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Grandios widerwärtig

Kalevi Ahos Oper 'Das Leben der Insekten'

Die Welt ist grotesk, verführerisch und grausam. Geht es in der Insektenwelt genauso zu wie unter uns Menschen? Ein besoffener Penner ist der Protagonist in Kalevi Ahos Oper 'Das Leben der Insekten', die jetzt in Helsinki uraufgeführt wurde. Die Finnische Nationaloper heimste mit Ahos tierischen Obsessionen einen Riesenerfolg ein. Alle acht Vorstellungen wurden ausverkauft. Ahos Musik ist funktionell ersonnen. Die Oper ist eher ein Film, dessen abgeschirmt aufgereihte Kontrast-Szenenfolge in ihrer dramaturgischen Eindeutigkeit an Kurosawas 'Träume' denken läßt. Was die völlige Ermangelung von Sinn, Ziel, Halt und Moral betrifft, herrscht herrlich schreckliche Nähe zum inkommunikativen Emotionsspuk in Werner Herzogs 'Auch Zwerge haben klein angefangen' - es würde auch ganz ohne Text uneingeschränkt funktionieren, denn diese Klangfolgen charakterisieren die inneren und äußeren Vorgänge mit meisterhaft drastischer Behendigkeit. Auch wenn man nichts versteht, versteht man alles, und vielleicht besser als beim Verfolgen des geheimnislosen Librettos, das der Komponist nach dem Schauspiel der Brüder Capek erstellte. Der einzige Mensch ist der Mann von der Straße, und er begegnet den Foxtrot und Tango tanzenden Schmetterlingen, den Mistkäfern, die "stinkende Musik" produzieren - von berückender Häßlichkeit! -, dem Liebesgeflöte der schwangeren Grillin und ihres Gefährten, die zur Wespenbeute werden und, wie nett, von dem identitätslosen Parasiten gefressen werden, der die recht unsympathische Wespentochter gleich mitvertilgt. Die Atmosphäre ist hier nicht sehr einladend, und nun treten die Ameisen auf den Plan. Die Eskalation wird mit maximaler Ökonomie angesteuert. "Die Schwarzen gegen die Gelben!", ein Ameiseningenieur erfindet die Wunderwaffe, den 'Pacifier', der eine Milliarde Ameisen auslöschen kann, und ernennt sich zum Diktator. Doch die Gelben sind überlegen und nähern sich unaufhaltsam dem Bühnengeschehen.

Der Diktator glaubt an den Sieg und dankt seinem Gott mit einer abscheulichen 'Ein feste Burg'-Version, während seine Burg nicht mehr zu halten ist. Als es zu spät ist, wird der 'Pacifier' eingesetzt, und alles geht in einem Inferno unter. Anhaltendes Dunkel entläßt eine entfärbte Landschaft, in der Eintagsfliegen ihre Wiegenlieder des Todes singen, der schließlich auch unseren recht stand- und seßhaften Landstreicher einholt. Da kommt das Grün wieder, Vögel zwitschern Natur, es war einmal... Fast alle Musik ist zu lang in dieser Oper, ein Großteil von generöser Geschmacklosigkeit, und so soll es sein. Maske um Maske zieht sich der Komponist über (ein Traum: Greenaway und Aho, ein Dream-Team) und artikuliert diese Abfolge von grandiosen Widerwärtigkeiten mit fast selbstloser, jedenfalls bestechender Meisterschaft. Aho kommentiert: "Mit Hilfe der Musik werden im Zuhörer Erwartungen geweckt, die manchmal erfüllt, manchmal aber enttäuscht werden, so daß die Stimmung der Zuschauer von einem Extrem ins andere geworfen wird. Durch die Musik bzw. ihr Ausbleiben wird der Zuhörer der realen Wirklichkeit entrückt oder in sie zurückversetzt. Die Musik soll die Ereignisse auf der Bühne rhythmisch so einteilen, daß der Spannungsbogen nie abbricht und das Publikum sich nicht langweilt." Nicht jeder braucht das zu mögen, aber es ist vollauf gelungen. Richard Strauss hätte seine Freude gehabt, und wehe, wenn die Eröffnung seines 'Zarathustra' tierisch kassandrische Leitmotivfunktion erhält...

Christoph Schlüren

(Rezension für Neue MusikZeitung)