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Robert Schumanns
2. Symphonie
unter George Enescu

Geniestreich

Klanglich sensationell aufbereitet wie öfters bei Michael Dutton erstrahlen diese beiden Londoner Schumann-Dokumente aus den vierziger Jahren in neuem Glanz. Im Juli 1946 leitete Piero Coppola das National Symphony Orchestra in der Frühlingssymphonie. Hier sind seine Tempi bei weitem nicht so jagend wie in der Rheinischen, die er 1933 in Paris im damals erforderlichen Schellack-Highspeed ohne Wiederholungen eingespielt hatte. Coppolas Dirigat hat Schneid und Präzision, doch hört man wenig von der harmonischen und klangfarblichen Mannigfaltigkeit und grenzgängerischen Emotionalität, die für Schumann so typisch und wesentlich sind. Eine gewisse Nähe zum Stil Toscaninis, aber ohne dessen Brutalität, ist auszumachen. Ganz anders Rumäniens überragender Komponist und Geiger George Enescu, der im September 1947 das London Philharmonic Orchestra Schumanns hermetischere Zweite Symphonie neu entdecken ließ. Hier ist jeder Satz fesselnd und auf einzigartige Weise gelungen. Der Kopfsatz drängt mit einer unbeschreiblichen Leichfüßigkeit und natürlich artikulierten Behendigkeit voran, ohne einen Hauch von forcierter Dramatik, sondern aus der inneren Leuchtkraft heraus einen bezwingenden Spannungsbogen beschreibend, der jeden Moment trägt. Die Innigkeit und erzählerische Unschuld, die im zweiten Trio des geistvoll ausmusizierten Scherzos so unmittelbar zu Herzen geht, erfährt ihre weittragende Ausfaltung im Adagio espressivo, wo Enescus natürliche Gabe, suggestiv sprechenden Ausdruck und schwerelos kantable Anmut zugleich zu verkörpern, die überquellende Emotionalität in waghalsiger Balance hält und allen Klippen des Sentimentalen oder Artifiziellen trotzt.

Hier ist die Identität Mensch-Musiker eine wahrhaft unverbrüchliche. Ganz unkonventionell, nämlich sehr gemessen, aber ohne eine Spur plakativen Heroismus (was hier auch bei schnelleren Tempi die fast unvermeidliche Gefahr ist!), vollbringt Enescu im Finale ein Wunder an Gesamtgestaltung, welches alle vielbeschworenen Schwächen dieses Satzes in Nichts auflöst. Herrlich mitzuerleben, wie traumwandlerisch verinnerlicht er die C-Generalpausen ansteuern läßt, und wie hier jeder spüren kann, daß es noch lange weitergehen muß – nicht, um ein Formschema zu erfüllen, sondern aus unergründlichem musikalischen Freiheitsverlangen. Ein Geniestreich, und zu gerne würde man nun auch Enescus "Eroica" wiederveröffentlicht sehen.
Robert Schumann: Symphonien Nr. 1 B-Dur op. 38 und Nr. 2 C-Dur op. 61; National Symphony Orchestra, Piero Coppola; London Philharmonic Orchestra, George Enescu; Dutton Laboratories CDK 1209 (Vertrieb: Helikon harmonia mundi)

Christoph Schlüren
(Rezension für Neue MusikZeitung)