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Letzte Dinge – Lepo Sumera

Tragisch früh, im Alter von 50 Jahren, verstarb Lepo Sumera im Jahr 2000. Immer noch ist er im Westen weit unbekannter als Arvo Pärt oder sein Schüler Erkki-Sven Tüür, was als grobe Ungerechtigkeit zu werten ist. Seine seit Beginn der achtziger Jahre entstandenen ersten fünf Symphonien, international herausragende, freisinnige Meisterwerke des unsterblichen Genres, sind schon lange bei BIS erhältlich. Vorliegende Zusammenstellung enthält nur Spätwerke, letzte Dinge sozusagen. Die 1997 verfertigte 'Musica profana' für Streichorchester scheint äußerlich fast minimalistisch mit immer wieder durchbrochenen barocken Gewebestücken zu spielen, doch erzeugt der strukturell-intervallische Hintergrund eine beeindruckende Stringenz. Das Cellokonzert von 1998-99 ist David Geringas auf den Leib geschrieben und bietet diesem ausgiebig Gelegenheit, ein virtuoses Drama mit exzessiven Ausbrüchen und unendlich zarten, nie billig sentimentalen Linien zu kommunizieren, was sehr berührend gelingt. Der überragende Wurf freilich ist die Sechste Symphonie, die Sumera kurz vor seinem Tod vollenden konnte.

Hört man den immer tiefer dringenden, die Nöte dieser Welt hinter einem dunklen Schleier zurücklassenden Finalsatz, so kann man sich kaum vorstellen, daß der Komponist hier nicht sein baldiges Ableben vorausahnte. Der Kopfsatz der Symphonie ist ein in den extremen Kontrasten und herrlichen Farbwirkungen durchweg fesselndes und oftmals überraschendes, äußerst stimmungsvolles und in der Gesamtgestalt grandios disponiertes Gebilde, handwerklich souverän und in den Gefilden einer äußerst freien Tonalität entwaffnend originell. Das technisch beeindruckende Estnische Nationale Symphonie-Orchester unter Paavo Järvi spielt mit außergewöhnlicher identifikatorischer Emphase. Es ist höchste Zeit für den postumen Durchbruch von Sumeras Musik in unseren Konzertsälen!

Lepo Sumera: 6. Symphonie, Cellokonzert, Musica profana; David Geringas (Cello), Estnisches Nationales Symphonie-Orchester, Paavo Järvi; BIS 1360 (Vertrieb: Klassik-Center)
Christoph Schlüren
Bewertung: 6