Selbst unter Richard Strauss erklärten
Anhängern wirkte die 1898 komponierte Tondichtung Ein Heldenleben
polarisierend, nicht zuletzt des jeglicher Bescheidenheit spottenden
Titels und Programmes wegen. Die einen hielten sie für den
Gipfel seines Schaffens für den Konzertsaal. Anderen erschien
die Übersteigerung der Mittel mindestens fragwürdig, unter
ihnen Romain Rolland, der nichtsdestoweniger sicher war, "daß
der Pfeil des Lebens bei Strauss niemals höher gestiegen ist
als damals."
Der Titel stand nicht von Anfang an fest. Zu Beginn der Skizzierung
in Marquartstein sprach Strauss von seiner "Eroica". Drei
Monate später, am 23. Juli 1898, schrieb er: "Da Beethovens
Eroica bei unseren Dirigenten so sehr unbeliebt ist und daher nurmehr
selten aufgeführt wird, componiere ich jetzt, um einem dringenden
Bedürfnis abzuhelfen eine große Tondichtung Heldenleben
betitelt (zwar ohne Trauermarsch, aber doch in Es-dur, mit sehr
viel Hörnern, die doch einmal auf Heroismus geeicht sind)
"
So ist es mit vielem in Strauss Werk: Wie ernst meint ers?
Ists wirklich ein tönendes Selbstporträt, mit seiner
Frau Pauline de Ahna in der kaum allzu schmeichelhaften Rolle der
launisch-koketten Gefährtin, die der Solovioline übertragen
ist? Noch 1920 schickte Strauss eine Gratulation an Arthur Nikisch,
den "Meister des geheimnisvollen Zauberstabs", mit vorangestelltem
Heldenthema ein Gruß von Held zu Held sozusagen. Über
die Folgen des nachgelieferten sechsteiligen Programms (Der Held
Des Helden Widersacher Des Helden Gefährtin
Des Helden Walstatt Des Helden Friedenswerke Des Helden
Weltflucht und Vollendung) hat sich Strauss, der zeitlebens ein
entspannt respektloses Verhältnis zur Kritik hatte, köstlich
amüsiert, so in einem Brief an seinen Vater nach der Berliner
Erstaufführung: "
spucken Gift und Galle, hauptsächlich
weil sie aus der Analyse (von Rösch) zu ersehen glaubten, daß
mit den recht häßlich geschilderten ´Nörglern
und Widersachernª sie selbst gemeint seien und der Held ich selbst
sein soll, was jedoch nur teilweise zutrifft. Jedenfalls ists
sehr ergötzlich, wie sich die Leute darüber aufregen,
daß ich, anstatt endlich einmal umzukehren, immer wieder vorwärts
schreite
" 1906, nach der Uraufführung der Salome,
ließ der große alte Felix Draeseke mit seiner Streitschrift
Die Konfusion in der Musik die erbitterte Auseinandersetzung zwischen
Widersachern und Befürwortern der Fortschrittsmusik jener Tage
erst richtig aufflammen. Neben todernsten Befehdungen gab es auch
beißend humoristische Beiträge, vor allem, nachdem 1908
das Königliche Landgericht Leipzig den Komponisten Heinrich
G. Noren, der zwei Hauptthemen aus dem Heldenleben gestohlen hatte,
vom Vorwurf der Urheberrechtsverletzung freisprach mit der Begründung,
daß es sich hier um keine Melodien handele. Dem folgte im
Faschingsheft 1909 der Zeitschrift Die Musik eine Glosse von Strauss-Biograph
Max Steinitzer (dem großzügigen Mäzen des fiktiven,
nach Madagaskar ausgewanderten Strauss-Rivalen Otto Jägermeier),
welcher dem Helden-Thema folgenden Text unterlegte: "Strauß
ist ein großes Genie, aber ganz ohne Melodie. O, so hört
Franz Lehár an! Das ist doch noch ein ganz andrer Mann!"
Im gleichen Heft fand sich von der Gegenpartei das "Reformkasperlspiel"
von der "144. Kakophonikerversammlung in Bierheim", welches
die Arbeit des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV), dem Strauss
vorstand, gnadenlos karikierte, und seinem Autor (dem Münchner
Pädagogen und Komponisten Edgar Istel) jahrelange Rechtsstreitigkeiten
eintrug. Hier tritt zum Ende der Versammlung der Teufel auf und
läßt "eine neue Kakophonie Richards: Höllenleben"
von seiner Leibregimentskapelle spielen.
Aber der Teufel gebietet Einhalt:
"Das ist wirklich selbst mir zu bunt! Das kann ich meinen armen
Seelen nicht zumuten, die sind nur zu einfacher Höllenpein
verdammt. Komponiert ihr denn alle so?" Darauf Richard: "Halten
zu Gnaden, Herr Teufel, i moan, die übrigen komponieren noch
scheußlicher." Da werden sie aus der Hölle rausgeworfen:
"Die Erde öffnet sich und speit alle Kakophoniker aus
"
Was Sergiu Celibidache an Richard Strauss schätzte, läßt
sich gerade bezüglich seiner unerbittlichen Ablehnung Gustav
Mahlers begreifen: Die formale Konzentration (aller Effektfreude
und Detailverliebtheit zum Trotz), das klare Bewußtsein für
harmonische Kontinuität und die ergänzende Funktion der
kontrastierenden Elemente Vorzüge, die Glenn Gould 1964
schilderte als "unfehlbaren Instinkt für den harmonischen
Gang seiner Struktur, für die Entscheidung darüber, welche
Bereiche nachdrücklich diatonisch sein müssen, um einen
Ausgleich zu schaffen für jene, in denen den extravaganten
Leidenschaften des chromatischen Idioms nachgegeben wurde".
Dabei nahm Celibidache auch gelegentliche Schwachstellen wie in
Heldenleben oder Don Quixote in Kauf. Konstatierte er im Don Quixote
eklatante architektonische Mängel, so war er im Heldenleben
besonders bestürzt über "jene sehr schlechten 33
Takte: die Zitate aus seinem Leben [Des Helden Friedenswerke]. Hier
wird die Spannung nicht gehalten. Eine Katastrophe!" Auch wenn
er im (später hinzukomponierten) Schluß die tiefe Hornlage
und vor allem den finalen Trompeteneinsatz auf dem tiefen Es für
Mißgriffe hielt, war der letzte Teil des Heldenlebens seines
Erachtens doch "genial instrumentiert anders als der
Fortissimo-Mittelteil, der Schlachtlärm, wo zwar alles da ist,
alles klingt, aber wie
"
Obwohl Celibidache unter allen Dirigenten das Heldenleben am breitesten
nahm (noch breiter als Barbirolli), wirkt es erstaunlich leicht,
schwungvoll und kapriziös. Aufs Höchste hat er die Kunst
entwickelt, eine Sache aus der anderen entstehen zu lassen, der
polyphonen Vielgesichtigkeit im ständigen Wechsel des Prioritären
eindeutige Physiognomie zu verleihen, indem das Verweben von bis
zu sechs real gegeneinander geführten Stimmen nie zu wabernder
Harmonie degeneriert. Nirgendwo hört man so klar alle wesentlichen
Details (auch in der Schlachtmusik, wo Celibidache auf die Hauptthematik
setzt) und kann zugleich ständig untergründig spüren,
wo man sich in der Gesamtentwicklung befindet. Die Ideologie des
Heldenlebens ließ Celibidache außer Acht. Nur was der
Tonsatz von sich aus hergibt, interessierte ihn, und in diesem Anspruch
berührte er sich bezeichnenderweise wieder mit dem Komponisten,
dem das Illustrative, für welches er so sehr begabt war, nur
eben leider gelegentlich zum Selbstzweck geriet.
Christoph Schlüren
(Booklettext für Deutsche Grammophon CD)
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