Mißbrauch oder Absicht?Musik, dies mit der Politik hat |
9. Juli 1932: Der Tag war durchzuckt
von Blitzen, es regnete in Strömen und in den Bergen um Berchtesgaden
grollte dumpf der Donner der Gewitter. Das Konzert war für
den Abend im Kursaal festgesetzt, aber der Führer, dessen Wagen
durch die zahlreichen Regengüsse auf den Straßen nach
Berchtesgaden aufgehalten wurde, konnte nicht mehr rechtzeitig zum
Konzert eintreffen. Der Führer gab den Befehl, das Konzert
am nächsten Abend zu wiederholen. An diesem Abend kam der Führer
wirklich. Die Vierte Symphonie Anton Bruckners wurde gespielt, der
Führer, glücklich, daß das Konzert einen so tiefen
Eindruck auf alle Hörer gemacht hatte, überreichte Franz
Adam spontan den Rosenstrauß, den er selbst am Eingang vorher
als Willkommensgruß erhalten hatte, zum Zeichen seines Dankes.
Wenige Tage später wurde im Auftrag des Führers an alle
Ortsgruppen ein Rundbefehl herausgegeben, der folgenden Wortlaut
hatte: "Der Führer hat in Berchtesgaden einem Konzertabend
des Nationalsozialistischen Symphonieorchesters beigewohnt. Aufgrund
der außergewöhnlich guten Leistungen des Orchesters und
der Wirkung, die er bei Zuhörern, die nicht zur Bewegung gehören,
feststellen konnte, hat er Weisung gegeben, daß das Orchester
im gesamten Reichsgebiet für die kulturpolitische Werbung eingesetzt
wird. Er ist der Überzeugung, daß ein derartiges Konzert
größere Anziehungskraft ausübt und stärkeren
Eindruck hinterläßt, als eine rein politische Versammlung,
mit denen die Bevölkerung ohnehin allmählich übersättigt
ist. Der Führer erwartet, daß die politische Leitung,
SA. und SS, sich in geeigneter Weise (Propaganda von Mund zu Mund,
Vorvertrieb der Karten) und mit allen Kräften für die
Konzerte einsetzen, damit diese hinsichtlich des Besuches zu einem
vollen Erfolg sich gestalten." Igor Strawinsky erkannte, daß
Musik nichts ausrichten kann in der Welt. Aber man kann ein und
dieselbe Musik für die unterschiedlichsten, ja gegensätzlichsten
Zwecke gefügig und dienstbar machen. Man muß sie nur
geschickt und passend zu gebrauchen wissen: für Ideologien,
Programme, Mobilisierung, Aggression, Triumph und Herrschaft. Gefragt
ist die hochvirtuose Pervertierung der Gefühlspotentiale der
Musik und deren willfährige Exekution. Christoph Schlüren (Original-Manuskript, verändert erschienen im Hamburger Abendblatt) |