Robert Simpson (1921-1997)Portrait |
Musikgeschichte wird, vor allem in
unserem Jahrhundert der rastlosen Umwälzungen, meist in Trends,
Strömungen und Kategorien geschrieben, die stets mit wenigen
überragenden Persönlichkeiten in Zusammenhang gebracht
werden. Dabei wird gerne übersehen, daß auch viele jener
Komponisten, die üblicherweise nicht zu den "ganz Großen"
gezählt werden, sehr eigenartige Persönlichkeiten sind,
deren Werdegang und Werk in keine vorhandene Kategorie paßt,
sondern seine eigene Kategorie begründet. Diesen Tonschöpfern
widmen wir künftig, sofern die Präsenz auf CD zureichend
und das uvre interessant ist, diese fortlaufende Portraitseite
als Anregung für die Erschließung des (noch) Unbekannten. So geschieht meist nicht das konventionell
Naheliegende, aus der Situation Assoziierte, sondern jeder Moment
ist gesteuert von den umfassenderen Gesetzen des Werkganzen. Simpsons
technische Meisterschaft knüpft an die ganz großen Kontrapunktiker
an, was in Werken wie der 9. Sinfonie und dem 9. Streichquartett
gipfelt. Letzteres besteht aus 32 Variationen und einer großen
Fuge über ein Thema von Haydn, dessen zweite Hälfte die
exakte Spiegelung der ersten ist. Folglich sind auch alle Variationen
spiegelförmig gebaut, und doch klingt es nicht akademisch.
Seine Kammermusik ist überall von höchster durchführender
Qualität. Die 50minütige 9. Sinfonie vereint drei Abteilungen
in einem Satz mit festgelegten Tempoverhältnissen. Der erste
Teil ist ein gigantisches Choralvorspiel, das sich erst nach einiger
Zeit als solches zu erkennen gibt. Der letzte Satz der herrlich
rauhen, dunklen Zehnten ist eine am "Hammerklavier"-Vorbild
orientierte Monumentalfuge. Der Finalsatz der Dritten wiederholt
mit anderen Mitteln die Zauberei eines kontinuierlichen Accelerando
wie im Kopfsatz von Sibelius Fünfter. Dem Einsteiger
sei zu den Sinfonien Nr. 5 oder 7 geraten, die beide aus einem akkordischen
Grundmaterial ihre gesamte Entwicklung ableiten. Simpsons Orchestration
ist immer klar, die Gesamtstruktur verdeutlichend, aus der Linie
heraus empfunden in einer Spannweite von klassischer Gemessenheit
bis hin zu kühner Extremerfahrung. Zu massivsten Aufgipfelungen
kommt es am Ende der 4. und vor allem 6. Sinfonie. Beginnt der Simpson-Neuling
mit der Achten, so könnte es vielleicht zu einer Abschreckung
kommen: Es könnte ihm geschehen, daß er sich mittenhinein
in ein äußerst komplexes Geschehen geworfen fühlt,
dessen Gründe für ihn erst nach und nach mit mehrfachem
Hören mitvollziehbar werden. Simpsons Musik folgt, bei aller
Wechselwirkung mit ihren Vorbildern, ihren ureigenen Gesetzen, und
dies in jedem Stück neu. (Längere Fassung eines 'Kleinen Lauschangriffs' für Klassik
Heute, April 1998) |