Entdeckung aus den Zwanzigern
Ignace Strasvogel (1909-94) wurde in Warschau geboren und wuchs
in Berlin auf, wo er als 13jähriger an der Musikhochschule
mit dem Klavierstudium begann. Zwei Jahre später trat er in
die Kompositionsklasse Franz Schrekers ein. Kurz darauf entstanden
seine wohl bedeutendsten Werke. Als er Anfang 1934 aufgrund seiner
jüdischen Abstammung in die USA emigrieren mußte, endete
seine Laufbahn als Komponist, die so vielversprechend begonnen hatte.
Er komponierte nur noch wenig und schließlich 35 Jahre
lang gar nichts mehr. Ab Mitte der achtziger Jahre schrieb
er ein paar weitere Werke, von denen hier ein kleines Scherzo und
das verhalten lyrische Liedepos "Dear Men and Women" (mit
Martin Bruns, Bariton; warum fehlt der Text im Booklet?) vertreten
sind stilistisch abgeklärt, aber auch etwas resigniert.
Nicht so die beiden
Klaviersonaten von 1925/26, deren an Schrekers irisierender Harmonik
und gesättigten Koloristik geschulte Sprache erstaunliche Nähe
zu Alban Bergs Klaviersonate aufweist freilich, trotz aller
elaborierten Satzkunst, ohne dessen kontrapunktische Spannkraft
und formale Unbedingtheit. Aber es ist sehr gute, zeittypische,
musikantische, genuin pianistische Musik, von Kolja Lessing mit
extremer Einfühlung und verfeinerter Meisterschaft dargeboten
und exzellent aufgenommen.
Christoph Schlüren
(Rezension für Music Manual)
Kolja Lessing
Decca 455359-2 |