Interview mit Jörg WidmannDie Seelen, die Bäume und die Zeit |
Der 24jährige Münchner Klarinettist Jörg Widmann gilt nicht
nur als einer der besten Musiker auf seinem Instrument, sondern
auch als eine der größten Begabungen auf der deutschen
Komponistenszene. Sei es im aphoristischen oder lyrisch-träumerischen
Duktus, sei es ursprüngliche, wild heraussprühende Musizierfreude
- Widmanns Ausdrucksspektrum ist höchst vielseitig, immer nobel
und fern aller neoakademischen Trockenheit, auch wenn es sich um
eine streng organisierte, elaborierte Konstruktion handelt wie in
seinem großen, fast tückisch verzahnten Orgelwerk "La
verrière lilas". Ein herrliches Werk zwischen ständigem
inneren Aufbruch und beinahe Verwelken ist das letztes Jahr vollendete
Klarinettenquintett "Trauergesang und Frühlingsmusik".
In den letzten zwei Jahren entstand die Klaviersonate "Fleurs
du mal" für Anna Gourari. Derzeit schreibt Widmann an
seinem "Gesang der Sirenen" für Solo-Violine und
19 Streicher, einem Auftragswerk des Münchner Kammerorchesters,
das mit der Geigerin Isabelle Faust beim diesjährigen Warschauer
Herbst, einem der wichtigsten internationalen Festivals, zur Uraufführung
kommen. Requiem für eine LindeUnd wie sind die "Sieben Abgesänge auf eine tote Linde"
beschaffen, für jene 1000jährige Linde in Holzhausen,
die während des letztjährigen Konzerts in einem heftigen
Gewitter vom Blitz hinweggerafft wurde? "Noch ein extrem trauriges
Stück! Dabei habe ich doch auch äußerst ausgelassene,
heitere, orgiastische Musik geschrieben. Die Zusammenarbeit mit
der Schriftstellerin Diana Kempff wurde sehr spannend und fruchtbar,
ich konnte sogar mit Textfragmenten arbeiten wie dem anfänglichen
"...trostlos wie Schweigen die Zeit zerklirrt...". Im
ganzen Stück geht es ganz bewußt um das Empfinden von
Zeit: zuerst Stillstand, dann Dehnungen, Stauchungen usw. Der dritte
Abgesang, mein "Tanz der toten Seelen", wurde unversehens
zu einem grotesk überdrehten Zwiefachen, in dem sich vielerlei
Tanzelemente durchdringen und geradezu pervertierte Gestalt annehmen.
Im letzten Stück steht die Zeit wieder still, aber verändert:
Die Linde wird mit Glockengeläut des Klaviers in eine andere
Welt begleitet, mit einem permanent dissonant schwebenden Akkord
und einem Text über unsere Seelen, die Bäume und die Zeit." Christoph Schlüren (Beitrag für das Münchner Kulturmagazin |