< RARE MUSIC STARTSEITE

Oliver Knussen

"Two Organa" op. 27 für großes Ensemble (1994)
Nr. 1 – Notre Dame des Jouets
Nr. 2 – Organum to honour the twentieth anniversary of the Schönberg Ensemble
"Coursing (Etude I)" op. 17 für Kammerorchester (1979)
Virtuosität und Abstraktion

"Oliver Knussens Vorfahren sind riesige Wikinger gewesen, die einander oder sonstige Feinde mit Felsblöcken zu bombardieren pflegten, ganz wie ihr hochsensibler und raffinierter Nachkomme es heute mit den Tönen macht, die er aufschreibt oder dirigierend aus eigenen oder anderen Musikstücken hervorzaubert wie ein mythischer Schmied, aus dessen Esse es funkelt und lodert wie Feuerwerke oder die Pechfackeln entsetzlicher 'pompes funèbres'."

Hans Werner Henze

(in seiner Autobiographie 'Reiselieder mit böhmischen Quinten')

Bei der Londoner Uraufführung seiner Ersten Symphonie war er fünfzehn Jahre alt: Oliver Knussen, geboren 1952 in Glasgow, machte den Weg vom komponierenden Wunderknaben zum arrivierten Tonsetzer mit schmalem, technisch bewunderungswürdigem Œuvre. Außerdem ist er heute einer der weltweit profiliertesten Dirigenten zeitgenössischer Musik, der über lange Zeit die London Sinfonietta entscheidend prägte und als erster Gastdirigent des Residentie Orkest Den Haag wirkt. Knussen studierte Komposition zunächst mit John Lambert, dann in Tanglewood mit Gunther Schuller, dessen Einfluß bis heute in Knussens Werken zu spüren ist: Kapriziöse Eleganz, frankophile Fluidität und Leichtigkeit, mühelos anspringende Verbindung von satztechnischer Abstraktion und musikantischer Virtuosität, instrumentale Effektivität. Viel Erfolg hatte Knussen in den achtziger Jahren mit den recht turbulenten, kunterbunt sich gerierenden Opern "Where the Wild Things Are" und "Higglety Pigglety Pop!"

Unschuldig – schuldig

"Beide kurzen Stücke befassen sich auf unterschiedliche Weise mit demselben Gegenstand. Die Organa der Notre-Dame-Schule im 12. Jahrhundert (z. B. Perotin) benutzen gregorianische Melodien als langsamen Untergrund für schnelle, ekstatische, tänzerische melodische Verzierungen. Im Juni 1994 verwendete ich diese Technik, um ein Stück für ein holländisches Musikbox-Projekt zu schreiben.

32 Komponisten trugen Stücke mit einem Tonumfang von höchstens zwei Oktaven bei, in denen kein Vorzeichen vorkommt ("Weiße-Tasten-Musik"). Ich widmete 'Notre Dame des Jouets' Peter Maxwell Davies zu seinem 60. Geburtstag und orchestrierte es kurz darauf."

"Das zweite Organum ist Reinbert de Leeuw gewidmet. Es exploriert mit der gleichen Technik eine weniger "unschuldige" Welt, indem die totale Chromatik die elaborierten polyrhythmischen Schichten durchtränkt. Man sollte dabei einerseits die vordergründige Aktivität (die spezifische musikalische Gestalten hervorbringt) wahrnehmen, andererseits sollte man sich auf den extrem langsamen Cantus firmus konzentrieren, der die Tonreihen und das generelle Klangbild serviert."

O.K., 1995

Hetzjagd

"Der Titel 'Coursing' (=Hetzjagd) soll zugleich Energie, unentwegtes Fließen und hohe Geschwindigkeit suggerieren. Auslösender Eindruck für den musikalischen Charakter waren die Stromschnellen der Niagarafälle, also die immense verborgene Kraft der Strömung unter der ruhigen Oberfläche, bevor die Wassermassen hinabstürzen.

Verschiedene Ausprägungen der langen Unisono-Melodie zu Beginn sind es, die "durch das Stück jagen". Diese Melodie (die eine beträchtliche Virtuosität des ganzen Ensembles voraussetzt) ist gewissermaßen ständig präsent. Alle verschiedenen Tempi und harmonischen Formen sind davon abgeleitet. Die Faktur ist kompakt. 'Coursing' ist Elliott Carter zum 70. Geburtstag gewidmet."

O.K., 1981

Christoph Schlüren

[Einführungstext für Salzburger Festspiele, 1998]