Unauslöschliches seelisches ProfilGilels in Melodiya-Dokumenten |
Im Oktober-Applaus hatte Yefim Bronfman von seinem großen Vorbild Emil Gilels gesprochen: "Manche Beethoven-Sonaten, z. B. die 'Hammerklavier'-Sonate, hat er so phantastisch gespielt, wie ich sie nie wieder hörte - es war absolut gigantisch, klang wie drei Orchester zusammen. Das war der stärkste Eindruck meiner Jugend." Dem schließe ich mich an - neben Michelangeli, Lipatti und Eduard Erdmann ist er einer meiner Götter, was durch diese Livemitschnitte bestätigt wird. Nicht nur die Beethoven-Sonaten ('Appassionata' und 'Mondschein' mit vollendeter Tiefe und Klarheit, 'Hammerklavier' im Himmel der Polyphonie), alles gewann unauslöschliches seelisches Profil: Ob in Mozart-Sonaten (Erstveröffentlichungen) oder in den luxuriösen Labyrinthen von Alexandr Scriabin (3. Sonate, Préludes op. 74) und Nicolai Medtner ('Sonata-reminiscenza'), in der tonal verfremdeten Kontrapunktik von Schostakowitsch (2. Sonate) oder Ravels Festen der Schwerelosigkeit ('Jeux d'eau' und 'Pavane') - Gilels ist immer ein Architekt, der sich von der Vision des Gesamtbaus leiten läßt, aber seine Bauten sind beseelt, von gezügeltem Gefühlsüberschwang. Am deutlichsten ist dies in den Schubert-Impromptus
zu spüren: welch inniges Modulieren, wie unbedingt er sich
jedem Moment hingibt, ohne je den großen Zusammenhang aus
dem Sinn zu verlieren! Neben vielen Raritäten sind zwei legendäre
Juwelen beigegeben: Chopins e-moll-Konzert und das 'Concert champêtre'
von Poulenc mit der Moskauer Philharmonie unter Kondraschin. Knapp
sechs Stunden mit Gilels, und keine Minute ist überflüssig.
Die CDs sind auch einzeln erhältlich. (Rezension für das Münchner Kulturmagazin 'Applaus') |