Vor dem Auftreten von Douglas Lilburn war Neuseeland
ein weißer Fleck auf der kompositorischen Landkarte. Zwar
war er nicht der erste Komponist in dem Inselstaat auf der anderen
Seite der Erde. Diese Ehre kommt dem 1870 im australischen Melbourne
geborenen Alfred Hill zu, der in Leipzig studiert und im Gewandhausorchester
gespielt hatte, von 1892 bis 1896 die Wellington Orchestral Society
leitete und mehrere Kompositionen über Legenden der neuseeländischen
Ureinwohner, der Maori, schrieb. Auch nach der Übersiedlung
nach Australien besuchte Hill, der 1960 starb, regelmäßig
Neuseeland. Als Komponist war er freilich trotz aller lokalen literarischen
Interessen fest in der spätromantischen europäischen Tradition
verankert. Selbstverständlich blieb auch dem jungen Douglas
Lilburn nichts anderes übrig, als bei den Vorbildern aus der
Alten Welt zu studieren und von den so erworbenen handwerklichen
und stilistischen Grundlagen ausgehend seine eigene Sprache zu suchen.
So darf es nicht verwundern, wenn seine Werke zumal jene
für das traditionelle Orchester stilistisch enge Bindungen
mit der europäischen Tradition aufweisen. Allerdings fällt
sofort auf, dass er weniger von den mitteleuropäischen Meistern
geprägt wurde als von der überragenden Leitfigur der naturhaften
nordischen Symphonik, dem Finnen Jean Sibelius, für dessen
Musik er vom ersten Augenblick an größte Bewunderung
hegte, wobei es nicht nur der Orchesterklang und die Harmonik waren,
die ihn anzogen.
"Er hinterließ einen tiefen Eindruck in mir, während
ich in Christchurch studierte. Man konnte tatsächlich hören,
dass da eine Sprache anderer Art war, eine Sprache, auf die ich
geradezu gewartet hatte. Als ich zum ersten Mal den zweiten Satz
aus Sibelius zweiter Symphonie hörte, war es, wie wenn
ich an diesem Ort nach Hause käme. Besonders seine Rhythmen
beziehen viel mehr aus der Natur als die traditionellen europäischen
Rhythmen, die vom überlieferten Tanz oder gar von diesen erbärmlichen
Militärkapellen herkommen."
Typisch für Lilburn ist der weit geöffnete, auratische
Klangraum, innerhalb dessen sich seine Orchesterpalette bewegt.
Zwar spürt man immer wieder die Herkunft seiner Klangsprache,
wobei Sibelius hier eindeutig dominiert. Doch ist die Empfindung
von völlig anderer Art. Alles ist unerhört frisch, voller
Lebensfreude und getragen von einem unverfänglichen Optimismus,
der auch bei der Erkundung dunklerer Regionen sein Licht ausstrahlt.
Die nordische Schwermut hat Lilburn nicht von seinem Vorbild übernommen,
denn seine Wirklichkeit ist eine andere. Lilburns Musik verliert
nicht ihr sonniges Wesen, ihre belebende Strahlkraft. Mögen
die klanglichen Elemente durchaus vertraut und eingängig erscheinen,
so ist der Formprozess doch voller Überraschungen und Entdeckungsfreude
und nicht vorhersehbar wie bei akademischeren Kollegen. Die Wirkung
ist unmittelbar, der vitale Puls trägt den Hörer mit sich
davon. Es folgt der Beginn des mit 'Allegro non troppo' überschriebenen
ersten Satzes der 1949 entstandenen ersten Symphonie, gespielt vom
New Zealand Symphony Orchestra unter John Hopkins. Wie ein tönendes
Motto über Lilburns Schaffen könnte die schmetternde Motivik
der Trompeten stehen: 'Life has just begun
'
1
Ausschnitt aus: 1. Symphonie (1949), 1. Satz: Anfang
New Zealand Symphony Orchestra, John Hopkins (April 1993)
Continuum CCD 1069 (Vertrieb: Liebermann)
Douglas Lilburn wurde am 2. November 1915 geboren und wuchs im ländlichen
Idyll der Farm von Drysdale auf der neuseeländischen Nordinsel
auf. Er war sich später bewußt, dass die Natureindrücke,
die er während seiner Kindheit empfing, sein lebenslanges kreatives
Streben bestimmen und steuern sollten.
"Mit 10 oder 11 Jahren kam ich auf die Friends School
in Wanganui. Es war eine Quäkerschule, und sie gab mir die
beste Erziehung meines Lebens, es war ein wunderbarer Ort: schöpferisch
und freilassend. Man bekam die Aufgaben mit einer Abgabefrist, und
jeder arbeitete in seinem eigenen Tempo ohne Druck. Ich glaube,
zu jener Zeit war das einmalig."
17-jährig wurde Douglas Lilburn an die Waitaki Boys High School
in Oamaru auf der Südinsel geschickt. Nun begann er, sich ernsthaft
mit Musik zu beschäftigen. Er schrieb sich an der Universität
in Christchurch fürs Musikstudium ein.
"Als ich meine erste Klaviersonate schrieb, kannte ich nicht
einmal die Bezeichnungen der Akkorde! Ich machte es rein intuitiv
Es war ein Gemisch aus Beethovens 'Pathétique', Mozarts Krönungskonzert
und Liszts Rhapsodie, eben den Dingen, die ich kannte."
Der Unterricht an der Universität war solide, aber sehr akademisch.
Da kam es ihm gerade recht, als Australiens großer Pianist
und Komponist Percy Grainger in Neuseeland einen Preis über
25 Pfund für eine Orchesterkomposition stiftete. Der Gewinner
hieß wir schreiben das Jahr 1936 Douglas Lilburn
mit einer Tondichtung 'Forest', die er in gerade mal einem Monat
zu Papier gebracht hatte. Nach der Uraufführung in Wellington
beschloß Vater Lilburn, die musikalische Karriere seines Sohnes
nach Kräften zu fördern und gewährte ihm die Unterstützung
für ein ordentliches Kompositionsstudium am Londoner Royal
College of Music. Ralph Vaughan Williams wurde ihm ein wichtiger
Mentor:
"Unfehlbar legte er seinen Finger in die Wunde, wenn die Vorstellungskraft
schwankte. Er glaubte an kein bestimmtes musikalisches System, sondern
nur daran, dass jeder sein eigenes Heil finden müsse
wie auch er selbst es getan hatte."
Gegen erhebliche Konkurrenz gewann Lilburn in London den begehrten
Cobbett-Kompositionspreis. Er schrieb seine ersten bedeutenden Werke,
und bezeichnenderweise fern der Heimat einige auf Neuseeland bezogene:
die 'Drysdale Overture', die Kantate 'Prodigal Country' und die
Ouverture 'Aotearoa'. Aotearoa ist der ursprüngliche Maori-Name
für Neuseeland, die Übersetzung heißt so viel wie
'Land der langen weißen Wolke'. Die Ouvertüre wurde 1940
in His Majestys Theatre in London als Teil der Feierlichkeiten
zur hundertjährigen Zugehörigkeit Neuseelands zu Großbritannien
bzw. zum British Commonwealth uraufgeführt. Manch einer mag
sich an der Simplizität der verwendeten Bausteine so
der ständig wiederkehrenden Terz- und Sextparallelen
stoßen, doch auch hier fällt auf, welch imaginative,
unverwechselbare Atmosphäre Lilburn schafft. Für ihn sind
diese Bausteine eben noch nicht verbraucht, sondern frisch und voller
Leben. Die spontane Empfindsamkeit, die ihn beim Komponieren bewegt
haben muss und die auch für die Entwicklung der Form so charakteristisch
ist, wirkt heute so unmittelbar wie einst. Hören Sie den Beginn
der 1940 komponierten Ouverture 'Aotearoa'.
2
Ausschnitt aus: Ouverture 'Aotearoa': Anfang
New Zealand Symphony Orchestra, John Hopkins (August 1968)
Kiwi Pacific CD SLD-99
"Ich habe nie versucht, allzu analytisch zu sein mit dem, was
ich mache scheint es doch aus einer Zeit zu stammen, wo man
keine Analyse kennt. Mozart sagte, es habe etwas mit der Form seiner
Nase zu tun, warum er Musik so schrieb, wie nur er es tat. Ich empfand
mich immer ein bisschen außerhalb der Zeit mit dem, was ich
schrieb. Auf der anderen Seite scheint meine Musik nicht nur zeitbedingt
zu sein Stücke wie die Aotearoa-Ouverture strahlen immer
noch eine gewisse Frische und Heiterkeit aus, wenn ich so sagen
darf. Ich habe auch immer gefühlt, dass meine Musik einerseits
sehr einfach ist, andererseits vielschichtig in der Substanz, je
nachdem, wie tief jemand sich hineinbegeben möchte."
Noch vor der Aotearoa-Ouverture vollendete Lilburn 1939 die Kantate
'Prodigal Country' für Bariton, gemischten Chor und Orchester
auf Texte der neuseeländischen Dichter Robin Hyde und Allen
Curnow sowie von Walt Whitman. Dieses Werk ist eine grandiose Verherrlichung
seiner Heimat geworden, in der eine dramatische und knappe Mittelsequenz
von hymnischem Gesang umrahmt wird. Lilburn als unbestrittene Naturbegabung
in der Zeichnung farbenreicher, charaktervoller und durchsichtig-sonorer
Orchestration haben wir bereits bewundern können. Hier zeigt
er sich als echter Meister in der Behandlung der Singstimmen, dessen
Musik ebenbürtig in der Tradition vergleichbarer Werke von
Delius, Vaughan Williams oder Holst steht. Merkwürdig genug:
nachdem Lilburn für 'Prodigal Country' 1940 im Rahmen der neuseländischen
Jahrhundertfeiern mit einem Preis bedacht wurde, sollten 47 Jahre
verstreichen, bis dieser Hymnus an die Heimat wieder erklang
anläßlich der CD-Aufnahme mit dem Bariton David Griffiths,
dem Orpheus Choir of Wellington und dem New Zealand Symphony Orchestra
unter Sir Charles Groves. Wir bringen einen Ausschnitt aus dem dritten
und beschließenden Teil, einer Vertonung von Walt Whitmans
'Song of Myself'.
3
Ausschnitt aus: Prodigal Country: 3. Teil, Walt Whitmans 'Song of
Myself'
David Griffiths (Bariton), Orpheus Choir of Wellington, New Zealand
Symphony Orchestra, Sir Charles Groves (Juni 1987)
Kiwi Pacific CD SLD-100
1942 aus London zurückgekehrt nach Neuseeland, leitete Lilburn,
der nun in Christchurch, der Hochburg der Schriftsteller und bildenden
Künstler, lebte, drei Monate lang die National Broadcasting
Strings. In der Folge entstand eine Fülle kunstvoller, spielfreudig
kantabler Kompositionen für Streichorchester, worunter ein
weitgespanntes, symphonisches Allegro und die viersätzige Neuseeland-Evokation
'Landfall in Unknown Seas', die eine gesprochene Dichtung Allen
Curnows umrahmt, herausragen. Nie wirkt die souveräne kontrapunktische
Arbeit scholastisch; auch hier ist es immerzu der Gestus des Spontanen,
der besticht. 1947 gastierte das virtuose Boyd Neel Orchestra aus
England auf dem fünften Kontinent, und Neel ermunterte die
einheimischen Komponisten, eigene Werke beizusteuern. Unter allen
eingereichten Werken waren Douglas Lilburns zu diesem Anlass geschriebene
'Diversions' for strings, so Neel, "das einzige auf hohem Niveau".
Sicher kamen in diesen fünf Miniaturen Lilburn nicht nur die
Erfahrungen mit den vorausgegangenen Streicherwerken zugute, sondern
auch die Übung in Verknappung und Präzision, die er sich
als Theaterkomponist bei Ngaio Marshs Shakespeare-Inszenierungen
angeeignet hatte:
"Wie bei jeder professionellen Arbeit dieser Art Radioproduktionen
oder auch kommerzielle Gelegenheiten muss man das, was man
sagen will, in einer genau vorgegebenen Zeit sagen wir, 29
Sekunden ausdrücken, nicht weniger und nicht mehr. Eine
sehr gute Schule!
Als das Boyd Neel Orchestra meine 'Diversions' erstmals in der Wellington
Town Hall aufführte, wurden sie als 'abwegiges zeitgenössisches
Stück' kritisiert. Ja! Nichts dergleichen hatte man je gehört
in einer neuseeländischen Komposition. Dabei sind es nur fünf
kurze Sätze, farbige und fröhliche Musik."
Wir hören nun den zweiten und dritten Satz, Poco adagio espressivo
und Presto, aus den 'Diversions'. Amüsant nicht nur, welches
kurzweilige Spiel mit dem Thema aus Rossinis 'Wilhelm Tell' im Presto-Satz
getrieben wird mit jenem Thema, das ein Vierteljahrhundert
später auch Schostakowitsch in seiner letzten Symphonie herumgeistern
lassen sollte. Bemerkenswert vielleicht auch, dass dieser Spaß
1946 von der Kritik in Wellington nicht vermerkt wurde. Es spielt
das New Zealand Chamber Orchestra mit Konzertmeister Donald Armstrong.
2 Sätze: 'Diversions' for strings:
II Poco adagio espressivo und III Presto
New Zealand Chamber Orchestra, Donald Armstrong (Leader), (Oktober
1993)
Koch International CD 3-7260-2
Das neuseeländische Musikleben befand sich nach dem zweiten
Weltkrieg im Aufbruch. Im Januar 1946 hatte Douglas Lilburn bei
der First Cambridge Summer School of Music jenen brühmten Vortrag
gehalten, der sich mit der Identität neuseeländischen
Komponierens befasste und später unter dem Titel 'A Search
for Tradition' im Druck erschien. Es ging Lilburn dabei, wie auch
in seiner späteren Schrift 'A Search for a Language' von 1969,
vor allem darum, dass ein Künstler, der weder auf eine gewachsene
Tradition bauen noch sich gegen diese stemmen kann, aus der umfassenden
Wahrnehmung seiner Umgebung und aus dem sich daraus ergebenden Selbstbewusstsein
heraus schaffen solle.
"Ich spüre, dass der Musiker in diesem Land seine Wachheit
gegenüber dem Ort, an dem er lebt, entwickeln muss. Er soll
nicht eine klingende Imitation der Natur entwerfen, aber ihre inneren
Werte suchen, die Schönheit und den Sinn, die sie uns von Zeit
zu Zeit offenbart, und vielleicht soll er sie benutzen als etwas,
demgegenüber er den Wert seines eigenen Schaffens prüfen
kann."
Auch in diesen Gedanken manifestiert sich die Nähe zu dem großen
Vorbild Jean Sibelius. Mit der 1949 komponierten ersten Symphonie
erwies sich Lilburn als Symphoniker großen Formats.
"Der Anfang meiner ersten Symphonie kam mir eines Tages auf
den Port Hills und ich dachte: 'Das ist der Beginn einer Symphonie'.
Alles weitere kam eins nach dem anderen. Wenn man einmal diesen
Energiekern empfangen hat, treten andere Dinge hinzu, benutzen diesen
Kern als Katalysator und gruppieren sich in passender Weise darum.
Daraus ergibt sich von einem Tag auf den anderen plötzlich
ein Gespür für die Form, das, wovon Mozart berichtete,
dass es ihm blitzartig erschien was seinerzeit einfacher
war, weil er sich in vertrauten Harmonien und Tonarten bewegte.
Ich versuchte überhaupt nicht, bewusst mit der symphonischen
Form zu experimentieren. Ich folgte nur meiner Nase in einer unergründlichen
Weise."
In der zweiten Symphonie, komponiert 1951, ging Lilburn weiter in
der Behandlung der Dissonanz, in der an Sibelius anknüpfenden
Überlappung der Harmonien und Verwebung der Motivik. Es mag
paradox klingen: Hier ist Lilburn Sibelius am nächsten gekommen,
und zugleich hat er trotz unüberhörbarer Anklänge
mehr denn je zu eigentümlicher Formbehandlung gefunden.
So verhalten der erste Satz beginnt, bald erschließt Lilburn
schroffere Regionen und reizt das Konfliktpotential weiter aus als
in der ersten Sinfonie. Insgesamt ist die zweite Symphonie in ihrer
durchgehend organischen Gestalt der Höhepunkt jener am überlieferten
Wohlklang orientierten Phase, die mit den Londoner Werken der späten
dreißiger Jahre begann. Im folgenden Ausschnitt aus dem Kopfsatz
der zweiten Symphonie spielt das New Zealand Symphony Orchestra
unter John Hopkins.
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Ausschnitt aus: 2. Symphonie (1951), 1. Satz
New Zealand Symphony Orchestra, John Hopkins (1992)
Continuum CCD 1069 (Vertrieb: Liebermann)
"Irgendwann verstärkte sich in mir der Eindruck, dass
ich allmählich durch die lange Isolation von den Zentren neuer
Musik auf dem Weg sei, recht altmodisch zu werden. Ich ging nach
Darmstadt, wo Stockhausen alle diese Studenten zum Zählen von
Tonreihen anleitete: 'Schnell, schnell sie müssen schnell
sein'. Ich dachte, dass das der dümmste Unsinn ist, den ich
je gehört hatte. Ich nehme an, dass es eine Art ist, ein Spiel
zu spielen, doch schien es mir nie sehr relevant für die Musik.
Aber ich hatte Strawinskijs Verwendung modifizierter serieller Techniken
in den fünfziger Jahren studiert, und so benutzte auch ich
Zwölftontechniken zu jener Zeit, wenngleich ich dort nicht
wirklich das fand, was ich brauchte
"
1955 ging Lilburn in die Vereinigten Staaten zur Tanglewood Summer
School, wo er hoffte, Aaron Copland zu treffen. Da dieser nicht
da war, studierte er mit Roger Sessions, was ihm keine große
Befriedigung brachte. Im Jahr darauf schrieb er das hochvirtuose
Orchesterwerk 'A Birthday Offering' anlässlich des 10. Geburtstags
des National Symphony Orchestra, des heutigen New Zealand Symphony
Orchestra, am 24. Oktober 1956. Anklänge an jüngere Musikentwicklungen,
zumal an Copland oder auch Strawinskij, sind offenkundig
"In 'A Birthday Offering' nahm ich mir nur vier Noten und spielte
mit ihnen nach serieller Manier es ist schwer genug, vier
oder fünf Noten in der Schwebe zu halten, schwieriger als zwölf
Noten. Die vier Noten werden zu Beginn vom Solohorn vorgestellt,
und alles, was melodisch und harmonisch folgt, ist daraus gewonnen.
Diese vier Töne habe ich von einem sehr bekannten Komponisten
ausgeliehen
"
Nun also ein Ausschnitt aus 'A Birthday Offering' mit dem New Zealand
Symphony Orchestra unter John Hopkins. Das kapriziöse Element,
welches sich bislang vor allem in der rhythmischen Mannigfaltigkeit
und spielerischen Verwandlung des Melodischen äußerte,
triumphiert allenthalben in leicht hingeworfener, dissonanzgeschmückter
Maskerade.
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Ausschnitt aus: 'A Birthday Offering' (Schluß)
New Zealand Symphony Orchestra, John Hopkins (Oktober 1986)
Kiwi Pacific CD SLD-100
Nirgendwo auf engem Raum ist Douglas Lilburns kompositorische Entwicklung
so offen einsehbar wie in den 'Three Sea Changes', entstanden 1946,
1950 und 1972. Die Periode von 1955 bis 1961, als Lilburn systematischer
mit dem Tonmaterial umging und sich mit seriellen Entwicklungen
beschäftigte, ist zwar in dieser Werkfolge nicht dokumentiert.
Umso überzeugender wird hier der Prozess der Befreiung von
der Tradition und die Erkundung einer eigenen Sprache mitvollziebar
letztlich mehr ein Prozess der Erweiterung als der Befreiung,
denn auch beim frühen Lilburn hat man nie das Gefühl,
dass er sich von den Konventionen eingeengt fühlt. Margaret
Nielsen spielt nun die 'Three Sea Changes', deren Entstehung
bezieht man die Revision des dritten Stücks im Jahr 1981 mit
ein 35 Jahre umspannt.
7
'Three Sea Changes' für Klavier Solo: I (1946), II (1950) und
III (1972/rev. 1981)
Margaret Nielsen (Klavier), (©1996)
SOUNZ CD Volume I 'fine music from New Zealand'
In seinen Werken seit Mitte der fünfziger Jahre, darunter ein
Blechbläserquartett, ein Bläserquintett, die verschmitzt
karikaturistische Suite for Orchestra und das launig überbordende
Orchester-Showpiece 'A Birthday Offering', hatte Lilburn zunehmend
serielle Techniken in sein Schaffen integriert. Diese technisch
avancierte Ausrichtung trieb er am weitesten in der 1960-61 komponierten
dritten Symphonie, die unter Kennern als sein konzisestes, stringentestes
Werk gilt. Hier ist seine Sprache lakonischer denn je, das Atmosphärische
ist der motivischen Zeichnung klar untergeordnet.
"Erste Bekanntschaft mit dem Serialismus machte ich auf meinem
Überseetrip 1955, aber als ich zurück nach Neuseeland
kam, war ich ganz auf mich selbst gestellt. Ich studierte diese
technischen Möglichkeiten weiter und wollte sehen, was ich
daraus gewinnen könnte. Die Frucht aus dieser Beschäftigung
war schließlich die dritte Symphonie. Aber auch hier ist es
eine modifizierte serielle Technik und ich denke, dass ich es da
so weit getrieben habe, wie ich zu gehen bereit war."
Nach der dritten Symphonie hat Lilburn fast keine Musik mehr für
traditionelle Musikinstrumente geschrieben, sondern begab sich fast
ausschließlich aufs Feld der elektro-akustischen Musik. Dieser
Schritt wurde immer wieder sehr bedauert, und in der Tat fällt
es schwer, einzusehen, dass sich ein Komponist nach einer über
drei Jahrzehnte so facettenreichen Entwicklung und einem so rundum
fesselnden, klar konturierten und meisterhaft organisierten Werk
wie der dritten Symphonie von seinem bisherigen Schaffen so konsequent
loslöst. Andererseits hatte er eben mit der dritten Symphonie
einen Endpunkt einer Entwicklung erreicht, die er nicht mehr weitertreiben
wollte auch wenn seine Handhabung serieller Prinzipien eine
sehr undogmatische genannt werden muss. Ihm blieb nun nur noch ein
völlig anderer Weg.
Es folgt der Beginn der einsätzigen, knapp viertelstündigen
dritten Symphonie, gespielt vom New Zealand Symphony Orchestra unter
John Hopkins im Rahmen der Gesamtaufnahme der Symphonien Douglas
Lilburns für das Label Continuum.
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Ausschnitt aus: 3. Symphonie (1961)
New Zealand Symphony Orchestra, John Hopkins (1993)
Continuum CCD 1069 (Vertrieb: Liebermann)
Die weitgehende Absage Douglas Lilburns an das Komponieren fürs
herkömmliche Instrumentarium, die auf die 1961 vollendete dritte
Symphonie folgte, war für ihn ein entscheidender Schritt bei
der Annäherung an die klanglandschaftlichen Visionen, die er
seit seiner Kindheit in Drysdale in sich trug. Es war nur am Rande
die technokratische Faszination, die ihn dazu bewegte, im Studio
für Elektronische Musik im kanadischen Toronto eine ganz neue
Welt der Klangbehandlung kennenzulernen und, zurück in Neuseeland,
dort das erste Studio für Elektro-Akustische Musik zu gründen.
"Als Kind wuchs ich nicht so sehr mit Musik auf als vielmehr
mit den Klängen der Umgebung. Das waren die Jahre, in denen
die Welt meiner inneren Vorstellung geprägt wurde. Also war
es, als käme ich gewissermaßen nach Hause, als ich erstmals
im elektronischen Studio arbeitete. Es war eine sehr befreiende
Sache für meine Imagination, als ich die Techniken beherrschen
lernte, mit denen ich diese neuen, unbeschränkten Klangwelten
verwirklichen konnte."
Douglas Lilburn hat vor über 20 Jahren mit dem Komponieren
aufgehört. Die "Stimme Neuseelands" ist verstummt,
aber ihre Echos hallen vielfach wider. Eine neue Generation neuseeländischer
Komponisten hat sich, beflügelt von seinen Errungenschaften,
auf die Suche nach dem Anschluss an die restliche Welt und nach
einer eigenen Identität gemacht. Zum Abschluss hören sie
einen Ausschnitt aus Lilburns letztem Werk, der 1979 entstandenen
'Soundscape with Lake and River' einer Komposition, von der
ihr Schöpfer bekennt, hier habe er etwas von dem gefunden,
was er schon immer suchte. Es ist virtuell stilisierter Naturlaut,
eine Art tönendes Stilleben, in dem versucht wurde, keiner
Überflüssigkeit Raum zu geben.
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Ausschnitt aus: 'Soundscape with Lake and River' (1979)
Elektroakustische Realisation: Douglas Lilburn (1979)
Kassette des New Zealand Music Centre Ltd. SOUNZ
Alle Informationen zu Douglas Lilburn und neuseeländischer
Musik (auch Partituren, Tonträger etc.) über:
Centre for New Zealand Music SOUNZ
PO Box 10 042
Level 1
39 Cambridge Tce
NZ Wellington, New Zealand
Tel. 0064/4/801 8602
Fax 0064/4/801 8604
e-mail: sounz@actrix.gen.nz
http.//www.sounz.org.nz
Sendemanuskript für BR 2 (Redaktion: Wilfried Hiller)
Produktion: 12.2.2001
Erstsendung: 20.2.2001, "Musik unserer Zeit"
Sprecher: Friedrich Schloffer, Autor
Christoph Schlüren 2/2001
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