"Man sollte diese Musik nicht hören,
wie wir das hören, woran wir gewöhnt sind, denn sie beinhaltet
nicht menschliche Emotionen, sondern sie ist Teil der Musik, die
den Dingen selbst innewohnt... Die Musik-Engel, durch deren Dasein
diese Musik erfahrbar schien, werden in Indien 'Gandharvas' genannt."
Die 1926 veröffentlichte 'Gandharva-Music' von John Foulds
spielte Peter Jacobs. Ein kleines 'Fenster zum Kosmos', war 'Gandharva-Music'
einer der ersten Vorläufer der Minimal music, und ein hellsichtiger
Zeitgenosse kommentierte: "This happened to Bach when he went
to India". Später, 1934, bekannte Foulds in seinem als
Opus 92 herausgegebenen Buch 'Music To-Day':
"Ich bin überzeugt, daß bis heute kein Komponist
die in einem einzelnen Ton liegenden Möglichkeiten verwirklicht
hat... Ich habe es erlebt, wie von einem einzigen Ton mit einer
bestimmten Farbe eine viel größere Wirkung ausging als
von ganzen Symphonien, die unzählige Tausendschaften von Noten
umfassen... Die okkulte Kraft des Klanges ist der wichtigste und
zugleich der am meisten vernachlässigte der vielen, unterschiedlichen
Aspekte heutiger Musik."
Wir hören nun von John Foulds die 1926 komponierte Impression
'April-England', deren überbordend ausfigurierter Höhepunkt
auf einem achttönigen Passacaglia-Baßmotiv gebaut ist.
'April-England' zeigt viele der für Foulds typischen Eigenschaften
auf: flinke, wendige Leichtigkeit, die in emotionaler Tiefe gründet;
souveränes satztechnisches Können fern konventioneller
Lösungen; entfesselte Musizierfreude, die bei aller quasi-improvisando-Lebendigkeit
nie den Formzusammenhang aus dem Bewußtsein verliert; rhythmische
Vitalität und Flexibilität; melodische Prägnanz,
harmonischer Weitblick, Farbigkeit, unerschöpfliche Phantasie.
Foulds ergab sich weder den Verstrickungen der Depression noch hemmungslosem
Optimismus, sondern strebte immer den Zustand emotionaler Balance
an, was all seinen Werken den Zauber heiterer Melancholie - oder
melancholischer Heiterkeit - verleiht. Peter Jacobs spielt 'April-England'
in der ersten Fassung für Klavier Solo.
'April-England' for piano solo op. 48 No. 1 (1926);
Peter Jacobs (Klavier);
Altarus AIR-CD 9001
John Herbert Foulds wurde am 2. November 1880 in Manchester als
eines von vier Kindern eines Fagottisten geboren. Vorfahren waren
jüdische Bankiers in Frankreich, worunter Achille Fould es
zum Finanzminister Napoleons III. gebracht hatte. Doch in der Familie
von John Foulds gab es nicht viel Geld, dafür umso mehr Musik,
und früh zeigte John musikalische Begabung. Als Vierjähriger
begann er mit dem Klavierspiel, dann mit Oboe, und schließlich
wurde Cello sein Hauptinstrument. Schon mit sieben Jahren komponierte
er. Wenig weiß man über diese Jahre, aber seine Kindheit
scheint nicht sehr glücklich gewesen zu sein, und mit dreizehn
Jahren lief er von zuhause weg. Er verdingte sich ab dem vierzehnten
Lebensjahr als professioneller Orchestermusiker und unternahm Reisen,
von denen ihn eine nach Wien führte, wo er Bruckner begegnete.
1900 wurde John Foulds Mitglied des Hallé Orchestra in der
legendären Zeit unter Hans Richter. Zu Foulds' frühen
Kompositionen zählen einige Streichquartette. Eines davon entstand
1898, "mit kleineren Unterteilungen der Tonschritte als bei
den Intervallen unserer Skala üblich, also mit Vierteltönen.
Als sie in der Aufführung Ausführbarkeit bewiesen und
die Fähigkeit, bestimmte psychologische Zustände in einer
Weise auszudrücken, wie sie mit keinen anderen uns Musikern
bekannten Mitteln vermittelt werden konnten, übernahm ich sie
ein für allemal als Mittel meiner Kompositionstechnik."
Foulds, der demnach als erster europäischer Komponist Vierteltöne
vorschrieb, hielt jedoch nichts von der institutionalisierten Verwendung
einer Vierteltonskala, die nur eine weitere Unterteilung der künstlichen,
temperierten Halbtonskala ist, und kritisierte freimütig wie
stets solchen Mißbrauch: "Die Wirkung ist eher, als ob
ein Dichter die altbekannte Geschichte vom Aschenputtel in Worten
erzählen sollte, die alle ein 'th' enthalten." Immer wieder
finden sich in langsamen Sätzen in Foulds' Musik gleitend vierteltönige
Passagen, die ein seltsames Gefühl von Wildheit, von herrlicher
Unregelmäßigkeit vermitteln können. Die 1910 entstandene
Tondichtung 'Mirage' ist ein frühes Beispiel. In einem Ausschnitt
aus dem dritten Abschnitt, 'Lento assai', spielt das Luxemburgische
Radio-Symphonieorchester unter Leitung von Leopold Hager.
Ausschnitt aus: 'Mirage' op. 20 (1910): Ziffer 26-36 (Partitur Seite
27-32);
Luxembourg Radio Symphony Orchestra, Leopold Hager;
Forlane 2 CDs UCD 16724/25
'Mirage' vorangegangen war Foulds' erster großer Erfolg: Henry
Wood hatte sein 'Epithalamium' op. 10 bei den Queen's Hall Proms
1906 uraufgeführt. In 'Mirage' sind streckenweise deutliche
Einflüsse von Richard Strauss zu vernehmen, und nur Edward
Elgar spielte für den jungen Foulds eine ähnlich offensichtlich
stilprägende Rolle wie der Münchner Meister. Dabei ist
der elaborierte Sinn für Klangfarben schon in den frühen
Werken weit entwickelt und legt immer wieder Vergleiche mit französischer
Orchestrationsfinesse nahe. Wenn wir als nächstes ein spätes
Beispiel der Verwendung von Vierteltönen hören, den Schlußteil
des langsamen Satzes aus dem 1929 entstandenen Klavierkonzert 'Dynamic
Triptych' op. 88, der die Satzbezeichnung 'Dynamic Timbre' trägt,
so begegnet uns eine Sprache persönlicher Klassizität
in exquisitester Instrumentation, und Verwandtschaft mit dem wenige
Jahre später entstandenen G-Dur-Klavierkonzert von Maurice
Ravel klingt an. Es spielt das Royal Philharmonic Orchestra unter
Vernon Handley, Solist ist Howard Shelley.
Ausschnitt aus 'Dynamic Triptych' for piano and orchestra, Schluß
des 2. Satzes 'Dynamic Timbre';
Howard Shelley (Klavier), Royal Philharmonic Orchestra, Vernon Handley;
Lyrita SRCD.211
Warum ist ein Komponist, der eine so persönliche, technisch
hochentwickelte und zugleich musikantisch zugängliche Tonsprache
kultivierte, völlig unbekannt geblieben? Die Gründe sind
vielfältig. John Foulds war eine nicht unbeträchtliche
Stimme im englischen Musikleben und pflegte mit seiner Kritik kein
Blatt vor den Mund zu nehmen, ungeachtet der Prominenz der betreffenden
Person. Viel schwerer aber wog, daß er bald eine Familie zu
versorgen hatte und dies nicht mit dem Ertrag aus 'seriös'-musikalischer
Betätigung bestreiten konnte. So verlegte er sich zur Finanzierung
des Lebensunterhalts zusätzlich auf das Verfertigen von 'leichter
Musik', schrieb sehr erfolgreiche Stücke in diesem Genre und
hatte eine zeitweise erhebliche Produktion von Nebensächlichem,
die die essentiellen Werke überschattete. Bald spielte man
fast nur noch seine Unterhaltungsmusik, die übrigens durchaus
zum Besten und Geschmackvollsten der Branche gehört - am erfolgreichsten
war das in unzähligen Arrangements vorliegende 'Keltic Lament'
- und noch heute ist John Foulds bei der BBC als 'Light-music-composer'
abgestempelt. Das wiedererwachende Interesse an Foulds' Musik ist
vor allem der unermüdlichen Arbeit des schottischen Musikschriftstellers
Malcolm MacDonald zu verdanken, auf dessen vorzüglicher Biographie
'John Foulds and His Music' auch dieser Sendebeitrag basiert. Das
nun folgende 'Arden Glade - English Tune with Burden' ist eine seriöse
Komposition, mag jedoch in seiner unprätentiösen Frische
eine Ahnung von Foulds' melodischen Gaben für das Light-music-Genre
vermitteln, freilich auf exzeptionellem Niveau. Es spielt das Endellion
Quartet.
'Arden Glade. English Tune with Burden (after Crome)' aus 'Aquarelles'
(Music-Pictures Group 2) op. 32 for string quartet (1905-?/uraufgef.
1926);
Endellion String Quartet;
Pearl SHE CD 9564 (Vertrieb: Note 1)
1915 lernte John Foulds in London Maud MacCarthy, die Frau seines
Lebens, kennen. Maud war als geigendes Wunderkind großgeworden,
konnte jedoch aufgrund eines Nervenleidens ihre Laufbahn nicht fortsetzen
und hatte brennendes Interesse an indischer Musik und Geisteswelt,
an esoterischen und okkulten Praktiken entwickelt. 1909 war sie
durch Indien gereist, hatte Volksmelodien gesammelt und studierte
zwei Jahre lang indische Kunstmusik. Sie lernte einige Instrumente
beherrschen und sang mühelos die traditionellen mikrointervallischen
Skalen. 1915 brachte sie John Foulds die Grundlagen des Tablaspiels
bei, in der Folge lernte John die Vina spielen, und sein Interesse
an exotischen Tonordnungen wurde in systematische Bahnen gelenkt.
Er erstellte eine Tabelle von 90 Modi, die er alle als gleichwertig
mit den enthaltenen zwei in der westlichen Musik gebräuchlichsten
Leitern, der Dur- und der Moll-Skala, erachtete. Nach dem Vorbild
von Bachs 'Wohltemperiertem Klavier' beabsichtigte er, in mehreren
Zyklen Studien in sämtlichen Modi anzufertigen. Doch vollendete
er nur die ersten sieben 'Essays in the modes', ein achter Essay
wuchs zum ersten Satz des Klavierkonzerts 'Dynamic Triptych' heran,
'Dynamic Mode' betitelt. Foulds legte größten Wert auf
die reine, unvermischte Verwendung des Modus und war überzeugt,
daß dieser seine maximale Wirkung nur unalteriert, ohne jegliche
Eintrübungen entfalten könne. Er wandte sich scharf gegen
die zeitübliche, chromatisierende Harmonisierung modalen Melodienguts,
die den essentiellen, eigentlichen Charakter und Charme des spezifischen
Melos neutralisiert und suchte nach puren, reinen Lösungen
- elaborierte Einfachheit, synthetische Simplizität, die das
Stadium der nicht notwendigen Komplexität hinter sich gelassen
hat. Im Gegensatz zu späteren Erkundern modaler Welten wie
Messiaen waren für Foulds nicht alle Skalen formal brauchbar,
ja sie waren für ihn nicht einmal 'Modi': dazu gehörten
die Totalchromatik der Zwölftonreihe ebenso wie alle Skalen
ohne reine Quint, also auch die Ganztonleiter: "Man kann sehen,
daß jeder dieser Modi eine invariable Dominante bezüglich
der Tonika enthält. Modi existieren aufgrund der Beziehung
der einzelnen Töne zu einer Tonika, und in nur ein wenig geringerem
Grade - für meine Ohren - aufgrund des stabilisierenden Einflusses
der Dominante. Ist Letztere ausgenommen oder verfälscht (also
erniedrigt oder erhöht), so zerfällt der Modus als solcher
völlig. In eben dieser Qualität der Konzentration besteht
der Wert der Modi." Hier erweist sich Foulds als Bekenner zur
Tonalität, zum natürlichen Schwer und Leicht in der Artikulation
der Harmonik, zu hierarchischen Tonbeziehungen um ein tonales Zentrum,
zur modalen Charakteristik als spezifischer Tönekonstellation
um eine Tonsonne, einen harmonischen Dreh- und Angelpunkt. Atonalität
sah Foulds als wichtige Errungenschaft im Arsenal des modernen Tonsetzers
an, lehnte jedoch ihre ständige Verwendung ab und verwies auf
den völligen Verlust persönlicher Merkmale im Schaffen
der meisten Anhänger der dodekaphonischen Schule: "Und
wenn der beharrliche Atonalist geltend macht, sein System sei das
angemessene Ausdrucksmittel aller Höhen und Tiefen, die sein
Bewußtsein zu erfassen imstande ist, so kann ich nur erwidern,
daß er kein großer Reisender ist." Peter Jacobs
spielt nun die siebente Studie aus den 'Essays in the Modes', betitelt
'Prismic'.
Essay no. 7 'Prismic' (Con alcuna licenza) aus: 'Essays in the Modes,
Volume 1' op. 78 (1920-27);
Peter Jacobs (Klavier);
Altarus AIR-CD 9001
Von 1919 bis 1921 komponierte John
Foulds an einem seiner Hauptwerke: 'A World Requiem' auf christliche
und hinduistische Texte. Während der Arbeit geriet er immer
wieder in jenen Zustand, den Foulds als "clairaudient"
beschrieb - eine persönliche Umdeutung des Worts 'clairvoyant',
was 'hellseherisch' bedeutet - also in 'hellhörerischen' Zustand.
Es heißt, daß er und Maud zur gleichen Zeit die gleichen
Melodien empfingen. Das 'World Requiem' schien sich mit bis zu 1200
beteiligten Sängern als alljährliches Ritual zur 'Armistice
Night' in der Royal Albert Hall, dem künftigen 'Festival of
Remembrance', zu etablieren. Es war in seiner schlichten und würdigen
Großartigkeit ein Werk, das ein breites Publikum zu Tränen
rührte und in Begeisterung versetzte. Doch der große
Erfolg und die unbestreitbare Größe des zwischen allen
Stühlen Sitzenden zogen Neid und Intrigen auf sich, und die
vierte Aufführung 1926 sollte die letzte sein. Foulds übersiedelte
1927 nach Paris, wo er sich der Komposition seiner 'Essays in the
Modes' und des Klavierkonzerts 'Dynamic Triptych' sowie der Fertigstellung
seines Hauptwerks, der Oper 'Avatara', widmete. Auch andere, kleinere
Exkursionen in Regionen einfacher Größe der Aussage unternahm
Foulds in jenen Jahren, so die erst 1932 endgültig fertiggestellte
Streichermusik 'Hellas - a Suite of Ancient Greece' op. 45, aus
der nun der einleitende 'Solemn Temple Dance' erklingt.
'Solemn Temple Dance' aus 'Hellas - a Suite of Ancient Greece' op.
45 (1932);
London Philharmonic Orchestra, Barry Wordsworth;
Lyrita SRCD.212
Foulds' bedeutendstes Werk war die in Indien spielende Oper 'Avatara',
über einen Avatar, einen in menschlicher Gestalt inkarnierten
göttlichen Führer - wahrscheinlich eine 'Krishna'-Oper.
Dieses Werk beschäftigte ihn von 1919 bis 1930, aber vor Beendigung
des dritten und letzten Akts wurde Foulds offensichtlich gewahr,
daß sich der Stoff nicht angemessen zur Oper formen ließ.
So trennte er aus der Gesamtpartitur die drei Vorspiele zu den Akten
heraus und gab ihnen den Titel 'Three Mantras from Avatara'. Der
Rest des Werks ist nicht mehr auffindbar, möglicherweise hat
Foulds ihn vernichtet. Doch auch die drei großorchestralen
'Mantras' alleine stehen als das Visionärste da, was von Foulds
überliefert ist. Sie tragen die Titel 'Action-Mantra - Vision
irdischer Avatare', 'Bliss-Mantra - Vision himmlischer Avatare'
und 'Will-Mantra - Vision kosmischer Avatare'. Das 'Action-Mantra'
ist die wohl motivisch komplexeste, fundamental dissonanteste Musik,
die Foulds je geschrieben hat. Im 'Bliss-Mantra', Tempo beatamente
mit Vocalise-Frauenchor, kreiert Foulds eine atmosphärische
Kontinuität von zauberhafter Zeitentrücktheit. Das abschließende
'Will-Mantra' ist das in seiner gebündelten Wildheit Entschlossenste,
Radikalste und einseitig Überwältigendste, was Foulds
niedergeschrieben hat: ein polyrhythmisches Manifest des freien
Willens auf der Basis eines unmodifiziert durchgehaltenen, knappen
und prägnanten 7/4-Chaconne-Motivs - reinste Dämonie in
Klängen. Es ist schwer zu glauben, daß die erste öffentliche
Aufführung eines der grandiosesten Orchesterwerke dieses Jahrhunderts
erst 67 Jahre nach der Vollendung während der Biennale zeitgenössischer
Musik 1997 in Helsinki stattfindet. Das 'Will-Mantra', Schlußsatz
der 'Three Mantras from Avatara', wird gespielt vom London Philharmonic
Orchestra unter Barry Wordsworth.
3. Satz 'Will-Mantra' aus 'Three Mantras from Avatara op. 61' (1919-30);
London Philharmonic Orchestra, Barry Wordsworth;
Lyrita SRCD.212
Das abschließende 'Will-Mantra' aus den 'Three Mantras from
Avatara op. 61' von John Foulds spielte das London Philharmonic
Orchestra unter Barry Wordsworth. Als Foulds im Herbst 1930 nach
London zurückkehrte, hatte man ihn in England bereits gründlich
abgeschrieben. Nicht einmal für seine Orchestration von Schuberts
'Der Tod und das Mädchen'-Quartett fand er einen Verleger.
(Hintergrundmusik: Ausschnitt aus dem Finale des 'Quartetto intimo'
op. 89;
Endellion String Quartet;
Pearl SHE CD 9564 (Vertrieb: Helikon);
Dauer: ca. 1'00" (Track 5).)
Das bedeutendste seiner zehn Streichquartette entstand 1931-32:
das fünfsätzige, über halbstündige 'Quartetto
intimo', sprühend von Vitalität und Einfällen, die
von weltvergessener Versunkenheit bis zu schriller Bizarrerie reichen.
Auch dieses Quartett, fraglos eines der originellsten und gekonntesten
nicht nur englischer Herkunft, sollte erst lange nach Foulds' Tod
uraufgeführt werden.
1934 veröffentlichte John Foulds bei Nicholson & Watson
sein Buch 'Music To-Day', ein artistisches und spirituelles Credo,
dem er die Opusnummer 92 gab. Er versprach dem Verlag einen Folgeband
über indische Musik. Doch seine Frau Maud MacCarthy, die unter
dem Einfluß des Mediums William Coote, genannt 'The Boy',
stand, bewegte ihn dazu, nach Indien zu gehen. So segelten am 25.
April 1935 John Foulds mit Frau und zwei Kindern, und 'The Boy',
nach Indien. Auf dem Weg dorthin vollendete Foulds seine 'Indian
Suite' für Orchester. Nach einigen Monaten erhielt er eine
Postkarte von seinem Freund George Bernard Shaw mit der einzigen
Frage: "What the devil are you doing in India?"
Was tat Foulds in Indien? Zunächst reiste er umher, vor allem
in Punjab und Kashmir, um Volksmusik-forschung zu betreiben. 1937
wurde er in Delhi bei All-India Radio Direktor für Europäische
Musik, hielt eine legendäre Sendereihe mit dem Titel 'Orpheus
Abroad' ab und begann, mit indischen Musikern auf deren Instrumenten
zu probieren. Mit unerschöpflichem Enthusiasmus brachte er
diesen Leuten, jedem einzeln, das Notenlesen bei und lehrte sie
im Ensemblespiel, wofür er einfache Stücke komponierte.
Am 28. März 1938 wurde das erste präsentierbare Resultat
des Zusammenspiels eines westlichen Orchesters mit einer Gruppe
indischer Musiker in Anwesenheit des Viceroy der Öffentlichkeit
vorgestellt. Foulds gründete das 'Indo-European Orchestra'.
Aber auch die anspruchsvolle Komposition betrieb er mit nicht nachlassender
Energie weiter: Er vollendete zwei 'Pasquinades Symphoniques', und
am 10. März 1939 wurden seine 'Symphonic Studies' für
Streicher in Bombay uraufgeführt. John Foulds hatte hochfliegende
Pläne und arbeitete für die Erfüllung seiner zum
Wohle aller bestimmten Lebensträume. Als man ihm den leitenden
Posten an der neugegründeten Radiostation in Calcutta anbot,
nahm Foulds gegen den Rat seiner Frau an. Er erhoffte sich noch
mehr Handlungsfreiheit bei der Durchführung seiner kühnen,
die Welten verbindenden Ideen: West meets east!
Unmittelbar nach seiner Ankunft in Calcutta fühlte sich John
Foulds plötzlich sehr schlecht. In den entscheidenden Stunden
war kein Mensch in seinem Hotel in seiner Nähe. Als man auf
den vor Schmerzen Schreienden aufmerksam wurde, war es zu spät.
Im akuten Stadium Asiatischer Cholera wurde er ins Krankenhaus eingeliefert,
wo er nach wenigen Stunden in der Nacht vom 24. auf den 25. April
1939 starb. Kein ihm vertrauter Mensch war in seiner Nähe.
Und niemand war in der Lage und willens, das von Foulds begonnene
Werk fortzuführen. Indien fieberte der Unabhängigkeit
entgegen, der Zweite Weltkrieg überschattete alles vorher Gewesene.
Foulds' Witwe Maud MacCarthy heiratete 'The Boy' und stieg als erste
Frau zum vollen Sannyasa-Rang auf. Was Sie an Foulds' Manuskripten
sichern konnte, bewahrte sie in den sehr unruhigen Zeiten mit unerschütterlicher
Sorgfalt auf und nahm es Ende der fünfziger Jahre mit zurück
nach Europa, wo sie 1967 auf der Isle of Man verstarb. Doch die
meisten von Foulds' letzten Werken sind verschollen, darunter 'Deva-Music',
'Symphony of East and West', die 'Symphonic Studies for strings'
und vier von fünf Sätzen aus seinem letzten Streichquartett.
Es hat auch nach Maud MacCarthys Tod noch lange gedauert, bis man
in den achtziger Jahren zaghaft zu entdecken begann, welche Genialität,
welches Leben in den erhaltenen Manuskripten schlummerte. Und noch
immer ist vieles mysteriös und unentdeckt um die Person und
das Schaffen von John Foulds. Zum Abschluß spielt das London
Philharmonic Orchestra unter Barry Wordsworth jetzt die 1932 entstandene
Orchesterfassung op. 48 Nr. 1 von 'April-England' - das Jubilieren
eines Einsamen, der auszog, die Welten in Ost und West zu verbinden.
Der Sieg eines Scheiternden.
'April-England' op. 48 no. 1 for orchestra (comp. 1926/orchestr.
1932);
London Philharmonic Orchestra, Barry Wordsworth;
Lyrita SRCD.212
Die grundlegende Biographie 'John Foulds and His Music. An Introduction
with a Catalog of the Composer's Works and a Brief Miscellany of
His Writings.' von Malcolm MacDonald ist 1989 bei Kahn & Averill
Ltd., London, zu einem erschwinglichen Preis erschienen (9 Harrington
Road, London SW7 3ES; ISBN 1-871082-04-8). Diese ausgezeichnete
Schrift ist Informationsgrundlage vorliegenden Sendemanuskripts.
Neben Malcolm MacDonald möchte ich auch dem Verleger Graham
Hatton (Musica Viva Publishers, 46 North Court Avenue, Reading,
Berks., GB - RG2 7HQ), einem wirklichen Idealisten, danken für
die bereitwillige Überlassung der erforderlichen Partituren.
Die Anregung, mich überhaupt mit John Foulds zu befassen, verdanke
ich Sören Meyer-Eller, der in den unwiderstehlichen Sog des
'Will-Mantra' geriet und mich mit hineinzog.
CS, 10/96
Sendemanuskript für BR4;
Produktion: 24.10.1996;
Erstsendung: 28.10.1996, 23:oo-24:oo, 'Montagsthema'.
Christoph Schlüren, Oktober 1996
Peter Jacobs Klavier
Altarus AIR-CD 9001
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