< RARE MUSIC STARTSEITE

Béla Bartók

Streichquartette Nr. 1-6; Takács Quartett
Decca 455297-2 (2 CD/152'/1996)

Mit dem neuen Bratschisten Roger Tapping (Nachfolger des frühverstorbenen Gábor Ormai, dem vorliegende Einspielung gewidmet ist) legt das Takács-Quartett eine zweischneidige Gesamtaufnahme der Quartette Bartóks vor. Wären spieltechnische Perfektion, aggressiver Biß und klangliche Wucht alleinseligmachende Kategorien, so wäre eine einzigartige Leistung zu preisen. Die Intonation ist schlicht fabelhaft, auch da, wo "unverbundene" reine Dreiklänge oder rasante Oktavparallelgänge heikelste Aufgaben stellen. Auch die Synchronisation der kleinen rhythmischen Werte ist extrem gelungen, selbst in äußerst verwickelten Passagen oder atemlos dahinwirbelnden Pianissimi. Die Probleme liegen woanders. Allzu schnell wird in der Regel der Piano-Bereich verlassen, im Forte oft schon die Grenze der dynamischen Ausdehnung erreicht. Wenn dann noch fortissimo folgen soll, ist keine Steigerung mehr möglich. Auch die Phrasierung fällt bei der Dauer-Power unter den Tisch. Das liegt primär am Geltungsdrang der tiefen Stimmen, zumal des Cellisten. Die Tongebung ist sehr dicht, sonor und individuell kultiviert. Vor allem die nüchtern unbestechliche, unsentimentale Seite Bartóks kommt exemplarisch zur Geltung. Die Koordination der Rubati ist phänomenal. Doch wird nur da Rubato gespielt, wo es vorgeschrieben ist. Ansonsten wird ein einmal angeschlagenes Tempo meist starr exerziert. Dabei wäre mehr Flexibilität immer wieder dringend vonnöten, um den Satzcharakter zu unterstreichen.

Mit mechanistischer Gleichmäßigkeit wird beispielsweise dem Allegretto pizzicato aus dem Vierten Quartett der folkloristisch inspirierte Witz ausgetrieben. Und obwohl das Scherzo alla bulgarese des Fünften Quartetts mit stupender Genauigkeit vorüberjagt, bedürfte das tänzerische Idiom einer breiten Palette kaum merklicher Tempodifferenzierungen, auch zur Verdeutlichung der Satzstruktur. Wärme, gelegentlich Träumerisches oder Schwärmerisches (Erstes Quartett) sind zwar nicht kategorisch ausgeschlossen, spielen aber beim Takács-Quartett doch eine recht untergeordnete Rolle. Wer darauf Wert legt, wer auch einen innigeren, sensibler modulierenden, farbenreicheren und überhaupt lyrischeren Zugang vorzieht, sollte sich am Végh- oder am Keller-Quartett orientieren. So imponierend die Attacke des Takács-Quartetts auf Anhieb wirken mag – der gepanzerte Zugriff wirkt streckenweise doch auch eintönig. Fazit: eine Aufnahme mit Ausnahmerang, die aber nur den virtuosen und vehementen Seiten von Bartóks Musik weitgehend gerecht wird.

Christoph Schlüren
(Rezension für Klassik Heute)