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Robert Schumann (1810-56)

Die Schumannsche Eroica? Symphonie Nr. 3
in Es-Dur op. 97 "Rheinische" (1850)

I Lebhaft – II Scherzo. Sehr mäßig – III Nicht schnell – IV Feierlich – V Lebhaft

Zeitlebens lagen die zwei Seelen in Robert Schumanns Brust im Widerstreit und beflügelten ihn ebenso zu unglaublichen Leistungen höchster Eigenart wie sie ihn in tiefste Depression drängten: 'Florestan' und 'Eusebius', denen der junge Schumann bald das eine, bald das andere seiner Werke zuschrieb. Später wurde er mit dieser symbolischen Projektion seiner gespaltenen Innenwelt zurückhaltender. An die Stelle des übermütig-spielerischen Zugs trat zusehends der obsessiv-verhängnisvolle. Davon ist in der 'Rheinischen' Symphonie, die nur etwas mehr als drei Jahre vor dem Verzweiflungssprung in den Rhein entstand, vordergründig nichts zu spüren. Die heroische, optimistische Seite überwiegt eindeutig das Grüblerische, nach innen Gekehrte, Selbstgefährdende. Die gärende Unruhe ist viel gebändigter als in den zwei vorangegangenen Symphonien. Es ist ein wenig, als hätte Schumann mit dieser Musik sich selbst Halt geben wollen. Und doch ist es auch hier der Widerstreit zweier innerer Wesen, auf dem das Hörerlebnis primär beruht. Das ist ein grundlegend anderes Prinzip als bei Beethoven, wo es die Welten zweier Themen sind, die bewußt in Konflikt miteinander gebracht werden.

Die 'Rheinische' Symphonie entstand in der unglaublich kurzen Zeitspanne von einem Monat, zwischen dem 7. November und dem 9. Dezember 1850 unmittelbar anschließend an das Cellokonzert. Es war eine letzte sehr glückliche Phase in Schumanns Leben. Er war am 2. September von Dresden nach Düsseldorf übergesiedelt, wo er als Nachfolger Ferdinand Hillers die Leitung des 'Gesangs-Musikvereins' übernahm und zunächst freudigster Zustimmung begegnete. Die fieberhafte Niederschrift ist typisch und entsprach durchaus seinem Ideal, denn, so Schumann: "Ich kann nicht begreifen, daß etwas Besonderes daran sei, wenn man eine Symphonie in einem Monat komponiert. In derselben Zeit hat Händel ein ganzes Oratorium geschaffen. Wer überhaupt was machen kann, muß es auch schnell machen können, und je schneller, desto besser. Der Gedankenfluß und Ideengang ist wahrer und natürlicher, als bei langer Reflexion."

Die 'Rheinische' Symphonie in Es-Dur, der Tonart von Beethovens 'Eroica', ist eigentlich Schumanns letzter Beitrag zur Symphonik, dem nur noch ein Jahr später die Revision der ursprünglichen Zweiten, der d-moll-Symphonie folgte, welche daraufhin als Vierte gezählt wurde. Nimmt man noch die verworfene frühe 'Zwickauer' Symphonie in g-moll hinzu, so ist die 'Rheinische' tatsächlich nicht seine Dritte, sondern seine Fünfte Symphonie. Sie umfaßt auffallenderweise nicht vier, sondern (wie Berlioz’ 'Symphonie fantastique') fünf Sätze sehr unterschiedlichen Charakters, die motivisch eng miteinander verwandt sind, mit Ausnahme des intermezzohaft eingeschobenen dritten Satzes. Die melodische Urzelle oder das Kernintervall der Symphonie ist die Quarte, die – auf- beziehungsweise absteigend – den ersten, zweiten und vierten Satz eröffnet sowie in melodisch ausgefüllter Form das Finale. Der Titel 'Rheinische' stammt nicht von Schumann, der programmatische Zusätze nicht schätzte, da sie die Vorstellung des Hörers auf Abwege leiten. Doch bezeichnete er sie als ein Werk, welches "hier und da ein Stück Leben widerspiegelt" und sprach davon, daß in ihr "volkstümliche Elemente vorwalten" – Hinweise, die für die musikalische Gestaltung kaum hilfreich sind. Wäre die Bezugnahme nicht allzu verwegen, so könnte die Es-Dur-Symphonie statt als die 'Rheinische' mit einigem Grund als Schumanns 'Eroica' firmieren.

Robert Schumann ist als Orchesterkomponist bis heute bei Publikum, Theoretikern und Musikern, insbesondere Dirigenten, umstritten. Grund dafür ist seine Instrumentation, die oft als monochrom, eintönig, dick und unidiomatisch angesehen wird und tatsächlich häufig, vor allem in den massiver orchestrierten Ecksätzen der Symphonien, ernstliche Balanceprobleme aufwirft. Diese Probleme sind allerdings bis auf wenige Passagen mit strukturierender Bewußtheit und Einfühlungswillen von Seiten der Dirigenten ohne Änderung der Instrumentation lösbar. Die 'Rheinische' Symphonie ist von solchen Schwierigkeiten übrigens nur im ersten Satz betroffen, und dort nur in wenigen Fällen – am auffallendsten bei der triumphalen Wiederkehr des Hauptthemas kurz nach dem Anfang, im Anschluß an die Ausweichung ins dunkle g-moll, wo sich zum Thema eine Imitation gesellt, die oft kaum oder gar nicht hörbar ist.

Der Kopfsatz lebt in seiner rhythmischen Energie stark vom Widerspiel zwischen dem in ganzen Takten pulsierenden Dreiviertelmetrum und dem quer dazu zweitaktig aufbegehrenden Hauptthema. Das lyrisch inwärts gewendete Seitenthema steht in g-moll. Am Ende der Exposition steht, entgegen der Gepflogenheit der Zeit, kein Wiederholungszeichen. Die Durchführung bringt, wie bei Schumann üblich, keine motivische Zerlegungsarbeit nach dem Vorbild Beethovens, sondern reiht Episoden des vorgestellten Themenmaterials als Erfüllungsgehilfen des sogkräftigen harmonischen Plans aneinander. Die für ihn typische Verschränkung der tradierten Formabschnitte wird hier so weit getrieben, daß eine Scheinreprise in der Haupttonart, wo das Thema in den Hörnern erscheint (erweiterte 'Eroica'-Reminiszenz!), vor der eigentlichen Reprise eintritt. Der Coda ist, im Gegensatz zu mancher Aufführungstradition, keine Beschleunigung vorgeschrieben.

 

Das in C-Dur stehende Scherzo vereint den gemütlichen Charakter eines Ländlers mit der harmonischen Beweglichkeit eines Menuetts. Die Form gliedert sich in den ersten Abschnitt mit dem unbeschwert fließenden Thema, welches als Anklang an das Wogen des Rheins interpretiert wurde, ein darauffolgendes Trio in a-moll, Durchführung, Reprise des ersten Abschnitts sowie eine kurze Coda. Doch ist der Verlauf vielschichtiger, indem zum Beispiel die für das Trio charakteristischen Sechzehntel-Begleitfiguren schon im ersten Abschnitt die Herrschaft übernehmen und sich so die Formteile überschneiden. Der Höhepunkt des Satzes wird mit einer von einer dreifachen Imitation gekrönten Steigerung in der Reprise des Hauptteils erreicht.

Der kammermusikalische dritte Satz, in As-Dur, ist mit der rätselvollen Vortragsanweisung 'Nicht schnell' versehen, worunter meist ein munteres Allegretto oder ein leichtfüßiges Andantino verstanden wird. Er hat Intermezzo-Charakter und ist eine Genre-Komposition in der Art von Schumanns Klavierminiaturen, welche aufs Glücklichste und Anmutigste dem Orchester eingeschrieben ist. Die Form ist dreiteilig mit zwei verschwisterten Rahmenabschnitten und einem typisch Schumannschen, ergreifend innigen Mittelteil. Den Schluß bildet eine beruhigende Coda auf schwankendem As-G-Orgelpunkt. Doch auch hier sind die Formteile motivisch überlappend komponiert, das mit vier ansteigenden Sechzehnteln auftaktig anhebende Motiv des ersten Teils bestimmt den Mittelteil mit und wird für den Gesamtverlauf einheitstiftendes Element.

Den vierten Satz im dunklen es-moll, das eigentliche Zentrum der 'Rheinischen', soll Schumann, so sagt die Legende, unter dem Eindruck der Kardinalserhebung des Kölner Erzbischofs Johannes von Geißel "im Charakter der Begleitung einer feierlichen Zeremonie" beabsichtigt haben. Heute weiß man, daß Schumann am betreffenden Tage krank das Bett hütete. So bleibt die Charakterangabe 'Feierlich' der einzige außermusikalische Hinweis. Dieser Satz hat womöglich unter allen Symphoniesätzen Schumanns am meisten Aufmerksamkeit geweckt, und in der Tat steht er einzigartig da. Offenkundig ist die Schulung an den alten Meistern des Kontrapunkts, insbesondere an Johann Sebastian Bach, und der daraus resultierende archaische Charakter. Die Form umspannt drei Teile, allesamt als Fugato angelegt, wobei die engführende imitatorische Kunst in großen Bögen bis an die Grenzen der Wahrnehmung der gegeneinander artikulierten Stimmen geht. Zugrunde liegt ein choralförmiges Thema (Hommage an die dis-moll-Fuge aus dem zweiten Band von Bachs 'Wohltemperiertem Klavier'), welches den Beginn des ersten und den repriseartigen dritten Teil markiert und im Verlauf des ersten sowie im zweiten Teil in mehreren Phasen durchgeführt wird. Ein zweimaliger Ruf des Bläserchors in der Art einer feierlichen Fanfare leitet in die Coda über, welche die Funktion eines auskomponierten Verklingens erfüllt.

Eine ganz andere, fröhliche, gelassen-ausgelassene Welt beschreibt das Finale, das wie der Kopfsatz mit 'Lebhaft' bezeichnet ist, jedoch viel flinkfüßiger und launenhafter daherkommt. In der Exposition zieht Schumann einen ganzen Strauß von Themen und Abwandlungen hervor, der in seiner Vielgestaltigkeit ein hohes Maß an Treffsicherheit und Flexibilität des Ausdrucks von den Musikern einfordert. Noch weniger als im ersten Satz kommt die introvertierte Seite seines Wesens zur Aussprache. So bleibt der nachhaltig sich auswirkende Kontrast trotz der großen motivischen Vielfalt relativ gering, was dem Satz Knappheit beschert. Die kurze, vorandrängende Durchführung mündet in neues Thema, welches Peter Gülke als "Durchbruch" würdigte. Tatsächlich ist diese himmelstürmende Figur von solch einer jauchzenden Emphase durchdrungen, daß der darauffolgende Eintritt der Reprise davon völlig überschattet werden kann. In der Coda rundet sich in hymnischer Weise der symphonische Bogen, indem das Hauptthema des vorangehenden, 'feierlichen' Satzes (welches vorher schon in gedrängter Gestalt als Motor der Durchführung fungierte) wiederkehrt und die Symphonie in krönender Weise dem Abschluß entgegenführt. Dieses finale Szenario ist von Schumann ohne Modifikation des Tempos niedergeschrieben, erst für den letzten Schluß der Coda gilt die Vorschrift 'Schneller'.

Christoph Schlüren