Artur SchnabelSymphonien Nr. 1-3 |
Artur Schnabel (1882-1951) war nicht nur einer der größten Pianisten des Jahrhunderts, er war als Komponist zumal von Symphonien ein Gigant. Die drei Symphonien, die Paul Zukofsky zum ersten Mal vorlegt, teils sogar uraufgeführt hat, entführen den Hörer in Windeseile in eine fantastische, mit überbordender Phantasie erschaffene Welt extremster Gegensätze. Zauberhaft, gespenstisch, grandios, schlicht, zerbrechlich, brutal alles hat Platz in Schnabels lebenssprühenden, expressionistisch übersteigerten, spontan mitreißenden und doch klaren Sinnes ausgearbeiteten Organismen. Auch die komplexesten Relationen und schroffsten Kontraste wirken vollkommen unwillkürlich, naturhaft sich generierend, fortspinnend, ablösend. Komplex sind Schnabels Partituren, gemessen an ihrer Entstehungszeit, aufs Extremste. Alle drei Symphonien sind viersätzig. Die 1938 vollendete, dreiviertelstündige Erste ist das wildeste, strukturell verschlungenste Werk, dessen aggressiver Schluß seinesgleichen sucht (allenfalls Prokofjew hat ähnlich grelle, schneidende Wirkungen erreicht). Die Zweite Symphonie, komponiert 1941-43 in New Mexico, offenbart mit einer Stunde Dauer am vorzüglichsten Schnabels außergewöhnliche Fähigkeit, die zentrifugalen Tendenzen der so unterschiedlichen musikalischen Gestalten zu kontrollieren und zu einem soghaft unentrinnbaren Ganzen zu bündeln. Extreme Divergenz kontrapunktischer Auftürmungen und fahle, ersterbende Vereinzelung bilden die Gegenpole in diesem eindrücklichen Drama ohne Worte, dessen Elan und Phantasie nie erlahmen. Die "fortschrittlichste" Klangsprache exponiert die 1948 geschriebene Dritte Symphonie, mit ihren komplizierten Metrumwechseln und dazu kontrastierenden polyphonen Schichtungen durchaus ein Vorbote Elliott Carters. Das Finale ist ein Variationensatz
über das Thema des 2. Satzes aus Schnabels 1900 in Brahms-verwandtem
Ton verfaßtem Klavierkonzert. Schnell wird dieser romantische
Fremdkörper Schnabels aktuellem Stil einverleibt und wächst
sich zum bedrohlich scherzenden Monster aus. Das virtuose Oszillieren
der orchestralen Klangfarben, die mehr auf Skalen als auf Akkorden
beruhende, hochkomplizierte Harmonik, die in feinsten Graden abgestufte,
"funktionelle" Dynamik sind zukunftsweisende Aspekte in
Schnabels Symphonik. Insgesamt: Welche Qualität! Unfaßbar.
Das gilt zugleich für die stringent und differenziert durchgepeilten
Aufführungen unter Initiator Zukofsky, aus dessen zudem die
geistreich informierenden Begleittexte stammen. Auch die Leistungen
der Tontechniker beim Durchleuchten des dichten Satzgestrüpps
sind fabelhaft. Schnabels Symphonien muß man ebenso
wie diejenigen Eduard Erdmanns kennen, will man über
die unbegrenzten Möglichkeiten freitonalen, unkonventionellen
symphonischen Komponierens abseits der damals in Mode kommenden
seriellen Dogmen im Bilde sein. |