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Berlioz Roméo et Juliette op. 17
frühe und endgültige Fassung

Catherine Robbin (Mezzosopran), Jean-Paul Fouchécourt (Tenor)
Gilles Cachemaille (Baß-Bariton), Monteverdi Choir
Orchestre Révolutionnaire et Romantique, John Eliot Gardiner

Erstmals wird hier die 1839 aufgeführte frühe Fassung von "Roméo et Juliette" präsentiert, indem der später gestrichene feierliche Prolog zum 3. Teil in einer 1995 entstandenen Orchestration Oliver Knussens erklingt. Bei den weiteren, teils gravierenden Abweichungen von der 1846 erstellten Endfassung ist nicht gesichert, ob es sich wirklich um die Erstfassung oder um im Laufe des Uraufführungsjahres bereits revidierte Teile handelt. Jedoch ist es für alle Berlioz-Interessenten höchst aufschlußreich, zu sehen, was der endgültigen Gestalt voranging. Der sinfonische 2. Teil ("Roméo seul", "Scène d’amour" und "La reine Mab") sowie "Introduction" und "Strophes" des 1. Teils blieben von Veränderungen verschont, wogegen "Prologue" und "Scherzetto" des 1. Teils und vor allem "Convoi funèbre de Juliette" und Finale des 3. Teils weitgreifenden Umarbeitungen unterzogen wurden. Neben den beiden Originalfassungen stellt Gardiner auch seine eigene "bevorzugte Version" vor, die außer zu Anfang des 3. Teils mit der Endfassung übereinstimmt. Bevorzugt ist Gardiners Version auch insofern, als sie mit der regulären Trackfolge der beiden CDs übereinstimmt, wogegen die Originalfassungen spezifisches Anwählen erfordern. Was Gardiner von der Urfassung nimmt, ist außer dem von Knussen nobel instrumentierten "Deuxième prologue" (der einzigen Nummer, die später vollständig herausflog) der "Convoi funèbre", in den ursprünglich der Requiemtext eingestrickt war. Wahrscheinlich hat Gardiner bei Letzterem nicht zuletzt deshalb auf die frühe Fassung zurückgegriffen, weil dort seine exzellenten Soprane mit schönen Figurationen betraut sind, die in der späteren Fassung von Holzbläsern ausgeführt werden.
Die aggressive Seite von Berlioz liegt Gardiner bestens, er unterstützt sie mit vorwärtspreschenden Tempi und ruppigen Fortissimi (in denen von Strukturation des Akkordischen keine Rede mehr sein kann – da werden zugunsten reiner Vehemenz oft wichtige Stimmen von massivem Blech verdeckt).

In den schnellen Sätzen leidet trotz des schroffen Ansatzes gelegentlich die Deutlichkeit der Artikulation, indem die Streicher zuviel Bogen nehmen, was gleichzeitig den Klang ins Perkussive zerrt. In den drei großen sinfonischen Sätzen des 2. Teils gelingen Gardiner viele schöne, fein ausgetüftelte Details, doch stellt sich selten ein übergreifender Spannungsbogen ein. Seltsam vordergründig wird das Fee-Mab-Scherzo exerziert, und die Längen der "Scène d’amour" kommen bei der glatten Oberflächenpolitur umso deutlicher zum Vorschein. Um wieviel lebendiger und reicher im Ausdruck war da Charles Münchs Bostoner Darstellung! Der an "Alter Musik" geschulte Chor klingt klar und brillant, gleichzeitig auch sehr distanziert in der in sich beharrenden, nicht weiterführenden Artikulation. Trennschärfe und Vibratominimierung sind Kennzeichen des Orchesterklangs. Die Gesangssolisten leisten Ansprechendes. Wie bezugslos Klänge in den Raum gestellt werden können, kann man exemplarisch an den durch Pausen getrennten Fermate-Akkorden in "Roméo au tombeau des Capulets" hören. Zurück bleibt ein äußerst zwiespältiger Eindruck: Was Gardiner bewußt anstrebt, erreicht er meist mit beeindruckender Konsequenz; anderes aber bleibt ausgeklammert. Das Klangbild ist sehr präzise und weitgefächert.

Christoph Schlüren

(Rezension für Klassik Heute)

Philips 454454-2 (2CD/136'/1995)