Wider die französische Revolution!John Coriglianos Oper "The Ghosts of Versailles" in Hannover |
Am Ostersamstag, den 3. April, ist
in der Niedersächsischen Staatsoper Hannover Première
der Oper "The Ghosts of Versailles von John Corigliano. Regie
führt Jerome Sirlin, es dirigiert GMD Andreas Delfs. Der 1938
geborene Corigliano, Sohn des legendären Konzertmeisters der
New Yorker Philharmoniker, zählt heute zu Amerikas originellsten
und bekanntesten Komponisten. Er komponiert relativ wenig und nimmt
nur Aufträge an, deren Umstände auf sein Schaffen inspirierend
wirken. Jede neue Komposition entwirft er nach einem einmaligen,
nur für dieses Werk gültigen Plan. Dabei kann es zu extrem
komplizierten Strukturen kommen, vor allem was die Notation bisher
nicht begangener Pfade betrifft, wie etwa in der Fuge des 1995 vollendeten
Streichquartetts, wo die Stimmen ohne gemeinsamen Grundpuls koordiniert
werden müssen, oder in der großen ersten (und bislang
einzigen), in ihrem zerreißenden Ausdrucksspektrum den Aids-Opfern
gewidmeten Sinfonie, wo verschiedene Zeitdimensionen aufeinanderprallen,
also so etwas wie ein sinfonischer Versuch der Überschreitung
der subjektiven Zeitdimension unternommen wird. Coriglianos Schaffen
zeugt von extremer Vielseitigkeit, gerade auch in seinen Solokonzerten,
die ihren Ausgang von ganz elementaren Zügen des Soloinstruments
nehmen, so das Oboenkonzert vom Einstimmton a (den die Oboe traditionell
dem Orchester vorgibt), das Flötenkonzert von der Geschichte
des Rattenfängers von Hameln oder das Gitarrenkonzert von den
Troubadours. Coriglianos Filmmusiken, darunter jene zu Ken Russells
"Altered States" und François Girards "The
Red Violin", trugen seinen Namen um die Welt. Seine Chorwerke
werden in der angloamerikanischen Welt viel gesungen. Unter der
Kammermusik erreichte die 1963 für seinen Vater geschriebene
Violinsonate in ihrem dionysischen Musikantentum und der perfekten
violinistischen Satzweise einige Berühmtheit. Sie erwidert seine Liebe nicht. Doch liebt er sie so sehr, daß er seine
Operncharaktere zum Leben erweckt, um Marie Antoinette zu retten.
Sie sollen das Rad der Geschichte zurückdrehen: 'Die französische
Revolution hat nie stattgefunden!' Also wird der Prozeß gegen
Marie Antoinette wiederaufgenommen. Im zweiten Akt verliert Beaumarchais
die Gewalt über seine Protagonisten und muß, als Figaro
sich seinem Plan widersetzt, selbst in die Opernhandlung eintreten,
um die Königin zu retten. Als es ihm schließlich gelingt,
greift der Geist Marie Antoinettes ein: Der Gang der Geschichte
ist nicht rückgängig zu machen. Sie ist tief gerührt
von Beaumarchais aufopfernder Liebe, die sie nun erwidert,
und nimmt die Hinrichtung als ihr unwiderrufliches Schicksal an.
Worum es sich in der Oper eigentlich handelt, ist die Idee von Veränderung,
und davon, wie Kunst das Leben widerspiegelt. Lange schon dominiert
in der Kunst eine Idee, die, ausgehend von der französischen
Revolution, die Vergangenheit verachtet, ja, mehr noch: 'Zerstöre,
töte alles, und baue auf die Rebellion! Zerschneide die Bindung
an die Vergangenheit!' Aber das ändert sich. Wir wollen die
Vergangenheit anschauen, um sie zu umarmen und damit unbelasteter
in die Zukunft gehen zu können. Das schließt sich nicht
aus im Gegenteil: Es bedingt sich gegenseitig! Das ist der
ernste Hintergrund der Oper. Rein äußerlich ist es in
der Art einer Opera buffa, mit einer großen love story. Und
man sollte die Philosophie dahinter nicht merken, sie sollte dem
Publikum nicht gepredigt werden. Man darf das nicht wissen müssen,
wenn man in der Oper ist." Christoph Schlüren (Beitrag für Klassik Heute, April 1999) |