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Tollkühn & pathetisch

Charles Münch dirigiert Berlioz

Berlioz besticht nicht durch Tiefe, war kein großer Kontrapunktiker, kein genialer Melodiker. Aber er war ein Revolutionär mit hochfliegenden Ideen, und ein der Gigantomanie zugeneigter, visionärer Neuerer der Orchestration. Seine "Grande messe des morts" vereint tollkühnen Eigensinn mit äußerlichem Pathos. "Fausts Verdammnis" kombiniert klassischen Geisterbahn-Horror mit biederen Ständchen. Hemmungslose Sentimentalität des Zerfließenden wie des jäh Herausfahrenden prägt die dramatische Symphonie "Roméo et Juliette". Milde und zahm, aber fern tradierter Regelmäßigkeiten wird die "Kindheit Christi" besungen, wogegen "Harold in Italien" virtuose und sturmgepeitschte Register zieht und Musikwissenschaftler mit seinen Modernismen fesselt. Die "Symphonie fantastique", Berlioz' bekannteste Schöpfung, ist keine Symphonie, aber ein orchestrales Wechselbad hinreißend


querständischer Halluzinationen. Für diese klar kommentierte, preiswerte "Best of"-Box gilt: Keiner hat all diese Werke so trotzig herausschmettern lassen, stets solch knochig schlankes Brio erreicht wie Charles Münch, ein echter Berlioz-Kongenius. Die 50er-Jahre-Aufnahmen klingen phantastisch.

Berlioz, Romeo und Julia, Fausts Verdammnis, L'enfance du Christ, Harold in Italien, Requiem, Symphonie fantastique, Nuits d'été etc.; Boston Symphony Orch., Charles Münch; BMG 8CDs 09026-68444-2 .

Christoph Schlüren

(Rezension für das Münchner
Kulturmagazin 'Applaus')