Paavo HeininenMusique d'été op. 11
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Der am 13. Januar 1938 in Helsinki geborene Paavo Heininen studierte zunächst mit Finnlands führendem Modernisten der zwanziger Jahre, Aarre Merikanto, und mit dem Symphoniker Joonas Kokkonen, einem der vorzüglichsten Kompositionslehrer des Landes. Heininen setzte seine Studien in Köln bei Rudolf Petzold und Bernd Alois Zimmermann fort, später auch bei Vincent Persichetti in New York. Von Anfang an neigte er der Dodekaphonie und kompromißlos modernistischen Sprache zu; die kurzen Motive, Tonrepetitionen und Cluster, die seine Konstruktionen dominieren, werden fast nie zu ausgedehnteren Themen erweitert. Zuletzt hat sich Heininen intensiv mit computergenerierten Klängen beschäftigt. Zentral in seinem Schaffen stehen die Opern 'Silkkirumpu' (basierend auf einer alten japanischen Sage) und 'Veitsi' (Das Messer, ein Beitrag zur Fünfhundertjahrfeier von Savonlinna), sowie viel Orchestermusik (darunter vier Symphonien und drei Klavierkonzerte) und Kammermusik, außerdem elektronische Musik. Er ist zwar auch ein angesehener Pianist und gründlicher Analytiker, der Beiträge über viele seiner finnischen Kollegen geschrieben hat, aber größten Einfluß im nationalen Musikleben übt er schon lange als Professor für Komposition an der Sibelius-Akademie in Helsinki aus. So konnte er eine modernistische Schule begründen, durch die unter anderen Jukka Tiensuu, Eero Hämeenniemi, Kaija Saariaho, Jouni Kaipainen und Magnus Lindberg gingen - nicht umsonst sprach man Anfang der achtziger Jahre in Helsinki von der "Heininen-Schule". Heininen bezeichnet 'Musique d'été' op. 11 von 1963 für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Cembalo, Violine und Violoncello als "lyrische Komposition, deren Form durch wechselnde Stimmungen, und deren Zusammenhalt dadurch gesichert ist, daß die lyrischen 'Charaktere' auch im Nebeneinander ihre Intensität bewahren. Das Werk beinhaltet keine thematische Entwicklung oder Mehrstimmigkeit, auch existiert kein Tempo und keine Struktur.
Es erfährt Abwechslung durch rhythmische Fluktuation, die vom motorisch Aufgeregten bis zum Pulslosen reicht... Jedoch finden sich in dem Stück wiederkehrende melodische und rhythmische Muster, kanonische und andere kontrapunktische Strukturen und formale Symmetrien, und die intervallische Mannigfaltigkeit ist von einer asketischen Palette von Grundfarben abhängig." 'Musique d'été' hat drei Sätze: Prologue, Moments
dramatiques und Epilogue. "Zwei expressionistisch melodische und
zwei kapriziös rhythmische Soli kreieren die Form A-B-A-B"
im ersten Satz. Der Aufbau des Mittelsatzes ist symmetrisch A-B-A
gedacht, wobei es sich in Einzelnen um wechselnde Dialoge zwischen
einzelnen Instrumenten oder Gruppen handelt. An den Grenzen zwischen
den A-Teilen und B stehen Solo-Einlagen von Saxophon bzw. Violoncello.
Die A-Teile untergliedern sich in drei Duo-Abschnitte, durchsetzt
von Solo-Abschnitten. Der B-Teil umfaßt vier Trios: Contrapunctus-Sektionen,
nach außen durchsetzt von zwei Soli, und in der Mitte steht
die Peripetia, ein ganz kurzes Più lento für die Klarinette
(Solo, Duo usw. sind nur Prioritätsbezeichnungen, nicht Besetzungsangaben).
Der letzte Satz kombiniert Themenfragmente sehr unterschiedlicher
Art: eine "choralartige" Sequenz mit Arabesken-Einwänden, eine
kurze "elegische" Melodie mit kanonischer Imitation (beide in Alternanz
von Anfang an) und eine "kapriziöse" Melodie (ab dem Mittelteil).
"Unter den verschiedenen unifizierenden Motiven und musikalischen
Gesten in diesem Werk ist das Crescendo, welches jeden Satz einleitet,
am wichtigsten. Kombiniert mit dem Nonen-Intervall des Trio-Themas
beschließt dieses das Werk." Vor allem hat 'Musique d'été'
mit vielen durchaus geläufigen Floskeln und Figuren der Akteure
einen auffallend pseudo-musikantischen Zug. [Einführungstext für Konzerthaus Wien, 1996] |