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John Foulds

Gandharva-Music
for piano solo
op. 49 (1915/26)

"Man sollte diese Musik nicht hören, wie wir das hören, woran wir gewöhnt sind, denn sie beinhaltet nicht menschliche Emotionen, sondern sie ist Teil der Musik, die den Dingen selbst innewohnt... Die Musik-Engel, durch deren Dasein diese Musik erfahrbar schien, werden in Indien 'Gandharvas' genannt."
Die 1926 veröffentlichte 'Gandharva-Music' von John Foulds spielte Peter Jacobs. Ein kleines 'Fenster zum Kosmos', war 'Gandharva-Music' einer der ersten Vorläufer der Minimal music, und ein hellsichtiger Zeitgenosse kommentierte: "This happened to Bach when he went to India". Später, 1934, bekannte Foulds in seinem als Opus 92 herausgegebenen Buch 'Music To-Day':
"Ich bin überzeugt, daß bis heute kein Komponist die in einem einzelnen Ton liegenden Möglichkeiten verwirklicht hat... Ich habe es erlebt, wie von einem einzigen Ton mit einer bestimmten Farbe eine viel größere Wirkung ausging als von ganzen Symphonien, die unzählige Tausendschaften von Noten umfassen... Die okkulte Kraft des Klanges ist der wichtigste und zugleich der am meisten vernachlässigte der vielen, unterschiedlichen Aspekte heutiger Musik."
Wir hören nun von John Foulds die 1926 komponierte Impression 'April-England', deren überbordend ausfigurierter Höhepunkt auf einem achttönigen Passacaglia-Baßmotiv gebaut ist. 'April-England' zeigt viele der für Foulds typischen Eigenschaften auf: flinke, wendige Leichtigkeit, die in emotionaler Tiefe gründet; souveränes satztechnisches Können fern konventioneller Lösungen; entfesselte Musizierfreude, die bei aller quasi-improvisando-Lebendigkeit nie den Formzusammenhang aus dem Bewußtsein verliert; rhythmische Vitalität und Flexibilität; melodische Prägnanz, harmonischer Weitblick, Farbigkeit, unerschöpfliche Phantasie. Foulds ergab sich weder den Verstrickungen der Depression noch hemmungslosem Optimismus, sondern strebte immer den Zustand emotionaler Balance an, was all seinen Werken den Zauber heiterer Melancholie - oder melancholischer Heiterkeit - verleiht. Peter Jacobs spielt 'April-England' in der ersten Fassung für Klavier Solo.
'April-England' for piano solo op. 48 No. 1 (1926);
Peter Jacobs (Klavier);
Altarus AIR-CD 9001
 
John Herbert Foulds wurde am 2. November 1880 in Manchester als eines von vier Kindern eines Fagottisten geboren. Vorfahren waren jüdische Bankiers in Frankreich, worunter Achille Fould es zum Finanzminister Napoleons III. gebracht hatte. Doch in der Familie von John Foulds gab es nicht viel Geld, dafür umso mehr Musik, und früh zeigte John musikalische Begabung. Als Vierjähriger begann er mit dem Klavierspiel, dann mit Oboe, und schließlich wurde Cello sein Hauptinstrument. Schon mit sieben Jahren komponierte er. Wenig weiß man über diese Jahre, aber seine Kindheit scheint nicht sehr glücklich gewesen zu sein, und mit dreizehn Jahren lief er von zuhause weg. Er verdingte sich ab dem vierzehnten Lebensjahr als professioneller Orchestermusiker und unternahm Reisen, von denen ihn eine nach Wien führte, wo er Bruckner begegnete. 1900 wurde John Foulds Mitglied des Hallé Orchestra in der legendären Zeit unter Hans Richter. Zu Foulds' frühen Kompositionen zählen einige Streichquartette. Eines davon entstand 1898, "mit kleineren Unterteilungen der Tonschritte als bei den Intervallen unserer Skala üblich, also mit Vierteltönen. Als sie in der Aufführung Ausführbarkeit bewiesen und die Fähigkeit, bestimmte psychologische Zustände in einer Weise auszudrücken, wie sie mit keinen anderen uns Musikern bekannten Mitteln vermittelt werden konnten, übernahm ich sie ein für allemal als Mittel meiner Kompositionstechnik." Foulds, der demnach als erster europäischer Komponist Vierteltöne vorschrieb, hielt jedoch nichts von der institutionalisierten Verwendung einer Vierteltonskala, die nur eine weitere Unterteilung der künstlichen, temperierten Halbtonskala ist, und kritisierte freimütig wie stets solchen Mißbrauch: "Die Wirkung ist eher, als ob ein Dichter die altbekannte Geschichte vom Aschenputtel in Worten erzählen sollte, die alle ein 'th' enthalten." Immer wieder finden sich in langsamen Sätzen in Foulds' Musik gleitend vierteltönige Passagen, die ein seltsames Gefühl von Wildheit, von herrlicher Unregelmäßigkeit vermitteln können. Die 1910 entstandene Tondichtung 'Mirage' ist ein frühes Beispiel. In einem Ausschnitt aus dem dritten Abschnitt, 'Lento assai', spielt das Luxemburgische Radio-Symphonieorchester unter Leitung von Leopold Hager.
Ausschnitt aus: 'Mirage' op. 20 (1910): Ziffer 26-36 (Partitur Seite 27-32);
Luxembourg Radio Symphony Orchestra, Leopold Hager;
Forlane 2 CDs UCD 16724/25
 
'Mirage' vorangegangen war Foulds' erster großer Erfolg: Henry Wood hatte sein 'Epithalamium' op. 10 bei den Queen's Hall Proms 1906 uraufgeführt. In 'Mirage' sind streckenweise deutliche Einflüsse von Richard Strauss zu vernehmen, und nur Edward Elgar spielte für den jungen Foulds eine ähnlich offensichtlich stilprägende Rolle wie der Münchner Meister. Dabei ist der elaborierte Sinn für Klangfarben schon in den frühen Werken weit entwickelt und legt immer wieder Vergleiche mit französischer Orchestrationsfinesse nahe. Wenn wir als nächstes ein spätes Beispiel der Verwendung von Vierteltönen hören, den Schlußteil des langsamen Satzes aus dem 1929 entstandenen Klavierkonzert 'Dynamic Triptych' op. 88, der die Satzbezeichnung 'Dynamic Timbre' trägt, so begegnet uns eine Sprache persönlicher Klassizität in exquisitester Instrumentation, und Verwandtschaft mit dem wenige Jahre später entstandenen G-Dur-Klavierkonzert von Maurice Ravel klingt an. Es spielt das Royal Philharmonic Orchestra unter Vernon Handley, Solist ist Howard Shelley.
Ausschnitt aus 'Dynamic Triptych' for piano and orchestra, Schluß des 2. Satzes 'Dynamic Timbre';
Howard Shelley (Klavier), Royal Philharmonic Orchestra, Vernon Handley;
Lyrita SRCD.211
 
Warum ist ein Komponist, der eine so persönliche, technisch hochentwickelte und zugleich musikantisch zugängliche Tonsprache kultivierte, völlig unbekannt geblieben? Die Gründe sind vielfältig. John Foulds war eine nicht unbeträchtliche Stimme im englischen Musikleben und pflegte mit seiner Kritik kein Blatt vor den Mund zu nehmen, ungeachtet der Prominenz der betreffenden Person. Viel schwerer aber wog, daß er bald eine Familie zu versorgen hatte und dies nicht mit dem Ertrag aus 'seriös'-musikalischer Betätigung bestreiten konnte. So verlegte er sich zur Finanzierung des Lebensunterhalts zusätzlich auf das Verfertigen von 'leichter Musik', schrieb sehr erfolgreiche Stücke in diesem Genre und hatte eine zeitweise erhebliche Produktion von Nebensächlichem, die die essentiellen Werke überschattete. Bald spielte man fast nur noch seine Unterhaltungsmusik, die übrigens durchaus zum Besten und Geschmackvollsten der Branche gehört - am erfolgreichsten war das in unzähligen Arrangements vorliegende 'Keltic Lament' - und noch heute ist John Foulds bei der BBC als 'Light-music-composer' abgestempelt. Das wiedererwachende Interesse an Foulds' Musik ist vor allem der unermüdlichen Arbeit des schottischen Musikschriftstellers Malcolm MacDonald zu verdanken, auf dessen vorzüglicher Biographie 'John Foulds and His Music' auch dieser Sendebeitrag basiert. Das nun folgende 'Arden Glade - English Tune with Burden' ist eine seriöse Komposition, mag jedoch in seiner unprätentiösen Frische eine Ahnung von Foulds' melodischen Gaben für das Light-music-Genre vermitteln, freilich auf exzeptionellem Niveau. Es spielt das Endellion Quartet.
'Arden Glade. English Tune with Burden (after Crome)' aus 'Aquarelles' (Music-Pictures Group 2) op. 32 for string quartet (1905-?/uraufgef. 1926);
Endellion String Quartet;
Pearl SHE CD 9564 (Vertrieb: Note 1)
 
1915 lernte John Foulds in London Maud MacCarthy, die Frau seines Lebens, kennen. Maud war als geigendes Wunderkind großgeworden, konnte jedoch aufgrund eines Nervenleidens ihre Laufbahn nicht fortsetzen und hatte brennendes Interesse an indischer Musik und Geisteswelt, an esoterischen und okkulten Praktiken entwickelt. 1909 war sie durch Indien gereist, hatte Volksmelodien gesammelt und studierte zwei Jahre lang indische Kunstmusik. Sie lernte einige Instrumente beherrschen und sang mühelos die traditionellen mikrointervallischen Skalen. 1915 brachte sie John Foulds die Grundlagen des Tablaspiels bei, in der Folge lernte John die Vina spielen, und sein Interesse an exotischen Tonordnungen wurde in systematische Bahnen gelenkt. Er erstellte eine Tabelle von 90 Modi, die er alle als gleichwertig mit den enthaltenen zwei in der westlichen Musik gebräuchlichsten Leitern, der Dur- und der Moll-Skala, erachtete. Nach dem Vorbild von Bachs 'Wohltemperiertem Klavier' beabsichtigte er, in mehreren Zyklen Studien in sämtlichen Modi anzufertigen. Doch vollendete er nur die ersten sieben 'Essays in the modes', ein achter Essay wuchs zum ersten Satz des Klavierkonzerts 'Dynamic Triptych' heran, 'Dynamic Mode' betitelt. Foulds legte größten Wert auf die reine, unvermischte Verwendung des Modus und war überzeugt, daß dieser seine maximale Wirkung nur unalteriert, ohne jegliche Eintrübungen entfalten könne. Er wandte sich scharf gegen die zeitübliche, chromatisierende Harmonisierung modalen Melodienguts, die den essentiellen, eigentlichen Charakter und Charme des spezifischen Melos neutralisiert und suchte nach puren, reinen Lösungen - elaborierte Einfachheit, synthetische Simplizität, die das Stadium der nicht notwendigen Komplexität hinter sich gelassen hat. Im Gegensatz zu späteren Erkundern modaler Welten wie Messiaen waren für Foulds nicht alle Skalen formal brauchbar, ja sie waren für ihn nicht einmal 'Modi': dazu gehörten die Totalchromatik der Zwölftonreihe ebenso wie alle Skalen ohne reine Quint, also auch die Ganztonleiter: "Man kann sehen, daß jeder dieser Modi eine invariable Dominante bezüglich der Tonika enthält. Modi existieren aufgrund der Beziehung der einzelnen Töne zu einer Tonika, und in nur ein wenig geringerem Grade - für meine Ohren - aufgrund des stabilisierenden Einflusses der Dominante. Ist Letztere ausgenommen oder verfälscht (also erniedrigt oder erhöht), so zerfällt der Modus als solcher völlig. In eben dieser Qualität der Konzentration besteht der Wert der Modi." Hier erweist sich Foulds als Bekenner zur Tonalität, zum natürlichen Schwer und Leicht in der Artikulation der Harmonik, zu hierarchischen Tonbeziehungen um ein tonales Zentrum, zur modalen Charakteristik als spezifischer Tönekonstellation um eine Tonsonne, einen harmonischen Dreh- und Angelpunkt. Atonalität sah Foulds als wichtige Errungenschaft im Arsenal des modernen Tonsetzers an, lehnte jedoch ihre ständige Verwendung ab und verwies auf den völligen Verlust persönlicher Merkmale im Schaffen der meisten Anhänger der dodekaphonischen Schule: "Und wenn der beharrliche Atonalist geltend macht, sein System sei das angemessene Ausdrucksmittel aller Höhen und Tiefen, die sein Bewußtsein zu erfassen imstande ist, so kann ich nur erwidern, daß er kein großer Reisender ist." Peter Jacobs spielt nun die siebente Studie aus den 'Essays in the Modes', betitelt 'Prismic'.
Essay no. 7 'Prismic' (Con alcuna licenza) aus: 'Essays in the Modes, Volume 1' op. 78 (1920-27);
Peter Jacobs (Klavier);
Altarus AIR-CD 9001
 

Von 1919 bis 1921 komponierte John Foulds an einem seiner Hauptwerke: 'A World Requiem' auf christliche und hinduistische Texte. Während der Arbeit geriet er immer wieder in jenen Zustand, den Foulds als "clairaudient" beschrieb - eine persönliche Umdeutung des Worts 'clairvoyant', was 'hellseherisch' bedeutet - also in 'hellhörerischen' Zustand. Es heißt, daß er und Maud zur gleichen Zeit die gleichen Melodien empfingen. Das 'World Requiem' schien sich mit bis zu 1200 beteiligten Sängern als alljährliches Ritual zur 'Armistice Night' in der Royal Albert Hall, dem künftigen 'Festival of Remembrance', zu etablieren. Es war in seiner schlichten und würdigen Großartigkeit ein Werk, das ein breites Publikum zu Tränen rührte und in Begeisterung versetzte. Doch der große Erfolg und die unbestreitbare Größe des zwischen allen Stühlen Sitzenden zogen Neid und Intrigen auf sich, und die vierte Aufführung 1926 sollte die letzte sein. Foulds übersiedelte 1927 nach Paris, wo er sich der Komposition seiner 'Essays in the Modes' und des Klavierkonzerts 'Dynamic Triptych' sowie der Fertigstellung seines Hauptwerks, der Oper 'Avatara', widmete. Auch andere, kleinere Exkursionen in Regionen einfacher Größe der Aussage unternahm Foulds in jenen Jahren, so die erst 1932 endgültig fertiggestellte Streichermusik 'Hellas - a Suite of Ancient Greece' op. 45, aus der nun der einleitende 'Solemn Temple Dance' erklingt.
'Solemn Temple Dance' aus 'Hellas - a Suite of Ancient Greece' op. 45 (1932);
London Philharmonic Orchestra, Barry Wordsworth;
Lyrita SRCD.212
 
Foulds' bedeutendstes Werk war die in Indien spielende Oper 'Avatara', über einen Avatar, einen in menschlicher Gestalt inkarnierten göttlichen Führer - wahrscheinlich eine 'Krishna'-Oper. Dieses Werk beschäftigte ihn von 1919 bis 1930, aber vor Beendigung des dritten und letzten Akts wurde Foulds offensichtlich gewahr, daß sich der Stoff nicht angemessen zur Oper formen ließ. So trennte er aus der Gesamtpartitur die drei Vorspiele zu den Akten heraus und gab ihnen den Titel 'Three Mantras from Avatara'. Der Rest des Werks ist nicht mehr auffindbar, möglicherweise hat Foulds ihn vernichtet. Doch auch die drei großorchestralen 'Mantras' alleine stehen als das Visionärste da, was von Foulds überliefert ist. Sie tragen die Titel 'Action-Mantra - Vision irdischer Avatare', 'Bliss-Mantra - Vision himmlischer Avatare' und 'Will-Mantra - Vision kosmischer Avatare'. Das 'Action-Mantra' ist die wohl motivisch komplexeste, fundamental dissonanteste Musik, die Foulds je geschrieben hat. Im 'Bliss-Mantra', Tempo beatamente mit Vocalise-Frauenchor, kreiert Foulds eine atmosphärische Kontinuität von zauberhafter Zeitentrücktheit. Das abschließende 'Will-Mantra' ist das in seiner gebündelten Wildheit Entschlossenste, Radikalste und einseitig Überwältigendste, was Foulds niedergeschrieben hat: ein polyrhythmisches Manifest des freien Willens auf der Basis eines unmodifiziert durchgehaltenen, knappen und prägnanten 7/4-Chaconne-Motivs - reinste Dämonie in Klängen. Es ist schwer zu glauben, daß die erste öffentliche Aufführung eines der grandiosesten Orchesterwerke dieses Jahrhunderts erst 67 Jahre nach der Vollendung während der Biennale zeitgenössischer Musik 1997 in Helsinki stattfindet. Das 'Will-Mantra', Schlußsatz der 'Three Mantras from Avatara', wird gespielt vom London Philharmonic Orchestra unter Barry Wordsworth.
3. Satz 'Will-Mantra' aus 'Three Mantras from Avatara op. 61' (1919-30);
London Philharmonic Orchestra, Barry Wordsworth;
Lyrita SRCD.212
 
Das abschließende 'Will-Mantra' aus den 'Three Mantras from Avatara op. 61' von John Foulds spielte das London Philharmonic Orchestra unter Barry Wordsworth. Als Foulds im Herbst 1930 nach London zurückkehrte, hatte man ihn in England bereits gründlich abgeschrieben. Nicht einmal für seine Orchestration von Schuberts 'Der Tod und das Mädchen'-Quartett fand er einen Verleger.
(Hintergrundmusik: Ausschnitt aus dem Finale des 'Quartetto intimo'
op. 89;
Endellion String Quartet;
Pearl SHE CD 9564 (Vertrieb: Helikon);
Dauer: ca. 1'00" (Track 5).)

Das bedeutendste seiner zehn Streichquartette entstand 1931-32: das fünfsätzige, über halbstündige 'Quartetto intimo', sprühend von Vitalität und Einfällen, die von weltvergessener Versunkenheit bis zu schriller Bizarrerie reichen. Auch dieses Quartett, fraglos eines der originellsten und gekonntesten nicht nur englischer Herkunft, sollte erst lange nach Foulds' Tod uraufgeführt werden.
1934 veröffentlichte John Foulds bei Nicholson & Watson sein Buch 'Music To-Day', ein artistisches und spirituelles Credo, dem er die Opusnummer 92 gab. Er versprach dem Verlag einen Folgeband über indische Musik. Doch seine Frau Maud MacCarthy, die unter dem Einfluß des Mediums William Coote, genannt 'The Boy', stand, bewegte ihn dazu, nach Indien zu gehen. So segelten am 25. April 1935 John Foulds mit Frau und zwei Kindern, und 'The Boy', nach Indien. Auf dem Weg dorthin vollendete Foulds seine 'Indian Suite' für Orchester. Nach einigen Monaten erhielt er eine Postkarte von seinem Freund George Bernard Shaw mit der einzigen Frage: "What the devil are you doing in India?"
Was tat Foulds in Indien? Zunächst reiste er umher, vor allem in Punjab und Kashmir, um Volksmusik-forschung zu betreiben. 1937 wurde er in Delhi bei All-India Radio Direktor für Europäische Musik, hielt eine legendäre Sendereihe mit dem Titel 'Orpheus Abroad' ab und begann, mit indischen Musikern auf deren Instrumenten zu probieren. Mit unerschöpflichem Enthusiasmus brachte er diesen Leuten, jedem einzeln, das Notenlesen bei und lehrte sie im Ensemblespiel, wofür er einfache Stücke komponierte. Am 28. März 1938 wurde das erste präsentierbare Resultat des Zusammenspiels eines westlichen Orchesters mit einer Gruppe indischer Musiker in Anwesenheit des Viceroy der Öffentlichkeit vorgestellt. Foulds gründete das 'Indo-European Orchestra'. Aber auch die anspruchsvolle Komposition betrieb er mit nicht nachlassender Energie weiter: Er vollendete zwei 'Pasquinades Symphoniques', und am 10. März 1939 wurden seine 'Symphonic Studies' für Streicher in Bombay uraufgeführt. John Foulds hatte hochfliegende Pläne und arbeitete für die Erfüllung seiner zum Wohle aller bestimmten Lebensträume. Als man ihm den leitenden Posten an der neugegründeten Radiostation in Calcutta anbot, nahm Foulds gegen den Rat seiner Frau an. Er erhoffte sich noch mehr Handlungsfreiheit bei der Durchführung seiner kühnen, die Welten verbindenden Ideen: West meets east!
Unmittelbar nach seiner Ankunft in Calcutta fühlte sich John Foulds plötzlich sehr schlecht. In den entscheidenden Stunden war kein Mensch in seinem Hotel in seiner Nähe. Als man auf den vor Schmerzen Schreienden aufmerksam wurde, war es zu spät. Im akuten Stadium Asiatischer Cholera wurde er ins Krankenhaus eingeliefert, wo er nach wenigen Stunden in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1939 starb. Kein ihm vertrauter Mensch war in seiner Nähe. Und niemand war in der Lage und willens, das von Foulds begonnene Werk fortzuführen. Indien fieberte der Unabhängigkeit entgegen, der Zweite Weltkrieg überschattete alles vorher Gewesene.
Foulds' Witwe Maud MacCarthy heiratete 'The Boy' und stieg als erste Frau zum vollen Sannyasa-Rang auf. Was Sie an Foulds' Manuskripten sichern konnte, bewahrte sie in den sehr unruhigen Zeiten mit unerschütterlicher Sorgfalt auf und nahm es Ende der fünfziger Jahre mit zurück nach Europa, wo sie 1967 auf der Isle of Man verstarb. Doch die meisten von Foulds' letzten Werken sind verschollen, darunter 'Deva-Music', 'Symphony of East and West', die 'Symphonic Studies for strings' und vier von fünf Sätzen aus seinem letzten Streichquartett. Es hat auch nach Maud MacCarthys Tod noch lange gedauert, bis man in den achtziger Jahren zaghaft zu entdecken begann, welche Genialität, welches Leben in den erhaltenen Manuskripten schlummerte. Und noch immer ist vieles mysteriös und unentdeckt um die Person und das Schaffen von John Foulds. Zum Abschluß spielt das London Philharmonic Orchestra unter Barry Wordsworth jetzt die 1932 entstandene Orchesterfassung op. 48 Nr. 1 von 'April-England' - das Jubilieren eines Einsamen, der auszog, die Welten in Ost und West zu verbinden. Der Sieg eines Scheiternden.
'April-England' op. 48 no. 1 for orchestra (comp. 1926/orchestr. 1932);
London Philharmonic Orchestra, Barry Wordsworth;
Lyrita SRCD.212

Die grundlegende Biographie 'John Foulds and His Music. An Introduction with a Catalog of the Composer's Works and a Brief Miscellany of His Writings.' von Malcolm MacDonald ist 1989 bei Kahn & Averill Ltd., London, zu einem erschwinglichen Preis erschienen (9 Harrington Road, London SW7 3ES; ISBN 1-871082-04-8). Diese ausgezeichnete Schrift ist Informationsgrundlage vorliegenden Sendemanuskripts.
Neben Malcolm MacDonald möchte ich auch dem Verleger Graham Hatton (Musica Viva Publishers, 46 North Court Avenue, Reading, Berks., GB - RG2 7HQ), einem wirklichen Idealisten, danken für die bereitwillige Überlassung der erforderlichen Partituren.
Die Anregung, mich überhaupt mit John Foulds zu befassen, verdanke ich Sören Meyer-Eller, der in den unwiderstehlichen Sog des 'Will-Mantra' geriet und mich mit hineinzog.
CS, 10/96
 
Sendemanuskript für BR4;
Produktion: 24.10.1996;
Erstsendung: 28.10.1996, 23:oo-24:oo, 'Montagsthema'.

– Christoph Schlüren, Oktober 1996 –

Peter Jacobs Klavier

Altarus AIR-CD 9001