Zartgliedrige KlassizitätKammermusik von Philipp Jarnach |
Etwas Anderes als ein Skandal wenngleich ein gewöhnlicher kann es nicht genannt werden, dass dies die derzeit einzige greifbare Aufnahme von Werken eines Komponisten ist, der in den zwanziger Jahren zu den wichtigsten Neuerern im deutschsprachigen Raum zählte. Philipp Jarnach (1892-1982), Sohn eines Spaniers und vortrefflicher Pianist, erlernte das kompositorische Handwerk in Paris und wurde in der Schweiz zum Intimus Ferruccio Busonis, dessen Ideal einer "neuen Klassizität" ihn zeitlebens entscheidend prägte. Nicht umsonst wurden sein Streichquintett und -quartett sowie die Sinfonia breve einst überall als Werke allererster Qualität und hochorigineller Faktur gepriesen (auf entsprechende Einspielungen scheinen wir noch lange warten zu müssen!), und nun ist es der unermüdlichen Initiative des hochbegabten Multiinstrumentalisten Kolja Lessing zu danken, daß wenigstens ein repräsentativer Überblick über Lieder und Kammermusik kleinerer Besetzung vorliegt, von den Interpreten bis ins kleinste Detail so exquisit und kultiviert ausmusiziert, wie es die zartgliedrig-polyphone, elegant-klangsinnliche, freitonale Tonsprache verlangt. Jarnach wußte von Anfang an Maß zu halten, verfiel nicht den Delirien des Expressionismus, aber auch nie den banalen Niederungen der Neuen Sachlichkeit. Er war ein feinsinniger Geist, seine Musik ist durchaus
umflort von Pathos und Innigkeit (am intensivsten, geradezu tragisch,
in der zehnminütigen Sarabande aus den 3 Klavierstücken
von 1924), doch vermißt man nie den unfehlbaren Geschmack
französischer Provenienz. Die Lieder und Gesänge sind
in der knappen Anlage formvollendet und herrlich kantabel empfunden
und haben in Martin Bruns einen feinfühligen Interpreten gefunden.
Die spannungsvolle Balance einer "neuen Klassizität"
ist ehestens in der Flötensonatine (1919) und dem gehaltvollen
Amrumer Tagebuch (1942) verwirklicht. Bach, Reger und der Expressionismus
tönen in der weitgespannten Violin-Solosonate von 1922 in eigentümlicher
Verwandlung an und finden im filigranen Spiel Lessings einen Meister
erlesener Schattierung. Wunderbare Entdeckungen, denen mehr folgen
sollte! |