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Arvo Pärt, Kanon pokajanen

Estnischer Philharmonischer Kammerchor, Tonu Kaljuste

Arvo Pärts 1997 vollendeter Kanon pokajanen ist ein großes Werk. Es handelt sich um einen in kirchenslawisch gesungenen altslawischen Bußkanon, dessen Vertonung mit über 83 Minuten knapp die Länge einer CD übersteigt. Pärt schreibt in seinem kurzen, instruktiven Kommentar, er habe es der Sprache überlassen, "Musik zu schaffen". Tatsächlich ist seine Musik als essentielle Entsprechung zum sprachlich Wesentlichen, als tönende Verwirklichung des religiösen Inhalts, als ein großer, atmender Zyklus klangdurchglühter Gebete zu erleben. Pärt betreibt, wie stets, keine detaillierte Textausdeutung. Vielmehr ruhen die einzelnen Strophen, ritualhaft zueinander gruppiert, in sich und die Musik transportiert den Grundgestus der jeweiligen Aussage. An Äußerlichkeiten gebundene, deskriptive Sentimentalität kommt nicht vor. Um das Handwerkliche so unbeirrbar ins intuitive Erfassen des Nicht-Gegenständlichen zu transzendieren, bedarf es höchster kompositorischer Meisterschaft: Pärt schafft in der alles überblickenden, formenden Balance einfachster Bausteine eine grundlegend sakrale Musik im undefinierbaren Raum zwischen menschlich fühlendem Erleben und entpersönlichter Verwirklichung.

Bedrohung und Befreiung werden aufs Innigste konfrontiert. In der vorletzten Ode wird auf weitreichendem, unergründlich gerichtetem Wege das Zentrum der Reue durchschritten – in der Erkenntnis, daß wahre, uneingeschränkte Buße menschlichen Mut überfordert; zu unermeßlich sind die inneren Abgründe. Nicht zuletzt aufgrund des mystischen Sprachklangs ist Kanon pokajanen eines von Pärts herrlichsten Werken, wenngleich das letzte Verständnis dem der Sprache Unkundigen vorenthalten bleibt. Die technisch untadelige Aufführung erscheint von ideal würdevoller Qualität, das Klangbild ist fesselnd in der Synthese von relativer Klarheit und auratischem Hall.

Christoph Schlüren

(Rezension für Music Manual)

ECM 2CD 457834-2