Griffiges und SchlüpfrigesDrei Uraufführungen bei der Münchner musica viva |
Viel hat sich der neue künstlerische
Leiter der musica viva-Reihe des Bayerischen Rundfunks, der Dresdner
Komponist Udo Zimmermann, vorgenommen. Anstelle der breiten Vielfalt
seines Vorgängers Meyer-Josten soll die Ausrichtung auf Wesentliches
treten. Da soll einerseits den innovativen Tendenzen aller Couleur
angemessen Rechnung getragen werden, andererseits soll in Hinblick
auf die Jahrtausendwende wie allerorten eine repräsentative
Auslese schrittmachender Moderne durchlaufen. Und es sollen in München
bisher nur beiläufig wahrgenommene Größen gekürt
werden, wie es in dieser Saison mit Feldmans Neither und zweimal
Stockhausen (Inori und Uraufführung von Michaelion) vorgesehen
ist. Neue Spielorte sollen zusätzlich die allfällige Publikumsverjüngung
anspornen. Das alles läßt aufhorchen. Doch zunächst
ist solch konzeptuelles Bekenntnis nicht mehr als eine Sphinx. Denn
fast utopisch ists, dieses Wesentliche wert(ungs)neutral zu
erkennen. Und unmöglich ists, es vorherzubestimmen. Zur
Eröffnung der ersten Saison erklangen gleich drei Uraufführungen.
Jörg Birkenkötters gekoppelt getrennt verwendet
einen großen, perkussiv gleißenden Orchesterapparat
mit sicherer Hand, rückt die von Lachenmann ausgehende Ästhetik
in eine griffige, ja affirmativ zugeschnittene, von hellem Splittern
durchschnittene Chiffrenlandschaft. Viel harsches Strahlen, eher
gehemmte Bewegung, insgesamt: der Hang zu sicheren Mitteln. Das
Gegenteil wäre von Manuel Hidalgo zu sagen, dessen kurzes,
turbulent hastiges Euphoniumkonzert die Revolutionierung der Klanglandschaft
um ihrer selbst willen treibt und auch nicht: ein (relativ!) rasender
Ritt auf klapprigem Gaul auf schlüpfrigen Steigen. Der spontane
Erfolg war weniger diesen Qualitäten als dem mit immenser Bravour
von Michael Svoboda herausgeschleuderten Virtuosenpart zu verdanken,
einem Part, der alles Mögliche verlangt, nur nicht das Übliche,
und dabei ganz dicht an geschwätzig blubbernder Burleske entlangschlittert. Aus Protest gegen Bernhard Kontarskys
Dirigat zeigte sich der anwesende Komponist dem Publikum nicht.
Offen bleibt, wieviel von dem komplizierten Geschehen diese Aufführung
preisgab. Olga Neuwirths Photophorus (eine Glühwürmchen-Gattung)
wirkt wie ein Extrakt aus einem drame lyrique. Die von Murail erlernte
spektrale Technik geht bei der jungen Grazerin eine eigentümliche
Kopplung mit verhalten szenischen, illustrativen Tendenzen ein.
Photophorus, das zentral zwei kühl glissandierende E-Gitarren
einsetzt, ist eine mit originellen, tastfreudigen Momenten durchsetzte
Studie mit offenem Ausgang. Am intensivsten sind jene Passagen,
wo die Spontaneität durchbricht, plötzlich Neues aufscheint.
Olga Neuwirth macht es sich nicht so einfach auf ihrem Exkurs durch
die von Verfügbarkeiten verstellten postmodernen Räume.
Griffiges und Schlüpfriges existieren nebeneinander, und hieran
kann ihr Formwille reifen. von Christoph Schlüren |