Anton von Webern Das Gesamtwerk |
War mit dem Webernschen Gesamtwerk
in der 1978-er CBS-Veröffentlichung noch ausschließlich
das mit Opuszahlen versehene uvre gemeint, welches auf 3 CDs
dokumentiert ist (Sony 45845), so haben Boulez und Konsorten bei
der zweiten großen Gelegenheit jetzt wirklich eine annähernde
Gesamtdokumentation von Weberns Musik vorgelegt, die prompt auch
annähernd doppelt so umfangreich ausfällt und auch kaum
Bekanntes aus frühen Schaffensperioden enthält. Der komplette
Webern ist es freilich auch jetzt nicht, indem z. B. die zweite
Fassung der sechs Orchesterstücke op. 6 (für reduziertes
Orchester von 1928) nicht enthalten ist ein verschmerzbarer
Verlust! Boulez Zugang zu Weberns Kunst ist zärtlicher,
einfühlsamer, abgeklärter als Ende der sechziger Jahre.
Das frühe Orchesteridyll "Im Sommerwind", kein Lieblingsstück
von ihm, nimmt er gar extrem breit und läßt die duftige
Atmosphäre sehr natürlich entstehen. Auf der strukturell-analytisch
durchgearbeiteten Seite geht dadurch nichts verloren, hinsichtlich
Transparenz muß man eher von zusätzlichem Gewinn sprechen,
und insgesamt wirken nicht nur die längeren Stücke (wie
die Passacaglia op. 1) beseelter, belebter, stringenter. An Arrangements
von Weberns Hand sind, wie schon einst bei CBS, die zwei berühmtesten
enthalten: "Fuga (Ricercata) a sei voci" (aus Bachs Musikalischem
Opfer) und Schuberts Deutsche Tänze vom Oktober 1824. Während
den Berlinern in der divergent orchestrierten Fuga viele kleine
Wunder an feinster Übergangskunst gelingen, bleibt Boulez in
den Deutschen Tänzen bezüglich natürlicher Grazie
und dezenter Charakterisierung klar hinter Weberns eigener Aufnahme
von 1932 (Sony) zurück. Die Interpreten sind durchweg vorzüglich in diesen Aufnahmen, die bis auf die 3 Lieder nach Gedichten von Ferdinand Avenarius von 1903-04 (Christiane Oelze und Eric Schneider) und die Einspielungen Krystian Zimermans alle bereits vorher erhältlich waren. Zimerman ist mit dem sehr unkindlichen "Kinderstück" von 1924 (Dauer: 48 Sekunden), dem strukturell kompakten "Klavierstück" von 1925 (Dauer: 1'24") und den Variationen op. 27, Weberns wichtigstem Klavierwerk, zu hören. Er gewinnt diesen Stücken sinnliche Kraft und Zauber der Farben ab, wie dies üblicherweise nicht geschieht. Gesamteindruck: Diese üppige, interpretatorisch hochkarätige, wenngleich vor allem in den größer besetzten Werken keineswegs Webern gerecht werdende und mit hilfreichen Einführungstexten versehene Dokumentation ist nicht nur für Webern-Freunde ein Muß! Christoph Schlüren (Rezension für Klassik Heute) Christiane Oelze, Françoise Pollet (Sopran), Mary Ann McCormick
(Mezzosopran), Gerald Finley (Baß), Gidon Kremer (Violine),
Clemens Hagen (Cello), Krystian Zimerman, Pierre-Laurent Aimard,
Gianluca Cascioli, Oleg Maisenberg, Eric Schneider (Klavier), Emerson
String Quartet, BBC Singers, Ensemble Intercontemporain, Berliner
Philharmoniker, Pierre Boulez; |