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Feinstoffliche Ekstase

Sergiu Celibidache dirigiert Mozarts "Haffner-Symphonie" KV 385

Celibidaches Mozart-Aufführungen sind sogar bei vielen seiner Verehrer auf Skepsis und Ablehnung gestoßen. Oft wurden ihm Manierismus und Glättung vorgeworfen. Die schroffen Akzente, derben Fortissimi und grellen Hörner zumal der heute meist favorisierten historisierenden Aufführungspraxis, aber auch die Schwere und destabilisierende Sentimentalität der romantischen Tradition wird man bei ihm vergeblich suchen. Er verstand Mozart ganz aus der 'Urlinie' heraus, aus der immerwährenden modulatorischen Beweglichkeit aufgrund des alles determinierenden harmonischen Plans. Das fordert vom Hörer, was auch von den Ausführenden verlangt wird: höchste Geistesgegenwart, äußerste Sensibilisierung. Unter Celibidaches Leitung ist Mozarts Musik nicht unterhaltend, sie fordert vielmehr restlose Konzentration ein. Dafür bedarf es keiner überzogenen Momenteffekte. Celibidache gelingt eine feinstoffliche Ekstase, die sich oberflächlicher Hörerwartung nicht preisgibt. So begriffen vermittelt Mozarts Musik alles andere als kontinuierliche Stimmungen, in die sich nach Belieben eintauchen läßt. Die erforderliche Haltung ist absolut in medias res. Und aus solchem alle Details in ihrem einmaligen Zusammenhang umfassenden Musizieren heraus sind die Wiederholungen im Sonatenhauptsatz nicht nur überflüssige Konvention, sondern störend, ja, die ungebrochene Erfassung des Gesamtablaufs verhindernd.

Anders die Wiederholungen im Menuett, welche potenzierende, konstitutiv formbildende Funktion haben. Die Tempi, die Celibidache im Juni 1976 in den Ecksätzen der 1782 komponierten 'Haffner'-Symphonie anschlug, passen nicht zu den über ihn gebildeten Klischees. Sie sind ausgesprochen frisch und lebendig, zumal bei solcher Wendigkeit der Phrasierung und Transparenz des Kontrapunkts. Die dynamischen Vorgaben sind, wie stets bei Celibidache, nicht als absolute Werte in sich verstanden, sondern relativ, also jeweils auf die konkrete Situation spezifisch angewendet und äußerst flexibel. Der zweite Satz ist breiter als üblich genommen, da Celibidache den Andante-Charakter nicht im ausgewiesenen 2/4-Takt, sondern einzig im 4/8-Metrum zu verwirklichen sah. Patentrezepte lehnte Celibidache auch in Barock und Klassik, den Domänen des Stilpurismus, ab und ließ jedes Stück als ein eigenes Wesen neu erstehen.

Christoph Schlüren

(Booklettext für Deutsche Grammophon CD)