitigt.
Es ist Musik, die nach innen zieht und Wege weist, deren Ziel sich
erst sehr spät zu erkennen gibt. Wie ist das Werk als Ganzes
zu fassen, wo nach einem intensiv mit "kettenschlagendem"
Ostinato (grandios instrumentiert) erpeitschten Höhepunkt die
Wege sich nochmals ins unüberschaubar Weite verzweigen, neuer
Verdichtung der Konflikte zustreben? Eine ganz eigene Welt verwirklicht
auch diese neue Komposition Wolfgang Rihms, überquellend von
obsessiv verflochtenen Gesichten des Innern. von Christoph Schlüren |