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Portrait ROBERT SIMPSON

Symphoniker wider den Zeitgeist 

Anfang der 9. Symphonie 'Maestoso, tempo giusto' (1985-86);

Die 1986-87 komponierte Neunte Symphonie in Dis von Robert Simpson erstreckt sich in einem einzigen, zwei große Abteilungen umfassenden Satz über fünfzig Minuten. Das ganze Werk ist von einem unveränderten Grundpuls getragen, der die wechselnden Tempi in strenger Relation zusammenhält. Der weitgespannte erste Teil, dessen Beginn soeben zu hören war, ist in der Art eines Choralvorspiels gehalten. Die harmonische Progression des Beginns bewegt sich konstant in aufsteigenden Quarten, die den gesamten Quintenzirkel abwärtsschreitend durchqueren. In immer neuen Anläufen wird ein gewaltiger Spannungsbogen errichtet, der im anschließenden Scherzo in einem massiven Höhepunkt gipfelt. Der eigentliche Höhepunkt des Werks wird im daran anknüpfenden Adagio erreicht, das fugiert anhebt und mit Variationen über ein Palindrom, ein spiegelförmiges Thema, fortschreitet, um in eine ruhevolle Coda auszumünden. Simpson bekannte, in diesem Satz habe er "einiges von Bruckners Adagios lernen müssen".
"Der Begriff der Symphonie ist zu unbestimmt geworden. Einige Komponisten nennen ihre Werke Symphonien, ohne daß sie bezwingend symphonisch konzipiert wären. Das geht zurück auf die sogenannten Symphonien Strawinskijs, die sich meines Erachtens nicht grundsätzlich unterscheiden von seinen brillanten Ballettmusiken. Es sind ausgesprochen imaginative Werke, aber als Symphonien im Sinne einer organisch sich entfaltenden Gesamtheit kann ich sie nicht sehen. Diesen Sinn für organischen Zusammenhang läßt Musik unserer Zeit häufig vermissen, diese Kraft der Fortschreitung, die die Klassiker haben."
Als Robert Simpson am 21. November 1997 starb, war er als Komponist – nach einem schweren Schlaganfall, der ihn 1991 in einem ständigen Schmerzzustand hinterlassen hatte – längst verstummt. Bis dahin hatte er elf Symphonien, 15 Streichquartette und viel weitere Orchester- und Kammermusik geschrieben – ein Œuvre von konstant höchstrangiger Qualität. Indem er so intensiv die tradierten Königsgattungen der Instrumentalmusik pflegte und sein Hauptaugenmerk auf die Weiterentwicklung der klassischen Formprinzipien richtete, mußte er oberflächlichen Beobachtern als ein Konservativer erscheinen, auch wenn die herbe Eigenständigkeit seiner Tonsprache, die unmittelbare emotionale Kraft seiner Formpsychologie fernab sentimentaler Aufweichung nie ernsthaft bezweifelt werden konnten. Indem er sich zu einer Zeit, als der äußerliche Fortschritt der musikalischen Mittel als oberstes Qualitätsmerkmal galt, unbeirrbar zu seinen klassischen Wurzeln bekannte, trug sein Schaffen den Stempel des "Unzeitgemäßen". Robert Simpson dachte nicht nur beim Komponieren in anderen Kategorien als die meisten seiner Zeitgenossen.
"Es erscheint mir bemerkenswert, daß ich niemanden kenne, der fähig ist, eine Symphonie zu schreiben, und zugleich sagen würde: 'Die Symphonie ist tot!' Die meisten Leute, die davon reden, daß die Symphonie eine tote Form sei, sind solche, die keine Symphonien schreiben wollen – oder die es überhaupt nicht können. Es ist nicht sehr fair, allen übrigen einzutrichtern, daß die Symphonie tot sei und man keine mehr zu schreiben hätte. Ich betrachte die Symphonie als eine extreme Herausforderung, wie das immer gesehen wurde, seit sie sich als die am höchsten organisierte Form von Orchestermusik durchsetzte; und seit der Zeit Haydns und Mozarts, und natürlich seit Beethoven, verstehen wir die Symphonie als die größte Herausforderung, der sich ein Komponist stellen kann."
Anfang des 1. Satzes 'Allegro' der 5. Symphonie (1972);
Royal Philharmonic Orchestra, Vernon Handley;
Hyperion CDA 66728.
 
Der ganztönige Akkord, mit dem Robert Simpsons 1972 komponierte Fünfte Symphonie im Pianissimo anfängt, ist der Grundklang, mit dem das in fünf ineinander verschränkte Sätzen untergliederte Werk nach vierzig Minuten auch endet. Mitten hinein in die fast statische Ruhe fährt schlagartig das eigentliche symphonische Allegro mit beethovenischer Entschiedenheit und Vehemenz. Die symphonische Auseinandersetzung nimmt ihren Lauf und konstituiert eine Form, die keinem vorgegebenen Schema gehorcht. In jedem Werk gibt der Komponist durch die Wahl des motivischen Hauptmaterials, durch die ersten harmonischen Schritte neue Entwicklungsgesetze aus, die sich in einem jeweils einmaligen, lebendigen Formprozeß manifestieren.
"Es gibt grundlegende Gemeinsamkeiten in den Werken, die ich als wirklich symphonisch ansehe. Sie sind allesamt Werke, die einen hohen Grad an organischem Wachstum, an Konzentration und Organisation aufweisen, die damit in der Konzeption höherentwickelt sind als beispielsweise ein mosaikartiges Stück, eine Art Suite oder eine Ballettpartitur, wo Teile aufeinanderfolgen, die sich nicht notwendigerweise zu einem umfassenden Organismus ergänzen. Für mich bildet die Symphonie eine Analogie zu einem Lebewesen. Dazu bedarf es – wenigstens für mich – einprägsamer Ideen, die weiterentwickelt werden oder sich verwandeln können. Der ganze Kompositionsprozeß beruht – für mich, wie für Sibelius – darauf, einen Keim zu finden, aus dem alles wachsen kann, wie eine Pflanze oder ein Tier. Wenn ich in einer Symphonie von der Architektur spreche, so meine ich etwas Organisches, ja geradezu Biologisches. Denn Kunst ist für mich eine Entsprechung zum Biologischen, ohne welches wir nicht existieren könnten. Der Komponist, der etwas schafft, ist selbst eine biologische Ganzheit. Und was wir schaffen, kommt ja irgendwie aus uns und ist eine Entsprechung zu uns."
aus dem 2. Satz 'Allegro' des 1. Streichquartetts (1951);
The Delmé String Quartet;
Hyperion CDA 66419.
 
Robert Simpson wurde am 2. März 1921 in Leamington Spa, England, als Sohn einer Holländerin und eines Schotten geboren. Auf Wunsch seiner Eltern studierte er zwei Jahre lang Medizin, bevor er sich endgültig für den musikalischen Werdegang entschied. Während des Krieges erhielt er Unterricht in Harmonie und Kontrapunkt bei Herbert Howells, einem der wichtigsten englischen Komponisten seiner Generation. Nach dem Krieg erwarb sich Simpson einen Ruf als brillanter Lehrer und Musikschriftsteller, der 1952 das bis heute grundlegende Standardbuch über den dänischen Symphoniker Carl Nielsen vorlegte. Später sollte die klassische Studie 'The Essence of Bruckner' folgen.
1951 erhielt Simpson den Titel eines Doctor of Music für seine erste Symphonie. Im selben Jahr begann er seine Tätigkeit als Produzent bei der BBC, die er 1980 aus Protest gegen die Musikpolitik des Senders anläßlich der künstlerischen Leitung der Proms niederlegte. Er wurde schnell zu einem der angesehensten und beliebtesten Musikredakteure der BBC und nutzte seine Position, um zu Unrecht vernachlässigte Musik nachdrücklich zu fördern, indem er eng mit dem BBC Symphony Orchestra unter Adrian Boult zusammenarbeitete. Die Durchsetzung der Musik Anton Bruckners und Carl Nielsen auf der Insel ist seiner Initiative zu verdanken. Er ermutigte den fast achtzigjährigen Havergal Brian, weitere Symphonien zu schreiben, indem er ihm Aufführungen garantieren konnte. So brachte es Brian, der bis dahin sieben Symphonien komponiert hatte, noch auf die unglaubliche Anzahl von 32 Symphonien.
Der Einfluß Carl Nielsens ist in Simpsons frühen Werken Anfang der fünfziger Jahre offenkundig, wenngleich er wie ein selbstverständlicher Aspekt der musikalischen Sprache anmutet, nicht wie ein fremdes Element. Simpson hielt nichts von der Idee einer Originalität um ihrer selbst willen und gab gerne Auskunft über seine großen Vorbilder.
"Beethoven war immer das Zentrum meiner Welt. Außerdem Mozart und Haydn: Für beide hege ich eine enorme Liebe. Die habe ich alle sehr viel studiert. Nach Beethoven haben mich die Symphoniker am meisten beeinflußt, die am wenigstens in die romantisch-expansionistische Bewegung involviert waren – in diese Übertreibung der persönlichen Gefühle des Künstlers: 'Hier bin ich, ich leide aufs Entsetzlichste. Ich bin mitten auf einer riesigen Bühne. Was für eine schreckliche Welt das ist! Wie unglücklich ich bin! Es ist grauenhaft!' Der Künstler, der mir mehr Befriedigung verschafft, ist einer, der mir sagt: "Schau, was ich daraus machen kann, und wohin es sich entwickelt" – der sich nicht so sehr um das kümmert, was er sagt. Natürlich müssen Sie etwas zu sagen haben. Aber wenn sich das zu sehr im Persönlichen bewegt, geraten Sie schnell aus dem Gleis. Womit Sie sich befassen müssen, ist der Vorgang der Schöpfung. Wenn Sie etwas Menschliches zu sagen haben, etwas Individuelles, mit echtem Charakter, dann kommt es in jedem Fall ’raus. Sie können anstellen, was Sie wollen, es tritt sowieso zutage. Und wenn Sie das nicht haben, so werden Sie es auch mit keinen Mitteln produzieren können.
Nach den Klassikern ist es Bruckner, der mich sehr interessiert. Bei ihm finde ich die architektonische Seite stimulierend und faszinierend, doch auf meine Musik hat er nie einen offensichtlichen Einfluß gehabt – die ist nicht sehr brucknerisch, vielleicht mit Ausnahme meiner Neunten Symphonie. Dann ist da Dvorák, den ich in seinen besten Werken für einen sehr feinen und etwas vernachlässigten Symphoniker halte, und natürlich Carl Nielsen und Jean Sibelius."
Immer wieder hat Simpson seine Formen auf klassische Formvorbilder bezogen, hat im intensiven Austausch mit den Vorbildern eigene Lösungen gesucht. Einige Kompositionen hat er gar über die konkrete Form vorhandener Werke modelliert, so seine Streichquartette Nummer drei bis sechs, die er als Studien über Beethovens drei Rassumovsky-Quartette konzipierte – bis in subtile Details hinein, jedoch durchweg mit anderem klingenden Material, weswegen der darüber nicht informierte Hörer allenfalls Übereinstimmungen in Gestus und Proportionen erahnen kann. In freierer Form sind beispielsweise das 11. Streichquartett von Beethovens Opus 95 oder der fugierte Schlußsatz der 10. Symphonie von der Fuge aus der Hammerklavier-Sonate beeinflußt. Solche Gleichzeitigkeit von Einfühlung in das Werk eines anderen und Eigensprachlichkeit prädestinierte Simpson als eminenten, stilsicheren Meister der Variationsform, der auch bei großer Entfernung und Veränderung den Charakter des Themas noch zu bewahren vermag, so im archaischen Tonfall fern jeglicher Konvention seiner späten Variationen und Fuge über eine Sarabande von Bach für Streichorchester von 1991. Im finalen zweiten Satz seiner 1962 entstandenen Dritten Symphonie schuf er mit völlig anderen Mitteln eine Form, wie sie vor ihm Sibelius im Kopfsatz seiner Fünften Symphonie verwirklicht hatte: eine kontinuierliche Beschleunigung vom Anfang zum Ende, die eine schlüssige Gesamtgestalt ergibt. Es spielt das Royal Philharmonic Orchestra unter Vernon Handley.
Zweiter Satz aus der 3. Symphonie (1962);
Royal Philharmonic Orchestra, Vernon Handley;
Hyperion CDA 66728.
 
Das Royal Philharmonic Orchestra unter Leitung von Vernon Handley spielte den zweiten Satz aus Robert Simpsons Dritter Symphonie. Simpson verfügte über eine überlegene technische Meisterschaft wie nur wenige Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Sein 1982 entstandenes Neuntes Streichquartett besteht aus 32 Variationen und einer großen Fuge über ein Thema von Joseph Haydn, dessen zweite Hälfte die exakte Spiegelung der ersten ist. Folglich sind auch alle Variationen spiegelförmig gebaut. Doch muß der Hörer nichts davon wissen, und es spielt, so Simpson, "keine Rolle, ob er nicht in der Lage ist, eine Quinte von einer Frikadelle zu unterscheiden". Auf den erlebenden Zugang kommt es an, und dies nicht nur für den Hörer.
"Wir müssen aufpassen, wenn wir über 'kompositorische Techniken' sprechen. Denn eigentlich gibt es beim Komponieren nicht wirklich so etwas wie 'Technik': Es geht nur um Imagination, um die konkrete Vorstellung. Die Technik liegt darin, genau das zu Papier zu bringen, was Sie in der Vorstellung hören, und das ist manchmal sehr schwierig, vor allem, wenn die Ideen nicht so konventionell sind. Also: Nicht die Technik kommt zuerst, sondern die Vorstellung. Die großformatige Konzeption einer Symphonie enthält womöglich eine große Vielfalt von Dingen, und genau um diese Dinge geht es, nicht um Technik."
Die vielen überraschenden, originellen Details, die unerwarteten Rückungen, Innehaltungen und Richtungswechsel in Roberts Simpsons Musik sind stets aus dem übergeordneten Zusammenhang zu begreifen – aus einem Zusammenhang, der nicht nur in motivischer Verwandtschaft, sondern vor allem in der Korrelation harmonischer Bezüge gründet. Mit dem Prinzip tonaler Gravitation hat Simpson nie zu brechen versucht. Vielmehr begriff er sich als Erforscher tonaler Räume.
"Die Tonalität, das Gefühl für Tonalität, ist ein Sinn, über den Sie verfügen. Jeder Mensch verfügt darüber. Die Tonalität kann natürlich modifiziert werden, aber abschaffen können Sie sie genauso wenig, wie Sie den Geruchssinn abschaffen können, es sei denn, Sie verlieren die Fähigkeit der physischen Wahrnehmung. Tonalität ist die direkte Folge der Tonschritte, der Intervalle, und die musikalischen Intervalle lösen in Ihnen sehr unterschiedliche Empfindungen aus. Terz und Quarte sind sehr verschieden. Die Sexte, die Septime – alle haben unterschiedliche Wirkung. Die Kombinationen wirken sich verschieden aus, die Obertöne außerdem. Alle diese Tatsachen schlagen sich in unserem Tonalitäts-Sinn nieder, und ich habe nicht die Absicht, das alles zu ignorieren. Ich erforsche und modifiziere das vielleicht, habe möglicherweise meine eigene Art der Empfindung, aber nie hätte ich mich jemandem anschließen können, der sagt: 'Wirf das alles über Bord' – denn Sie sollten überhaupt nichts von vornherein ausschließen.
Ich möchte neue Dinge in natürlichen Phänomenen finden. Mit natürlichen Phänomenen meine ich die natürlichen Intervalle, die wir in unserer westlichen Musik finden. Die haben bestimmte Resonanzen, bestimmte Beziehungen untereinander, und von denen können wir eine Menge lernen, und sie immerzu wieder auf frische, unmittelbare Weise verwenden, sodaß neue Dinge entstehen können, neue Formen von Tonalität zum Beispiel; ein neues Gefühl für die tatsächliche Resonanz eines Intervalls. Ich habe etwas dafür übrig, ein ganzes Werk auf einem einfachen Intervall, oder einem Intervallpaar, zu errichten. Mein ganzes achtes Streichquartett ist auf der einfachen Quinte gebaut – es gibt, außer der Oktave, kein einfacheres Intervall."
Robert Simpson hat kaum Vokalmusik geschrieben. Das hatte nichts mit einer Abneigung gegen die menschliche Stimme zu tun, die er für das vollkommenste aller Instrumente hielt. Vielmehr sah er wenig Sinn in der Verknüpfung von Worten mit Musik. Das erste seiner zwei einzigen Chorwerke entstand 1975 auf einen eigenen Text, den er ins Lateinische übersetzte: Media morte in vita sumus.
Anfang von Media morte in vita summus (1975);
Corydon Singers & Orchestra, Matthew Best;
Hyperion CDA 67016.
 
"Heute können wir sehen, daß Haydns Musik ihrer Zeit angehört, und auch, daß Bachs Musik ihrer Zeit angehört. Aber keiner von beiden hat sich vorgenommen, den Zeitgeist in seiner Musik zu reflektieren. Sie haben das, was sie machten, einfach so gut und natürlich sie es konnten gemacht, dienten den Zwecken, die sie als erfüllend ansahen, taten ihren Job bestmöglich, usw. Ich würde sagen: Je mehr Komponisten heute in dieser Weise ihrer Arbeit nachgehen, desto besser, denn selbstbewußter Intellektualismus ist lange noch nicht dasselbe wie Intelligenz."
Robert Simpson hat nie formell Komposition unterrichtet. Doch hat er als freundschaftlicher Mentor einige wichtige Symphoniker der jüngeren Generation wie Halvor Haug, Matthew Taylor oder John Pickard entscheidend geprägt. Jede Art schematischer oder gar dogmatischer Herangehensweise erschien ihm grundsätzlich unkünstlerisch. Er baute jedes Werk nach einem neuen, einmaligen, nicht vorgefaßten Plan auf.
"Ich mache keine Skizzen. Ich beginne mit dem Keim einer Idee. Ich habe eine eher vage Konzeption des Ganzen vor Augen, wenn ich anfange. Laß es beginnen, laß es wachsen! Erlaube den Dingen, zu wachsen, und fühle das Richtige. Es klingt sehr naiv, aber ich denke, es stimmt, daß das richtig ist, was sich richtig anfühlt. Wenn Sie etwas als falsch empfinden, sollten Sie den Mut haben, es zu entfernen und durch etwas anderes zu ersetzen. Als ich einmal gefragt wurde, wie das so sei, zu komponieren, sagte ich: 'Eigentlich ist es ziemlich einfach. Wenn Sie etwas Schlechtes geschrieben haben, werfen Sie es ’raus und ersetzen es durch etwas Gutes. Kein Problem!' Das ist ein fürchterlicher Witz, denn es ist tatsächlich ein teuflisches Problem. Wenn Sie dasitzen und daran arbeiten, ist es ein Mord! Schrecklich! Manchmal, wenn ich mit dem Schreiben aufhöre, schmerzt mein ganzer Rücken, mein Nacken, meine Beine, meine Arme, mein Kopf – alles tut weh, und ich will nur noch zu Bett gehen, oder kollabieren, irgendetwas, sogar Fernsehen!"
In England hat man immer wieder konstatiert, Robert Simpsons Stil sei stark kontinental geprägt und nicht typisch englisch. Man hat dabei übersehen, daß die angestammte Mentalität eine universelle Ausbildung und schöpferische Haltung keineswegs ausschließt. In ihrer herben Eleganz, ihrem bissigen Witz und funkelnd trockenen Humor, ihrem distinguiert sprühenden Musikantentum sind Simpsons Werke sogar ausgesprochen exemplarische Zeugnisse englischer Kultur. Dies jedoch nicht in einschränkendem Sinne: Er war gewiß alles andere als ein "Nationalkomponist". In einigen Werken wie beispielsweise der Siebten oder Zehnten Symphonie ist seine Tonsprache oft besonders harsch und wurde deswegen gelegentlich als "modern" bezeichnet – ein Attribut, dem Simpson unverhohlene Abscheu entgegenbrachte. Er verwahrte sich gegen solche Vereinnahmung und verstand es, die Idee vom musikalischen Fortschritt als zentralem Wertekriterium als Perversion zu entlarven. Sein Schaffen belegt diese Haltung nachdrücklich.
Robert Simpson war Englands bedeutendster Symphoniker. Seine Orchestration ist immer, die Gesamtstruktur verdeutlichend, aus der Linie heraus empfunden, in einer Spannweite von klassischer Gemessenheit bis hin zu kühner Extremerfahrung. Dem einen oder anderen mögen seine Werke zunächst kompliziert oder fremdartig erscheinen. Sie gewinnen mit jedem Hören, wenngleich das Geheimnis ihrer Wirkung auch dem mit seiner Musik Vertrauten letztlich unergründlich bleiben muß. Robert Simpsons Werke können uns lehren, daß es zu ausgeprägter Originalität nicht einer vermeidenden oder gar verweigernden Einstellung bedarf, daß das Eigene vielmehr im innigen Kontakt und lebendigen Austausch mit den großen Meisterwerken immer weiter vertieft werden kann. Eigenart spricht sich aus, ohne über sich sprechen zu müssen, und erfüllt damit auch umfassend die soziale Funktion von Kunst. Warum sollte Musik Berührungsängsten unterworfen werden, wenn ihr denn letzten Endes doch stets die Aufgabe zufällt, zu berühren?
"Etwas zu schaffen bedeutet, dem Tod zu trotzen. Der Gedanke an den Tod macht mich grimmig, wie überhaupt die Tatsache, daß das Leben so kurz ist. Ich will das Beste daraus machen, und ich möchte in der einen oder anderen Form überleben. Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Ich bin keine religiöse Person. Aber indem ich meine Werke hinterlasse, bleibt wenigstens etwas, wozu die Leute 'ja' oder 'nein' sagen können."
Zum Abschluß hören Sie Thea King und das Delmé Streichquartett mit dem 1968 komponierten Klarinettenquintett von Robert Simpson.
5.+6. Satz des 'Quintet for clarinet and strings' (1968): Allegro molto – Andantino – Meno mosso, molto sereno;
Thea King (Klarinette), The Delmé String Quartet;
Hyperion CDA 66905.
 
 
 
Benutzte Literatur:
'Tonic. The Journal of the Robert Simpson Society', Vol. 6, 7, 8, 9 und Extraheft 'A Memorial Tribute'.
'The Symphonies of Robert Simpson', edited by Robert Matthew-Walker; Lengnick, London 1991.
Informationen über Robert Simpson:
The Robert Simpson Society, Brian Duke (Secretary), 24 Regent Close, FLEET, GB – Hampshire GU13 9NS, England.
Wichtigste Verleger der Kompositionen Robert Simpsons:
Alfred Lengnick & Co. (Sally Willison, General Manager), 27 Grove Rd., GB – Beaconsfield Bucks HP9 1UR, England.
Faber Music Ltd., Performance Promotion Dept., 3 Queen Square, GB – London WC1N 3AU.
DISKOGRAPHIE ROBERT SIMPSON
Sämtliche CDs bei HYPERION (Vertrieb: Koch)
Sinfonien (Dirigent: Vernon Handley): Nr. 1+8 (66890), Nr. 2+4 (66505), Nr. 3+5 (66728), Nr. 6+7 (66280), Nr. 9 (66299), Nr. 10 (66510);

Streichquartette: Nr. 1+4 (66419), Nr. 2+5 (66386), Nr. 3+6 (+ Streichtrio, 66376), Nr. 7+8 (66117), Nr. 9 (66127), Nr. 10+11 (66225), Nr. 12 (+ 1. Streichquintett, 66503), Nr. 13 (+ 2. Streichquintett, Klarinettenquintett, 66905), Nr. 14+15 (+ Quintett für Klarinette, Baßklarinette und Streichtrio, 66626);
Trio und Quartett für Horn, Streicher und Klavier (66695);
Sonate für Violine und Klavier, Klaviertrio (66737);
Komplette Soloklavier-Musik (66827);
Komplette Chorwerke: 'Media morte in vita sumus', 'Tempi' (67016);
Komplette Musik für Blechbläserensemble (66449).
(Stand 1998)
  
Sendemanuskript für BR2 (Redaktion: Wilfried Hiller);
Sprecher der Simpson-Zitate: Gerd-Udo Feller;
Produktion: 13.7.1998;
Erstsendung: 15.7.1998, 23:o5-24:oo, "Mittwochsthema"

– Christoph Schlüren, im Juli 1998 –

Bournemouth Symphony Orchestra,
Vernon Handley

Hyperion CDA 66299