Am 21. August feiert der Münchner
Komponist Wilhelm Killmayer seinen siebzigsten Geburtstag. Killmayer,
der als Privatschüler mit Carl Orff studierte und fast zwanzig
Jahre als Kompositionsprofessor an der Münchner Musikhochschule
wirkte, gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter einer Neuen
Einfachheit. Er gehört dabei aber keiner Richtung an, sondern
hat eine ganz persönliche, mit der Poetik eng verknüpfte
Tonsprache gefunden. Scheinbar einfach im Detail, schafft die unkonventionelle
Verknüpfung der musikalischen Bausteine neue, "aus der
Zeit herausgefallene" Perspektiven mit unüblichen Wechseln
und Querverbindungen.
CS: Welche Rolle spielt Humor in Ihrer Musik?
WK: Mir ist Überraschung wichtig. Die ist ein Element, das
in der Kunst eine große Rolle spielt. Einmal, als Brendel
eine Beethoven-Sonate spielte, haben die Leute am Schluß schallend
gelacht. Es war endlich mal richtig gespielt. Große Humoristen
sind auch Beckett und Kafka Letzterer hat eine absurde Komik.
CS: Als Sie heranwuchsen, waren solche Qualitäten nicht sehr
gefragt.
WK: Es wurde unbedeutend. Aber Beethoven war voll Geist, und Geist
hat Witz. Nun, das, was alle machen, hat mich nie so sehr interessiert
CS: Aber als junger Mensch ist man doch eher mal verunsichert
WK: Bis zu einem gewissen Grad. Es kommt darauf an, wie sehr man
nicht anders kann, als, so zu sein, wie man ist.
CS: Ging Ihnen das früh so?
WK: Ich habe mich eigentlich nie als Außenseiter gesehen.
Ich will das auch gar nicht sein. Mir geht es nicht um diese Problematik,
sondern um gewisse Grunddinge des Daseins. Das Überraschende,
Unvorhergesehene, das Unpassende, die Katastrophe die auch
Humor sein kann! , das macht einen ganz großen Teil
unseres Lebens aus. Das Unerwartete ist ganz wichtig. Es reizt die
Phantasie. CS: Viele sehen in Ihnen einen Künstler, der sich
abseits der Probleme des realen Lebens orientiert
WK: Eben gerade nicht! Es gibt Stücke von mir, da geht es so
dahin, wie wenn Sie auf einem Weg gehen. Und auf einmal ist die
Unterfläche schief und schlüpfrig, und Sie kommen ins
Rutschen. Sie fallen fast. Und dann ist es wieder eben, sicherer
Boden unter den Füßen. Das passiert doch ständig,
auch auf psychischer Ebene: Sie kommen ins Schlittern. Sie wissen
nicht weiter. Plötzlich kommt der Einbruch etwas Überraschendes,
Anderes. Sie werden konfrontiert mit etwas, was Sie nicht einkalkuliert
haben. Das sind die kleinen Schocks des Alltags, die unser Leben
zugleich beflügeln und erschweren. Ich mache auch keine Reprise,
außer gelegentlich einem Zitat, denn das Noch-einmal-Geschehen
gibt es im Leben nicht. Die althergebrachte Reprise hat eine versöhnliche
Komponente, die ich nicht verwenden muß. Ich gehe durch einen
Wald, dann komme ich an einem Fels vorbei, überquere einen
Bach usw. Und auf diesem Weg komme ich an all diesen Sachen
nicht nochmal vorbei. Die Wirklichkeit ist so, und das stört
niemanden. Die "Wegform" ist für mich ganz wichtig,
übrigens auch bei Dichtern wie Heine. Der hört doch auch
ganz woanders auf, als, wo er anfing. CS: Zu einer Zeit, als so
etwas in der Musik undenkbar war.
WK: In der Musik spielt die Berechnung so eine große Rolle:
"Ich weiß genau, wohin ich gehe. Ich habe meinen Fahrplan."
Aber warum soll man sich nicht überraschen lassen von den Tönen,
die man eingegeben hat? Denn wenn Sie nur zwei Zeilen geschrieben
haben, sind Sie bereits kein freier Komponist mehr. Dann sagen Ihnen
diese zwei Zeilen, was Sie nun tun müssen. Schumann war der
erste, bei dem das Mißlingen eine neue Dimension eröffnete.
"Neuer Anfang schimmert an den Bruchstellen unseres Mißlingens",
sagte Rilke. Wobei das Scheitern heute auch eine Mode geworden ist.
Für viele ist es ja unverständlich, daß man zugleich
vergnügt und melancholisch sein kann wie der Schubert.
CS: Zu einer Zeit, als so etwas in der Musik undenkbar war.
WK: In der Musik spielt die Berechnung so eine große Rolle:
"Ich weiß genau, wohin ich gehe. Ich habe meinen Fahrplan."
Aber warum soll man sich nicht überraschen lassen von den Tönen,
die man eingegeben hat? Denn wenn Sie nur zwei Zeilen geschrieben
haben, sind Sie bereits kein freier Komponist mehr. Dann sagen Ihnen
diese zwei Zeilen, was Sie nun tun müssen. Schumann war der
erste, bei dem das Mißlingen eine neue Dimension eröffnete.
"Neuer Anfang schimmert an den Bruchstellen unseres Mißlingens",
sagte Rilke. Wobei das Scheitern heute auch eine Mode geworden ist.
Für viele ist es ja unverständlich, daß man zugleich
vergnügt und melancholisch sein kann wie der Schubert.
CS: Konfrontiert Ihr Komponieren sich
bewußt mit dem Mißlingen?
WK: Ob das bewußt geschieht oder nicht, spielt keine Rolle.
Gelingen heißt, daß eine Erwartung erfüllt wird,
die innerhalb einer bestimmten Norm liegt. Wird das verfehlt, so
ist vom Mißlingen die Rede. Jede Art von Suche ist eigentlich
Mißlingen. Natürlich können auch zielgerichtete
Dinge sehr gut sein. Aber alles Absichtsvolle, Vorhergesehene ist
mir in der Kunst zutiefst verdächtig. Programmiertes hat immer
irgendwas Fatales. Originalität ist nicht die Erfindung, sondern
der Umgang damit; nicht das Was, sondern das Wie. Ein neuer Umgang
mit einer Sache ist natürlich etwas Neues, wobei ich glaube,
daß wir das Neue lange Zeit irrsinnig überschätzt
haben. Das hängt mit Besitz und Geld zusammen: das Urheberrecht
als ästhetische Kategorie.
CS: Hört man Ihre Poèmes symphoniques aus der Zeit um
1978, so klingt das meiste viel nervöser, unausgeglichener
als Ihre späteren Werke.
WK: Man entwickelt und beruhigt sich. In letzter Zeit hat sich für
mich die Verringerung des Tonumfangs als beflügelnd erwiesen.
Das Auskommen mit sieben Tönen, beispielsweise. Sehen Sie,
wenn ich hier eine Handvoll Steine hinwerfe, erkennen Sie eine Fünfer-Gruppe
auf Anhieb. Sieben können Sie vielleicht auch noch mit einem
Blick erfassen, aber bei acht müssen Sie schon teilen beim
Draufblicken. Innerhalb von sieben Tönen können Sie sich
orientieren. Innerhalb von 12 Tönen, die noch dazu nicht wiederholt
werden dürfen, bevor nicht alle anderen vorgekommen sind, kann
man sich nicht orientieren. Jedenfalls ein schlichter Geist wie
ich, dem Orientierung wichtig ist, nicht. Das Zwölftonsystem
ist natürlich ein Konstruktionsprinzip, mit dem man durchkommt,
und ein bedeutender Komponist kann auch zwölftönig Großes
schaffen. Aber man kann auch mit zwei Tönen etwas Interessantes
machen. Es ist nicht eine Frage der Fülle des Materials, sondern
eine Frage des Umgangs mit den Tönen.
CS: Sehen Sie Ihren Umgang als sparsam?
WK: Luxus ist für mich überflüssig. Ich liebe die
Töne! Ein einzelner Ton ist für mich etwas sehr Kostbares
wie ein Kristall oder eine Blume. Deshalb liebe ich es nicht,
viele Töne zu verbrauchen. Ich mag die Töne viel zu gerne,
als daß ich sie in einen Topf schmeiße, umrühre,
eine Suppe mache und dann daraus löffle. Die einzelnen Töne
sind auch nicht auswechselbar ein D kann nur als D funktionieren.
Das sind doch Wesen! Jedes hat eine andere Farbe, ein anderes Klima.
Das Akkordische spielt für mich demzufolge nur noch eine geringe
Rolle. Melodie ist mir wichtig. Sie ist das Individuellste. Aber
ich mag den Fortspinnungs-Kit nicht. Ich stelle die Teile lieber
direkt und unvermittelt nebeneinander.
CS: Verdeutlichung durch Entschlacken also?
WK: Wenn ich mein Gehör "lüfte", höre ich
mehr als die, die es vollstopfen. Oft gehts mir mit neuer
Musik so, als ob man pausenlos aus Kübeln Noten über mich
schüttete, und mit der Zeit bin ich wie gelähmt. Das ist
nicht der Weg, den ich suche. Ich möchte, daß alles erkennbar
und durchhörbar ist. Ich suche nach Faßlichkeit, strebe
Genauigkeit an. Musik hat nichts mit dem äußeren Leben
zu tun, sondern mit dem inneren Leben. Nicht das Beabsichtigte spiegelt
sich, sondern das, was der Schaffende selbst ist. Das Unbeabsichtigte,
Unterbewußte wirkt.
Interview: Christoph Schlüren
(Interview für das Münchner Kulturmagazin 'Applaus')
CD-Tip: Ende der siebziger Jahre schrieb Killmayer vier Poèmes
symphoniques, kurze, konzentrierte und überwiegend asketische
Tongedichte, deren Spektrum vom Assoziativ-Kaleidoskopischen bis
zur Beklemmung von "Überstehen und Hoffen" reicht
(Wergo 286606-2). Die ersten zwei Zyklen der in Killmayers Schaffen
zentralen Hölderlin-Orchesterlieder (1982-87) singt Peter Schreier
mit gespreizt-einfühlendem Ausdruckswillen (Wergo 286245-2).
Wo gibts heute noch echte, geistreich unterhaltende Operette?
Man höre "Yolimba oder die Grenzen der Magie"! (Orfeo
257921) Ausgezeichneten Einblicke in Killmayers Kammermusik vermittelt
eine Portrait-CD (cpo/jpc 999020-2).
(München, 2.7.97) |