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Aus einem Bogen

Ida Haendel spielt Bach solo

Mit Sergiu Celibidache und dem London Symphony Orchestra hatte sie 1953 die bis heute großartigste Aufnahme des Brahms-Violinkonzerts gemacht (zusammen mit dem Tschaikowskij-Konzert, Testament 1038), zuvor mit Kubelik die Konzerte von Beethoven und Bruch aufgenommen (Testament 1083), ihre Britten- und Walton-Aufnahmen mit Paavo Berglund von 1977 sind unerreicht (EMI 764202-2), das Sibelius-Konzert ist leider vergriffen: Ida Haendel, nunmehr 68jährige Legende, hat vor einem Jahr die kompletten Sonaten und Partiten für Violine Solo von Johann Sebastian Bach aufgenommen, und wohl niemand seit ihrem Lehrer George Enescu ist so tief in die Formenwelt, in den Gestaltenreichtum dieser schwersten und gehaltvollsten Werke des Geigenrepertoires eingedrungen, hat mit solch kontrollierter Emphase und lebensvoller Klarheit das Innerste daran auszudrücken vermocht.

Nicht nur, daß Ida Haendel motorisch, intonatorisch nach wie vor auf voller Höhe steht, es gelingt ihr auch, die 18minütige Chaconne aus einem Bogen zu errichten: bezwingend, ein ergreifendes Tonpoem voll wechselnder Schicksale, stilsicher, fernab aller Künstlichkeit, unbeirrbar linear erfaßt.
Ida Haendel: J. S. Bach, 6 Sonaten und Partiten für Violine Solo; Testament/Note 1, 2CDs SBT 2090.

Christoph Schlüren

(Rezension für das Münchner Kulturmagazin 'Applaus', 1995)