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Vereinigung der Gegensätze

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), Symphonie Nr. 41 in C-Dur
KV 551 'Jupiter' (1788)

I Allegro vivace – II Andante cantabile – III Menuetto. Allegretto – IV Finale. Allegro molto

Seine letzten drei Symphonien (zusammen mit der 1786 entstandenen, dreisätzigen 'Prager' Symphonie in D-Dur seine Hauptbeiträge zur symphonischen Gattung) schrieb Mozart im Sommer 1788 in Wien in dem für uns Heutige unglaublich kurzen, für damalige Begriffe jedoch durchaus nicht unüblichen Zeitraum von sechs Wochen nieder. Zu welchem Anlaß, ja, ob sie überhaupt zu einer bestimmten Gelegenheit komponiert wurden, ist nach wie vor Gegenstand von allerlei Mutmaßungen, was die romantische Verklärung des Schaffenstriebs erheblich begünstigte. Es ist aber davon auszugehen, daß Mozart konkrete Aufführungspläne, wohl im Zusammenhang mit für dasselbe Jahr geplanten Akademien in Wien, hatte, die jedoch nicht zustande kamen. Aufführungen zu Mozarts Lebzeiten in Wien sind nicht belegt, und nichts ist bekannt über die betreffenden Uraufführungen. Laut Mozarts eigenhändigem Verzeichnis seiner Werke wurden die Symphonie in Es-Dur (KV 543) am 26. Juni, die erste Fassung (ohne Klarinetten) der Symphonie in g-moll (KV 550) am 25. Juli und die abschließende Symphonie in C-Dur (KV 551) am 10. August 1788 vollendet. Für die C-Dur-Symphonie hat sich, wahrscheinlich von England ausgehend, der Name "Jupiter-Symphonie" eingebürgert, was natürlich die Rezeptionsgeschichte beeinflußte. Sie könnte auch anders heißen, und Marius Flothuis (Jupiter und Sarastro. Versuch über die wahre Art dreier Symphonien und einer Oper, in Mozart-Jahrbuch 1955/56, Salzburg 1957) lag nicht daneben, wenn er "den [motivischen] Zusammenhang zwischen den drei Symphonien einerseits und der Zauberflöte andererseits – trotz der drei Jahre, die zwischen der Komposition der Symphonien und der der Zauberflöte verflossen" – konstatiert und meint: "Dieser Zusammenhang wird bestätigt, erstens durch die engen tonartlichen Beziehungen zwischen den Symphonien und der Zauberflöte, zweitens durch die häufig auftretenden parallelen Wendungen und Phrasen, die fast wie Selbstzitate wirken." Flothuis sieht in den Symphonien "eine instrumentale Vorwegnahme des Zauberflöte-Märchens" und folgert, "daß für die C-Dur-Symphonie der Name Sarastro mehr am Platze ist als Jupiter".

Anders als Joseph Haydn, der unumstrittene Meister des exemplarischen Instrumentalstils der Wiener Klassik, lebt der Instrumentalkomponist Mozart, besonders in seinen größten Schöpfungen, vom in waghalsiger Balance gehaltenen Widerstreit aus Theaterblut und symphonischer Kontinuität, was übrigens (sozusagen "mit umgekehrten Vorzeichen") auch für sein Opernschaffen gilt. Auch im Fall der Jupiter-Symphonie sind damit wahrlich nicht nur die motivischen Querbezüge angesprochen, so die Übernahme der Hauptmelodie aus der im Mai 1788 komponierten Baß-Ariette 'Un baccio di mano' als Schlußgruppe und Durchführung prägendes drittes Thema in den Kopfsatz. Das wäre ja nur der Bezug zum Szenischen im primitivsten Sinne. Nein, Mozarts große Symphonien sind – wie seine Klavierkonzerte, seine reife Kammermusik – im Wesenhaften instrumentales Drama. Die Es-Dur-Symphonie KV 543 mag in diesem Sinne noch am ehesten rein symphonisch zu verstehen sein. Wie nahe ist die große g-moll-Symphonie an der Empfindungswelt des 'Don Giovanni'! Und wie in der Prager Symphonie KV 504 Opera-buffa-Sinnlichkeit und durchführende Kunst der Mozartschen Symphonie ein sich von allem anderen immer weiter abhebendes Eigengepräge gaben, so hat diese scheinbar mühelos erworbene Vereinigung des gegensätzlich Gestischen im symphonischen Spannungsbogen in der Jupiter-Symphonie ihren Gipfel erreicht. Ähnlich Schuberts großer C-Dur-Symphonie hat der frühe Tod die Jupiter-Symphonie und ihre Vasallenwerke zu unübertroffenen Spätwerken gemacht, die freilich mitten im Leben entstanden und von den äußeren Nöten ihres Autors nicht sprechen.

Schon das Hauptthema, mit dem der erste Satz der Jupiter-Symphonie beginnt, trägt auf engstem Raum scheinbar unversöhnliche Widersprüchlichkeit in Form von zwei Grundmotiven in sich, die hernach eigenständige Ausfaltung beanspruchen: das kraftvoll in sich beharrende Tutti-Motiv mit den anrollenden Auftakten und seinen zarten Widerpart, eine punktiert geschwungene, ansteigende Gesangsphrase. Nach dem ersten großen Tutti tritt ein Kontrapunkt von fast thematischem Eigengewicht in Flöte und Oboe dem Wiedereintritt des Hauptthemas entgegen, dessen beide Kernmotive das zweite große Tutti untereinander ausmachen. Das kantable Seitenthema folgt in der

Dominanttonart, dem kammermusikalischen Satz wird im Baß das zweite Kernmotiv des Hauptthemas eingeflochten. Das nächste, mit eben diesem Motiv fortgesponnene Tutti geht dem vergnüglich parlierenden 'Un baccio di mano'-Thema voraus, welches – als quasi drittes Thema – sowohl die Schlußgruppe der Exposition als auch – im Widerstreit mit dem markigen ersten Kernmotiv des Hauptthemas – die Durchführung prägt. Die kämpferische Auseinandersetzung mit motivischer Aufspaltung und Konzentration weist sicher auf Beethoven voraus. Doch der spielerische Zug, das kapriziöse Ineinanderwirken heterogenster Elemente, die elementare Verbundenheit des Unverbundenen ist hier im symphonischen Kontext auf seine Art zu einem Maximum getrieben.

Das innig strömende Andante cantabile in der Unterquinttonart F-Dur ist mit seinem in den großen Konturen relativ leicht faßlichen, dabei diffizilst ausformulierten harmonischen Gesamtplan abschnittsweise aufregend dissonant gesetzt, mit frei eintretenden Vorhalten, gewagten Durchgängen und Tritonusparallelen, die in traumwandlerischer Instrumentation ein unerhört fahles Leuchten und Flackern entfachen. Das Tempo kann da nicht ohne gravierende Verluste zu zügig genommen werden, wird durch dicht gesetzte tiefe Akkorde (so die begleitend wiederholten Achtel von Hörnern und Fagotten) mitbestimmt, was zudem der Durchhörbarkeit der Modulationen zugute kommt. Mit großer Freiheit ist die Reprise behandelt. Auch dem Menuett, das wie irgendwo mitten in der Musik zu beginnen scheint, kommt mit seiner graziösen, auschromatisierten Melodik Ausnahmerang zu. Kern des Trios daraus, dessen Thema eigentlich aus einer hochkomischen Verkettung von Schlußfloskeln besteht, ist die Vorwegnahme des Fugen-Hauptthemas aus dem Finale.

Dieses Finale ist, aufgrund seiner einmaligen Verschmelzung von Sonatenform und schwindelerregend virtuoser Fugatotechnik, Mozarts meistanalysierter Symphoniesatz. Eine Fuge ist er nicht, wenngleich mit unvergleichlicher Meisterschaft mit deren Techniken der Imitation, Umkehrung, Engführung und, vor allem, motivischen Kombination gearbeitet. Der vom gleich zu Beginn vorgestellten Cantus-firmus-artigen Hauptthema gelieferten motivischen Grundlage treten drei weitere Themen deutlich unterschiedenen Charakters entgegen, die – unter Wahrung ihres Charakters – verschiedene Erweiterungen beziehungsweise Verkürzungen erfahren. Gegen Ende des Satzes, in der Coda, werden alle vier Themen gleichzeitig gegeneinander geführt und markieren in strahlender Siegesgewißheit den strukturellen Höhepunkt Mozartscher Symphonik; ein Komponist ohne jegliches technische Handicap. So sehr die unübertreffliche Beherrschung der tonsetzerischen Mittel ihre Faszination auf alle nach ihm Schaffenden ausgeübt hat, ist es doch auch gerade hier das eigentlich Unbegreifliche, wie gewaltlos gegensätzliche Gestalten Hand in Hand gehen, einander in gespannter Balance halten und übergeordnet gemeinsame Gestalt ergeben – man nehme nur den Buffo-Nachsatz bereits des Hauptthemas, der im Folgenden sich wie ein eigenständiges Thema ausgibt. Die Gegensätzlichkeit auf engstem Raum ergibt – dies das eigentliche Wunder Mozartscher Formkunst – keine Kurzatmigkeit, sondern, als könnte es anders nicht sein, weit ausschwingenden, bezwingenden Zusammenhang.

Christoph Schlüren

[Einführungstext für Salzburger Festspiele, 2000]