< RARE MUSIC STARTSEITE

Zwischen Tradition und Innovation

Goffredo Petrassis Orchesterkonzerte

Goffredo Petrassi wurde 1904, im gleichen Jahr wie Luigi Dallapiccola, geboren. Er überlebte seinen Landsmann bei weitem, erlangte jedoch nie dessen internationale Reputation. Seine acht Orchesterkonzerte entstanden zwischen 1934 und 1972, also in einem Zeitraum von fast vierzig Jahren. Damit umspannen sie fast das ganze Spektrum von Petrassis stilistischer Entwicklung. Im ersten Konzert stand er noch deutlich im Banne des Neoklassizismus, auch wenn er bereits hier eine schroffere Sprache kultivierte. Der Einfluß Hindemiths ist ähnlich offenkundig wie bei Giorgio Federico Ghedini, und auch Anklänge an den späten Casella sind auffallend. Die Konzerte Nr. 2 bis 6 entstanden in gedrängter Folge zwischen 1950 und 1957. Petrassi hatte mit der atmosphärisch bestrickenden 'Noche Oscura'-Kantate zu seiner eigenen Sprache gefunden, und vor allem das zweite und dritte Konzert strahlen eine Frische der Wirkungen, einen unverbrauchten Erkundungsgeist aus, der den Nachklang des Neoklassizismus mit reichem Lyrismus verknüpft. Das vierte Konzert ist für Streichorchester gesetzt und verdankt im expressiv-introspektiven Gestus Bartók eine Menge. Im umfangreichen fünften Konzert neigt Petrassi, vor allem im ersten Satz, zu geläufigem Leerlauf, das Material ermüdet, bevor es aufgebraucht ist. Der zweite Satz hat mehr Spannkraft. Das sechste Konzert weist den Weg zu den wirklichen Stärken dieses Aristokraten zwischen tradierter Expressivität und innovatorischem Materialanspruch: Je technokratischer Petrassi vorgeht, je artifizieller und sublimierter er die unterschiedlichen Klangwelten in Beziehung zueinander setzt, desto fantastischer und eigentümlicher ist das Resultat.

Im 1964 geschriebenen siebten Konzert führt das zu einer alles kontinuierlich Entwickelnde zerstäubenden Haltung, die Berührungspunkte mit dem radikalen Lutoslawski aufweist. Das 1972 entstandene achte Konzert ist in seiner versachlichten expressiven Geste abgeklärt souverän durchgeführt, aber nicht frei von Momenten der Ermattung. Die Aufführungen sind solide bis akzeptabel, kaum jedoch von hinreichender Transparenz und keineswegs sehr inspiriert. Das Klangbild ist ziemlich mittelmäßig. Wen jedoch substantielle Beiträge zur Orchesterliteratur des 20. Jahrhunderts interessieren, der sollte sich diese Edition nicht entgehen lassen.
Goffredo Petrassi: Otto Concerti per Orchestra; BBC Symphony Orchestra, Philharmonia Hungarica, Orchestra Sinfonica di Milano della RAI, Leitung: Zoltán Peskó; 4 CD-Box Fonit Cetra CDC 103, Vertrieb: This Is Music.

Christoph Schlüren

(Rezension für Neue MusikZeitung)