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NORBERT  BURGMÜLLER  (1810-1836)

Der  Rheinische Schubert

„Ich war auf Menschen nicht vorbereitet, glaubte nur an Musik, kannte daher erst nicht die Notwendigkeit, war dann zu dumm, und bin jetzt zu eigensinnig oder vielleicht auch zu stolz, um mich in das Wesen und Treiben der Menschen hineinzufinden“. Mit diesen Worten zog der 26jährige Komponist Norbert Burgmüller in einem Brief vom Februar 1836 die Bilanz seines kurzen Lebens. Kaum drei Monate später, am 7. Mai, ertrank der an Epilepsie leidende Burgmüller bei einem Heilbad in Aachen unter rätselhaften Umständen. Keines seiner Werke war zu diesem Zeitpunkt im Druck erschienen und nur wenige waren aufgeführt worden. Das dem romantischen Geniekult in fast idealer Weise entsprechende Schicksal Burgmüllers sowie seine Zechkumpanenschaft mit dem desperaten Dramatiker Grabbe, sicherte Burgmüller als Figur bei den Zeitgenossen eine gewisse Bekanntheit. Das Wissen um Burgmüllers Werke und deren Bedeutung bewahrt zu haben, ist hingegen wesentlich das Verdienst Robert Schumanns, der Burgmüller brieflich einen „ausgezeichneten Gesangsmenschen“ nannte ehe er in mehreren Aufsätzen nachdrücklich auf das Schaffen seines gleichaltrigen Kollegen hinwies.
Burgmüller wurde am 8. Februar 1810 als dritter Sohn einer Musikerfamilie in Düsseldorf geboren. Der als Lebemann und Gourmand berüchtigte Vater wurde als Dirigent und Gründer der Niederrheinischen Musikfeste von einem Mann wie Zelter geschätzt. Der ältere Bruder Friedrich lebt in seinen Klavieretüden fort, was bei der Nennung des Namens Burgmüller eher gemischte Gefühle provoziert und noch immer Anlass für Verwechslungen ist. Nach dem Tode des Vaters 1824 nahm Graf Franz von Nesselrode-Ehreshoven den jungen Norbert unter seine Fittiche und schickte ihn in die bestmögliche Lehre seiner Zeit: ab 1826 beschloß Burgmüller seine von der Familie begonnene Ausbildung bei Louis Spohr und Moritz Hauptmann. Bis 1830 blieb Burgmüller in Kassel, trat als Komponist und Pianist an die Öffentlichkeit, erteilte Unterricht und wirkte als Korrepetitor am Hoftheater. Aus unbekannten Gründen scheint Burgmüller die Protektion Spohrs verloren zu haben und litt unter dem Bruch seiner Verlobung mit der Sängerin Sophia Roland.  Die Umstände trieben Burgmüller an den Rhein zurück, wo er für den Rest seines Lebens mit der Mutter lebte und unter Malern, Dichtern und Musikern verkehrte. Hier erwarb er sich den Ruf eines hoch aufstrebenden Komponisten, geriet aber durch ausschweifenden Lebenswandel ins soziale Zwielicht. Der Musikologe Fétis nannte ihn nach einer persönlichen Begegnung in Aachen einen „sonderbaren Geist, Feind gesellschaftlicher Gepflogenheiten, sozialer Konventionen und allem Zwang“. Dennoch gelang es Burgmüller die Freundschaft Felix Mendelssohns zu erringen, der nicht nur Werke von Burgmüller aufführte, sondern für seine Beisetzung einen heute fast vergessen Trauermarsch (op. 103) schrieb.
Die wenig umfangreiche musikalische Hinterlassenschaft Burgmüllers wurde in Leipzig bei Hofmeister (1838-1844) und Kistner (1863-1865) zu großen Teilen publiziert. Einige lange Zeit ungedruckte Werke wurden in den letzten Monaten erstveröffentlicht,  zahlreiche andere sind in Neudrucken oder als Reprint zugänglich.  In Burgmüllers frühen Werken sind die Vorbilder Beethoven und Spohr erkennbar, die bereits früh in selbständige Konzepte einfliessen und nur als leiser Nachhall erscheinen. Zu dieser Gruppe zählen drei Streichquartette (opp. 4, 7 und 9), die an der Apassionata orientierte Klaviersonate f-moll op. 8, eine Ouvertüre op.5 und 4 Entr’Actes für kleines Orchester op.17 sowie die ersten Lieder (1825-1828). Das Klavierkonzert fis-moll op. 1 (1828/29) bildet den großen Schritt zur Selbständigkeit und verwirklicht, lange vor Schumann, Litolff und Brahms, die Vorstellung des sinfonischen Konzertes das den Solisten kaum isoliert agieren lässt, ganz auf Kadenzen verzichtet und motivisch eng verwoben ist.

Die menschliche und künstlerische Krise des Jahres 1830 lässt Burgmüller in die erste Sinfonie c-moll op. 2 (1831-33) münden. Als Bekenntnis im Sinne des Sturm und Drang fasziniert sie noch heute durch Ausdruckskraft ebenso wie durch meisterhafte, monothematische Arbeit der Ecksätze. Diese umrahmen ein traumverlorenes Adagio und ein unerhörtes Scherzo in Form eines fast brutalen Geschwindmarsches. Die Sinfonie eröffnet häufig Ausblicke auf Schumann, der sie 1838 für das „bedeutendste, nobelste Werk im Sinfonieenfach, das die jüngere Zeit hervorgebracht“ erklärte. Hauptwerk der letzten Lebensjahre (1834-36) ist die leider nur fragmentarisch überlieferte zweite Sinfonie D-dur op. 11. Die beiden ersten Sätze wurden von Burgmüller vollständig ausgeführt, das Scherzo instrumentierte Schumann 1851 in Düsseldorf zu einem guten Drittel. Er skizzierte auch einen neuen Finalsatz der jedoch ebenso Bruchstück blieb, wie Burgmüllers eigener Particell-Entwurf von nur 58 Takten, den der Verfasser 1983 entdeckte. Mit diesem erstrangigen Werk nimmt Burgmüller Züge des sinfonischen Schaffens von Brahms und Bruckner vorweg. In frappierender Weise erscheint hier bereits die später von Schönberg allein Brahms zugeschriebene Technik der entwickelnden Variation. Ferner überrascht speziell im Andante die Schubert-Nähe des Werkes, wobei eine gegenseitige Beeinflußung augeschloßen werden kann.  Im Umkreis der Sinfonie entstanden das bedeutsame, aus grosser Fülle dahinströmende 4. Streichquartett a-moll op.14 und das etwas bekanntere Duo für Klarinette und Klavier op.15. Hohe Meisterschaft der Kleinform erreichte Burgmüller in seinen intimen, späten Liedern und der geheimnisvollen Klavierrhapsodie h-moll op.13, die Schumann begeisterte und Brahms merklich beeinflußte. 
Wenn auch Burgmüllers Werke, die er wie berichtet wird vor der Niederschrift stets ganz im Kopfe ausarbeitete, unter Kennern nie ganz vergessen waren, wurden sie doch erst in den letzten Jahren einem etwas breiteren Publikum bekannt. Es bleibt zu hoffen diese höchst persönlichen Schöpfungen eines Meisters der Romantik neben Schumann und Mendelssohn, im Repertoire führender Interpreten und Orchester auftauchen zu sehen. Dann ließe sich prüfen ob Schumann Burgmüller zu Unrecht neben Schubert stellte und ob Brahms irrte, als er von Burgmüllers „prächtigen“ und „tief rührenden“ Werken schrieb: „Sie werden sich freuen, die Sachen kennenzulernen, wenn Sie Ihnen unbekannt sind“.

Klaus Zehnder-Tischendorf

Erste umfassende WEBSITE über Norbert Burgmüller unter:  http://www.burgmueller.com